Erster Auftritt des neuen SEM-ChefsDeutschland ruft die «Migrationswende» aus – die Schweiz rechnet mit Entspannung
Pendenzen beseitigen, Kantone und Gemeinden entlasten: Der neue Asylchef Vincenzo Mascioli setzt sich für 2025 ambitionierte Ziele. Ein Rückgang der Asylzahlen könnte ihm entgegenkommen.

- Das SEM erwartet 2025 weniger Asylgesuche als im Vorjahr.
- Der neue SEM-Chef will die Zahl der Pendenzen stark reduzieren.
- Zur Debatte in Deutschland verweist er auf die europäische Asylreform.
Vincenzo Mascioli ist seit Anfang Jahr Chef des Staatssekretariats für Migration (SEM). Am Freitag lud er zu seiner ersten Medienkonferenz – nach einer Woche, in der die deutsche Asylpolitik die Schlagzeilen dominierte: Der Bundestag hat sich für eine «Migrationswende» ausgesprochen – für Grenzkontrollen und eine Einschränkung des Asylrechts. Vorläufig ist es ein symbolischer Entscheid ohne konkrete Folgen. Ein Gesetz scheiterte Ende Woche.
Die Frage stellt sich dennoch: Ziehen nun alle Länder Mauern hoch? Danach wurde Mascioli als Erstes gefragt. Er sprach diplomatisch von einem «Spannungsfeld» zwischen der Wahlkampfdebatte in Deutschland und der geplanten europäischen Asylreform. «Europa hat sich mit dieser Reform zu einer gemeinsamen Asylpolitik bekannt», sagte Mascioli. Er finde es wichtig, dass dieses Vorhaben – was auch immer einzelne Länder nun beschlössen – nicht gefährdet werde. Und er gehe davon aus, dass das auch der EU wichtig sei. Zu den Zielen der Reform gehöre, dass alle Staaten die Dublin-Regeln einhielten.
Zahlen dürften zurückgehen
Im Kontrast zu den aufgeregten Migrationsdebatten stehen die Asylprognosen: Das SEM rechnet für das Jahr 2025 mit einer Entspannung. Die Zahl der Asylgesuche dürfte zurückgehen. Im wahrscheinlichsten Szenario erwartet das SEM 24’000 Asylgesuche. Das wären 4000 Gesuche weniger als im Jahr 2024. Im Herbst hätten sich weniger Menschen auf den Weg nach Europa gemacht, erklärte Prognosenspezialist Christoph Curchod.
Namentlich aus der Türkei rechnet das SEM mit weniger Gesuchen. Was die Ukraine betrifft, hält es eine Stabilisierung für wahrscheinlich. Konkret erwartet das SEM rund 17’000 Gesuche von Schutzsuchenden aus der Ukraine – ähnlich viele wie im vergangenen Jahr.
Die Prognosen haben sich bisher als verlässlich erwiesen. Es bleiben aber stets Unsicherheiten. So wäre es laut Curchod möglich, dass es 2025 einen «Torschlusseffekt» gibt: Dass Schlepper den Menschen raten, vor 2026 nach Europa zu gehen, weil es danach mit der Asylreform schwieriger werden könnte.
Dass einzelne Länder Grenzkontrollen einführen könnten, habe man bei den Prognosen ebenfalls berücksichtigt, sagte Curchod. Mascioli wies darauf hin, dass Deutschland bereits Kontrollen zur Schweiz eingeführt hat – ohne spürbare Auswirkungen auf die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz.
Kantone und Gemeinden entlasten
Schon im vergangenen Jahr war die Zahl der Asylgesuche zurückgegangen. Auf die Situation in den Kantonen, Städten und Gemeinden hat sich das allerdings noch kaum ausgewirkt. Zuletzt war die Kritik am Bund deshalb lauter geworden. Mascioli sagte dazu, er habe in den ersten Wochen im Amt viele Gespräche geführt – und sei sich bewusst, dass die Kantone, Städte und Gemeinden nach wie vor stark gefordert seien.
Der neue SEM-Chef verspricht nun, sie zu entlasten. Zum einen will er die Pendenzen stark abbauen – die Zahl der hängigen Asylgesuche. Im vergangenen Jahr sind die Pendenzen von rund 16’000 auf 12’000 zurückgegangen. Bis 2026 sollen sie auf 5700 sinken. Das würde bedeuten, dass sämtliche Gesuche in Bearbeitung sind. Die Pendenzen wären damit beseitigt.
Zum anderen will das SEM einen Teil der Schutzsuchenden aus der Ukraine in den Bundesasylzentren zurückbehalten, statt sie an die Kantone zu überweisen. Es handelt sich um Personen, die voraussichtlich keinen Schutzstatus S erhalten. Deren Anteil ist gestiegen.
Einschränkung für ukrainische Flüchtlinge
Das Parlament hat den Bundesrat im Dezember beauftragt, den Schutzstatus S einzuschränken. Es nahm einen Vorstoss von SVP-Ständerätin Esther Friedli an, wonach nur noch Personen aus umkämpften Gebieten den Schutzstatus S erhalten sollen. Die Arbeiten für die Umsetzung seien in Gang, sagte Mascioli. Einzelheiten nannte er dazu nicht.
Für eine gewisse Entlastung sorgen laut Mascioli auch die 24-Stunden-Verfahren für Asylsuchende aus Maghreb-Staaten – «auch wenn diese ein bisschen länger als 24 Stunden dauern». Die Personen sind deutlich weniger lange im System, der Bestand ist um ein Viertel gesunken.
Bei der Rückkehr abgewiesener Asylsuchender sieht Mascioli, der bis Ende letzten Jahres als Vizedirektor für diesen Bereich zuständig war, Verbesserungspotenzial beim Identifikationsprozess. Das Rückkehrsystem funktioniere aber. Die Zahl der Personen, die kontrolliert zurückkehren, war in den vergangenen Jahren gestiegen, 2024 um 20 Prozent.
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