Energie- und HoffnungsträgerMethanol mausert sich vom Geheimtipp zur Alternative
Der erneuerbare Alkohol hat zwar keine Lobby. Doch nun sieht die Industrie allmählich seine Vorzüge – auch für ein Kraftwerk in der Schweiz.
Was hat das vom Schweizer Energieunternehmen Axpo geplante Gaskraftwerk in Muttenz mit dem 350 Meter langen neuen Containerschiff der dänischen Reederei Maersk gemeinsam? Es ist der Brennstoff: Methanol.
Fast könnte man von einem ewigen Geheimtipp sprechen. Der amerikanische Nobelpreisträger George Olah hat bereits vor gut zwanzig Jahren für diesen Energieträger plädiert, um sich von der fossilen Energieversorgung zu verabschieden. Er rief in einem viel beachteten Buch die Methanolwirtschaft aus.
Der Alkohol ist trotzdem bis heute in der Öffentlichkeit nur wenigen als Alternative für Benzin, Diesel und Gas ein Begriff. Doch nun taucht der Brennstoff überraschend in den Energieplänen des Stromunternehmens Axpo auf. Das geplante Kraftwerk in Muttenz soll künftig bei einem Stromnotstand einspringen.
Einfach in Herstellung und Lagerung
Und das Unternehmen sieht dabei längerfristig synthetisches Methanol als Brennstoff für das Kraftwerk vor. Die Fachleute sprechen von eMethanol. Seine Herstellung ist im Prinzip einfach: Aus Wasser wird mithilfe von überschüssigem Strom aus der Wasser-, Solar- oder Windkraft elektrolytisch Wasserstoff produziert. Dieser wird dann in einem weiteren Schritt mit dem Treibhausgas Kohlendioxid (CO₂) zu grünem Methanol synthetisiert.
Der Axpo-Plan ist plausibel. Weil Methanol flüssig ist, gut verschiffbar und einfach zu lagern. Das geplante Kraftwerk, würde es denn gebaut, hätte am Rheinhafen von Muttenz auch genügend Platz für die Lagerung des Brennstoffs.
«Wenn man für Mangellagen gerüstet sein will und dies mit möglichst niedrigen CO₂-Emissionen, ist ein eMethanol-Kraftwerk aus meiner Sicht eine von wenigen möglichen Optionen», sagt Christian Bach von der Empa, der ETH-Forschungsanstalt für Materialwissenschaften und Technologie. Allerdings gelte das nur für neue Anlagen – bestehende fossile Kraftwerke müssten aufwendig und kostspielig angepasst werden.
Infrastruktur vorhanden
Doch was macht diesen Alkohol zu einer Alternative zu Diesel und Benzin? Methanol zählt zur Stoffklasse der Alkohole und ist farblos. Die Verbrennung kann fast ohne schädliche Emissionen und Russ erfolgen. Es entstehen Wasserdampf und CO₂.
Im Vergleich zu den bekannteren erneuerbaren Energieträgern wie Wasserstoff und Batterien fällt das flüssige Methanol mit einigen Vorteilen auf: Wasserstoff etwa muss aufgrund seiner geringen Volumendichte unter hohem Druck verdichtet oder bei minus 253 Grad Celsius verflüssigt werden, damit es sich zur Lagerung eignet. So bräuchte es für die Versorgung mit Wasserstoff eine neue, teure Infrastruktur. Erneuerbares Methanol hingegen könnte mit vergleichsweise kleinen Anpassungen mit der bestehenden Transport- und Lagerinfrastruktur für fossile Brenn- und Treibstoffe vertrieben werden.
Im Gegensatz zur Energieindustrie ist die Nachfrage nach Methanol in der chemischen Industrie seit langem gross. Der Alkohol gehört zu den wichtigsten Grundchemikalien für die Herstellung jeglicher chemischer Produkte, die unter anderem in der Auto-, Elektronik- und Pharmaindustrie verwendet werden.
Zwei Drittel des Methanols werden für deren Produktion verwendet. Der Rest dient vor allem als Kraftstoffzusatz für Fahrzeuge und Schiffe. So hat sich die Nachfrage in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt, auf gut 100 Millionen Tonnen jährlich, Tendenz steigend, wie die Internationale Agentur für Erneuerbare Energie schätzt.
Schlüsselrolle im Klimaschutz
Ein Grossteil dieses Alkohols wird heute allerdings aus Erdgas oder Kohle hergestellt. Dabei entsteht CO₂, das jährlich etwa 10 Prozent der gesamten Emissionen der chemischen Industrie entspricht. Da sich die Welt seit dem Beschluss des Pariser Klimaabkommens 2015 zum Ziel gesetzt hat, ab 2050 die Emissionen der Treibhausgase praktisch auf null zu senken, kommt den Emissionen aus der Methanolindustrie eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, die chemische Industrie zu dekarbonisieren.
Gleichzeitig eignet sich der flüssige Alkohol für die saisonale Energiespeicherung. Überschüssiger Solarstrom zum Beispiel kann im Sommer in Form von Methanol chemisch gespeichert werden, um dann im Winter ein Kraftwerk anzutreiben. Experten sehen zudem den Alkohol auch geeignet für Auto-, Schiffs- und Flugzeugantriebe. So will zum Beispiel die Reederei Maersk in naher Zukunft mehrere eMethanol-Frachter in Betrieb nehmen.
Nur «grünes» Methanol ist sinnvoll
Allerdings macht der Ansatz nur Sinn, wenn die Methanolherstellung «erneuerbar und nachhaltig» ist. Das elektrolytische Verfahren mit Wasserstoff und CO₂ zu eMethanol ist ein gangbarer Weg. Ein anderer ist, Biomethanol aus Biomasse wie Abfällen aus Holz- und Landwirtschaft und aus Biogas zu produzieren. Es wird in Zukunft wohl beide Verfahren brauchen, abhängig von den Kosten, die je nach Standort und Anlagetyp variieren.
Bei diesen Vorzügen ist es eigentlich verwunderlich, dass erneuerbares Methanol nicht längstens als echte Alternative zu fossilen Brenn- und Treibstoffen gilt. Das Zuger Unternehmen Silent Power gehört zu den Pionieren in der Schweiz. Seit mehr als zwanzig Jahren setzt es auf erneuerbares Methanol als Energieträger. Inzwischen bietet es unter anderem ein Minikraftwerk an, eine mobile Beheizungsanlage oder einen Notstromgenerator.
Dass der Alkohol bis heute in der Schweiz den Durchbruch nicht geschafft hat, ortet die Firma unter anderem an der fehlenden Lobby. So heisst es in dem von Silent Power veröffentlichten Dokument zu Methanol: Die starke Lobby der Gaswirtschaft pusht den Wasserstoff als Alternative für die fossilen Energieträger.
Wasserlöslich und wassergefährdend
Methanol hat aber nicht nur Vorteile. Eine Herausforderung ist: «Gelangt es beispielsweise ins Abwasser, kann es nicht – wie dies bei fossilen Brenn- und Treibstoffen der Fall ist – mit einem Ölabscheider abgeschieden werden», sagt Empa-Forscher Christian Bach. Methanol gehört wie Heizöl in der Schweiz zur Wassergefährdungsklasse A, heisst «in kleinen Mengen wassergefährdend». Hinzu kommt, dass im Vergleich zu fossilen Brenn- und Treibstoffen der Energiegehalt eines Liters Methanol um 50 Prozent geringer ist. Das heisst, es braucht für die gleiche Aufgabe einen doppelt so grossen Tank.
Letztlich stellt sich jedoch die Frage, wie viel erneuerbares Methanol denn weltweit überhaupt produziert werden kann. Das Methanol-Institut, das die weltweit führenden Methanolproduzenten vertritt, rechnet derzeit global mit 139 Projekten für die Herstellung von erneuerbarem Methanol. Diese haben das Potenzial, bis 2029 rund 26 Milliarden Liter jährlich zu produzieren. Noch in diesem Jahr soll im dänischen Kasso die derzeit grösste Methanolfabrik in Betrieb gehen. Sie soll jährlich etwa 53 Millionen Liter eMethanol herstellen.
Dazu der Vergleich mit dem geplanten Gaskraftwerk in Muttenz: Die Axpo kann sich vorstellen, dass die Anlage eine elektrische Leistung von etwa 340 Megawatt aufweisen wird, vergleichbar mit einem Reaktor von Beznau. Um ein solches Reservekraftwerk beispielsweise während zweier Wochen zu betreiben, bräuchte es ein eMethanol-Lager von rund 50 Millionen Liter, wie Empa-Forscher Christian Bach vorrechnet. «Das entspricht einem Anteil von einem Prozent der 6,8 Milliarden Liter Pflichtlager in der Schweiz.»
Produktion in der Schweiz?
Ein Teil davon liesse sich möglicherweise in der Schweiz produzieren. «Die Empa ist in Kontakt mit einem Konsortium in Zug, das ein Konzept für die Methanolerzeugung aus Überschüssen von Solarstrom im Sommerhalbjahr entwickelt», sagt Christian Bach. Das System sei wirtschaftlich eine anspruchsvolle Angelegenheit. «Ohne Reservekraftwerke in eine Mangellage zu geraten, ist aber derart teuer, dass die Kosten für deren Betrieb eigentlich eine untergeordnete Rolle spielen.»
Im Vergleich zur fossilen Methanolproduktion liegen die Produktionskosten heute für erneuerbares Methanol deutlich höher. Die Kosten für eMethanol sind abhängig vom Aufwand für die Herstellung von Wasserstoff und von der Quelle des CO₂. Jedenfalls muss die Methanolproduktion massiv vergrössert werden, um für die Energieproduktion marktwirtschaftlich zu werden.
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