Virologen zum Ende der Corona-Pandemie«Erst impfen, dann infizieren»
Die Verbreitung der Omikron-Variante lässt immer stärker hoffen, dass das Schlimmste bald überstanden sein könnte. Expertinnen und Experten aus dem In- und Ausland zeigen auf, wie der Weg in eine Endemie aussehen könnte.
Durch die rasante Verbreitung der Omikron-Variante könnte das Coronavirus Experten zufolge endemisch werden. Im Fall von Sars-CoV-2 bedeutet der Eintritt in eine Endemie, dass das Virus bleibt – die Menschen müssen damit leben, es wird aber für die Gesamtbevölkerung weniger gefährlich. Der Virologe Christian Drosten bezeichnete die Omikron-Variante als «ein Nachdurchseuchungsvirus» und im Grunde «perfektes erstes endemisches Virus». Denn Omikron verbreitet sich schnell, verursacht aber offensichtlich weniger schwere Erkrankungen.
Allerdings sind die deutschsprachigen Staaten Europas auf dem Weg in eine endemische Lage noch nicht so weit wie andere Länder. Denn ein breiter Impfschutz gilt als ein wichtiger Schritt in die Endemie, und hierzulande gibt es diesbezüglich noch erhebliche Lücken. Diese Immunitätslücken schliesst das Virus, indem Ungeimpfte, aber auch Geimpfte infiziert werden.
WHO debattiert über Gesundheitsnotstand
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereitet sich auf eine allfällige Veränderung des Gefahrenpotenzials durch das Coronavirus vor. Ein Rat unabhängiger WHO-Experten in Genf hat am Donnerstag Beratungen über den wegen Corona geltenden Gesundheitsnotstand aufgenommen.
Die Frage ist, ob die Corona-Lage weiterhin als Notstand – genannt «gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite» – gelten soll oder nicht. WHO-Corona-Expertin Maria van Kerkhove sagte am Mittwochabend in Genf: «Das Virus ist auf dem besten Weg, endemisch zu werden, daran besteht kein Zweifel. Aber wir sind noch nicht so weit.»
Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez warf in der Europäischen Union bereits die Überlegung auf, ob Covid-19 nicht wie eine Grippe behandelt werden könne. Van Kerkhove warnte davor. «Wir haben nicht die gleiche Vorhersehbarkeit wie bei der Grippe, wo wir ein typisches saisonales Muster haben», sagte sie. «Dahin dürften wir mit Covid-19 auch kommen. Aber wir sind noch nicht so weit.»
Wie gelingt ein Übergang zur Endemie?
Während sich die eine Seite Gedanken zum Übergang der Pandemie zu einer Endemie macht, erarbeitet die andere Vorschläge dafür, wie ein solcher Übergang so schnell wie möglich herbeigeführt werden kann. Sprich: mit welchen Massnahmen sich die Pandemie in eine Endemie verwandeln lässt. Einig sind sich dabei die Expertinnen und Experten in einem Punkt: Die Omikron-Variante erleichtert eine Bekämpfung der Pandemie – aber führt das Ende nicht von selbst herbei.
«Der beste Weg aus der Pandemie wäre: sich erst impfen lassen und sich dann infizieren», so der Vorschlag von Virologe Klaus Stöhr. In einem solchen «Paket» werde es dann einen lang anhaltenden Immunschutz geben. Die Kontaktnachverfolgung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie hält er für nicht mehr sinnvoll. «Wir brauchen einen Exitplan», sagte er in einem Podcast vom «Kölner Stadt-Anzeiger» und dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Ein Contact-Tracing sei aufgrund der hohen Fallzahlen gar nicht mehr durchführbar. «Wenn ein Grossteil der Bevölkerung mild und asymptomatisch infiziert ist und Antikörper hat, wird eine sogenannte Kontaktnachverfolgungs-Quarantäne sinnlos», bekräftigte Stöhr.
Kritik an 2-G+ und Contact-Tracing
Zur politischen Debatte über eine allgemeine Impfpflicht sagte der langjährige Leiter des globalen Influenza-Programms der Weltgesundheitsorganisation: «Für Omikron kommt die Impfpflicht in diesem Winter zu spät.» Für die Atemwegserkrankungen im Winter 2022/23 werde sie «nicht mehr notwendig» sein.
Die steigenden Fallzahlen lassen ihn an der Sinnhaftigkeit der 2-G-plus-Regeln zweifeln: «Wenn man sich die Inzidenzen anschaut, die Häufigkeit der Erkrankung, dann sieht man keinen Unterschied», sagte er in dem Zeitungs-Podcast. 2-G+ «macht einen Unterschied, aber nur in den Kassen der Einzelhändler».
Wie Stöhr sieht auch die Schweizer Covid-19-Taskforce Schwächen beim aktuellen Einsatz von Contact-Tracing. «Im Moment (ist) die Effizienz der Kontaktverfolgung und Quarantäne sehr tief, und die Kosten sind hoch», heisst es im neusten Lagebericht vom 11. Januar. «Die Effizienz der Quarantäne kann erhöht werden mit einer Konzentration auf die Kontakte, die die grösste Wahrscheinlichkeit haben, angesteckt zu sein.» Das seien meist Personen, die im selben Haushalt leben. Der Bundesrat hat am darauffolgenden Tag eine entsprechende Änderung beschlossen. Neu muss nur noch in Quarantäne, wer «mit einer positiv getesteten Person im selben Haushalt (lebt) oder in ähnlicher Weise regelmässigen und engen Kontakt» hatte. Eine Anpassung bei der Kontaktverfolgung wurde jedoch nicht vorgenommen. Die Taskforce erwartet den Höhepunkt an neu gemeldeten Infektionen in den nächsten 1 bis 3 Wochen – also mit grosser Wahrscheinlichkeit noch im Januar. Im Februar sollen die Ansteckungen dann wieder fallen.
US-Experte Fauci warnt vor neuen Varianten
Der führende US-Immunologe Anthony Fauci macht im Fall einer höheren Impf- und Genesungsrate Hoffnung auf eine Abschwächung der Corona-Pandemie. Zugleich warnte der Präsidentenberater vor neuen Überraschungen und möglichen ansteckenderen Varianten.
«Ich denke, wir erleben die Entwicklung zu einer viel häufigeren, aber weniger schweren Infektion», sagte Fauci dem «Spiegel». «Zumindest hoffen wir das, aber es gibt keine Garantie.»
Wenn ausreichend viele Menschen geimpft oder genesen seien, könnte Corona bald zu einer weiteren Atemwegserkrankung werden, die für den grössten Teil der Bevölkerung kein Problem mehr darstelle, so Fauci. «Vielleicht ist dies bald der Fall, aber sicher ist das noch nicht.» Schon bisher sei die Erfahrung gewesen: «Das Virus hat getan, was Viren zu tun pflegen: Es hat uns überrascht.»
«Es ist denkbar, dass die nächste Variante nicht nur ansteckender ist, sondern auch schwerere Krankheitsverläufe verursacht.»
Es gebe noch immer viele Länder, insbesondere solche mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen die Impfrate sehr niedrig sei. Es werde also weiterhin ein schwelendes Infektionsgeschehen geben. «Damit geben wir dem Virus die Möglichkeit, zu mutieren – und es ist denkbar, dass die nächste Variante nicht nur ansteckender ist, sondern auch schwerere Krankheitsverläufe verursacht», sagte Fauci.
Während sich eine Pandemie über Länder und Kontinente hinweg ausbreitet, werden Krankheiten oder Erreger als endemisch bezeichnet, die dauerhaft und gehäuft in einer begrenzten Region oder in Teilen der Bevölkerung vorkommen. Dabei kann es saisonale Schwankungen geben. In einer endemischen Situation wird die Immunität dann durch immer wiederkehrende Kontakte mit dem Erreger aufgefrischt. In einer Übergangszeit kann es aber nötig sein, zumindest Risikopatienten noch über Jahre immer wieder Auffrischungsimpfungen zu verabreichen. Perspektivisch könnte dann Sars-CoV-2 wie andere bekannte Coronaviren auch am Ende harmlose Erkältungskrankheiten verursachen.
AFP/sep/SDA
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