Ticker zur MedienkonferenzBundesrat erklärt Rahmenabkommen für tot
Die EU wurde bereits informiert. Die Landesregierung hat nun aufgezeigt, wie es mit dem Verhältnis zu Europa weitergehen soll. Wir berichteten live.
Das Wichtigste in Kürze:
Die siebenjährigen Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU sind ohne Ergebnis zu Ende gegangen.
Jetzt hat der Bundesrat die Verhandlungen abgebrochen.
Er informierte am Mittwoch die EU-Kommission über diesen Entscheid.
«Das ist kein schwarzer Mittwoch», sagte Parmelin. Man sei vielmehr am Beginn «eines neuen Kapitels» im Verhältnis mit der EU.
Diverse Reaktionen aus dem Ausland fallen negativ aus.
Lesen Sie auch: Ist das Aus für den EU-Deal schlimm? Eine Analyse
Kommentar: Jetzt braucht es ein grosszügiges Angebot an die EU
Aus. Ende. Schluss.
Und das ist gleichzeitig auch der Schlusspunkt der Medienkonferenz des Bundesrats, die zur Abdankung wurde für das Rahmenabkommen mit der EU.
Sieben Jahre Verhandlungen? Dutzende von Bundesratssitzungen? Tausende von Zeitungsartikeln? Ein Bundesrat (Didier Burkhalter), der aus Frust über das InstA zurücktrat? Fünf (!) Chefunterhändler, vier Männer und eine Frau, die sich nacheinander an diesem Dossier die Zähne ausbissen? Und all die Jahre viel, viel verpuffte Energie und noch mehr schlechte Stimmung in Bundesbern und Brüssel?
Es war alles für die Katz.
Und hier kommt noch der Brief, den der Bundesrat nach Brüssel schickte:
War das jetzt der Reset-Knopf?
Das fragt ein SRF-Journalist den Aussenminister – in Anspielung auf ein Wahlversprechen, das Cassis 2017 vor seiner Wahl in den Bundesrat abgegeben hatte.
Cassis' Antwort: «Der Bundesrat hat heute nicht unter solchen Gesichtspunkten diskutiert.»
Ist Cassis noch der richtige Mann?
Ein Journalist von «Le Temps» konstatiert, der Abbruch sei auch ein «persönliches Scheitern» für Aussenminister Ignazio Cassis. Ob er noch der richtige Mann sei, das Europa-Dossier weiter zu betreuen, fragt der Journalist.
Cassis antwortet, der Entscheid sei vom Gesamtbundesrat gefällt worden. Zudem hätten schon seine beiden Amtsvorgänger, Micheline Calmy-Rey (SP) und Didier Burkhalter (FDP), sich mit dem Dossier befasst.
Parmelin eilt seinem Kollegen zu Hilfe. «Wir sind ein Kollegium», sagt der Bundespräsident.
Passend dazu unser Artikel
Rennen um FDP-Platz im Bundesrat – Welche Partei holt den Sitz von Ignazio Cassis?
Nie war die Regierung mächtiger, nie die Mehrheit wichtiger als in der Corona-Krise. Hinter den Kulissen herrscht ein Kampf um die Macht. Wer die besten Karten hat – und wer zittern muss.
Ist diese Taktik klug?
Ein NZZ-Journalist fragt, ob es verhandlungstaktisch geschickt sei, wenn die Schweiz sich in den nächsten Jahren einseitig an das EU-Recht anpasse – und ob es nicht geschickter wäre, für solche Anpassungen Konzessionen der Gegenseite herauszuholen.
Keller-Sutter antwortet, der Abbau von Hürden sei auch im Interesse des Wirtschaftsstandortes Schweiz. Zudem könne man solche Anpassungen «entspannter» diskutieren, wenn man nicht in Verhandlungen stehe.
Schweizer PR-Offensive in Brüssel
Offenbar hat auch die Schweizer Diplomatie eine PR-Offensive gestartet, um den Schweizer Entscheid in Resteuropa zu erklären. Die Schweizer Botschaft bei der EU schrieb soeben in einem Tweet: «Die Schweiz wird auch ohne Rahmenabkommen eine engagierte Partnerin bleiben.»
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
«Wir fallen nicht in ein schwarzes Loch»
Keller-Sutter kommt auf die Frage nach dem schwarzen Mittwoch zurück. «Wir fallen nicht in ein schwarzes Loch», sagt sie.
Die Zusammenarbeit mit der EU in den meisten Bereichen funktioniere tadellos, etwa bei Schengen-Dublin. «Man muss jetzt nicht so tun, als ob die Schweiz sich abgekoppelt hätte», sagt Keller-Sutter, leicht enerviert.
Von der Leyen gab Parmelin einen Korb
Auf eine entsprechende Frage eines SRF-Journalisten bestätigt Parmelin, dass er den Abbruch Entscheid der EU-Chefin Ursula von der Leyen eigentlich in einem persönlichen Gespräch auf Präsidialebene mitteilen wollte. Dass von der Leyen zu einem persönlichen Gespräch nicht bereit war, erklärt Parmelin mit dem übervollen Terminkalender der Kommissionspräsidentin.
Stattdessen habe Staatssekretärin Livia Leu den Entscheid des Bundesrats nun schriftlich nach Brüssel gebracht, so Parmelin.
Hat der Bundesrat abgestimmt? No comment.
Tamedia-Journalist Fabian Fellmann fragt, ob der Bundesrat über den Abbruch der Verhandlungen abgestimmt oder im Konsens entschieden habe. Parmelin mauert zu dieser nicht ganz unwesentlichen Frage: «Die Sitzungen des Bundesrats sind vertraulich.»
SP-Co-Chefs reagieren «enttäuscht»
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Cassis: Die Umfragen sind nichts wert
Der Chefredaktor des «Sonntagsblick» erinnert daran, dass sich in Meinungsumfragen immer eine Mehrheit für das Abkommen ausgesprochen habe. Warum der Bundesrat nun trotzdem sage, dass das Abkommen im Volk keine Chance habe. «Halten Sie die Umfragen für Quatsch?», fragt der Journalist.
Offensichtlich ja, denn Cassis antwortet, dass die Umfragen schlecht gestaltet seien. Die Umfrageinstitute hätten ihre Fragen zum InstA gestellt, ohne die Kosten des Abkommens zu nennen. «Das sind Fragen ohne Preisschild.»
Damit sagt Cassis, die Umfrageergebnisse seien nichts wert.
«Kein schwarzer Mittwoch»
Ein welscher Journalist erinnert an eine Aussage des damaligen FDP-Bundesrats Jean-Pascal Delamuraz. Dieser sagte 1992 nach der Ablehnung des EWR: «Das ist ein schwarzer Sonntag.»
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Ob heute nun ein «schwarzer Mittwoch» sei, fragt der Journalist. «Das ist kein schwarzer Mittwoch», antwortet Parmelin, Waadtländer wie sein Vorgänger Delamuraz. Man sei vielmehr am Beginn «eines neuen Kapitels» im Verhältnis mit der EU, sagt Parmelin.
Was sagt das Parlament?
Ein «Nebelspalter»-Journalist fragt, ob das Parlament wirklich die Kohäsionsmilliarde deblockieren werde, wenn die EU nun noch weitere Druckmassnahmen gegen die Schweiz beschliessen könnte.
Cassis antwortet, dass die EU die Kohäsionsgelder inzwischen als «Eintrittsgebühr» in den Binnenmarkt betrachte. Der Bundesrat wolle sich für die Freigabe dieses Beitrages im Parlament einsetzen. Damit setze man «ein positives Signal, dass wir bereit sind, die entsprechenden Kosten zu übernehmen».
Er sei zuversichtlich, das Parlament überzeugen zu können.
Parmelin wagt keine Prognose
Eine «Blick»-Journalistin fragt, wie gross die volkswirtschaftlichen Schäden des Scheiterns sein könnten. Parmelin sagt, eine Prognose sei schwierig. Als Beleg erwähnt der SVP-Politiker die Zuwanderungszahlen, die nach Einführung der Personenfreizügigkeit viel grösser waren als ursprünglich vorausgesagt.
Die Medienkonferenz in voller Länge
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Folgt auf die ersten Emotionen die Vernunft?
Eine SRF-Journalistin zitiert eine erste Reaktion der EU, welche sage, dass die bilateralen Abkommen auf diese Weise «zwangsläufig» veralten würden.
Cassis antwortet, es sei dem Bundesrat bewusst, dass das Nichtzustandekommen des InstA mit Nachteilen verbunden sei. Die Alternative wäre aber ein unvorteilhaftes Abkommen gewesen. In einer Interessenabwägung habe man gewisse Risiken in Kauf nehmen müssen.
Cassis hofft darauf, dass später, wenn die ersten Emotionen verraucht seien, wieder eine Weiterentwicklung der Zusammenarbeit möglich sein werde.
Reaktion der EU-Kommission
Brüssel ist nicht amüsiert: «Wir nehmen diese einseitige Entscheidung der Schweizer Regierung zur Kenntnis», heisst es in einer schriftlichen Stellungnahme der EU-Kommission, die noch während der laufenden Pressekonferenz des Bundesrates verschickt wurde: «Wir bedauern die Entscheidung, auch mit Blick auf den Fortschritt bei den Verhandlungen in den letzten Jahren». Ohne Rahmenabkommen werde die Modernisierung der Beziehung nicht möglich sein, sei eine Erosion der Bilateralen Abkommen unausweichlich.
Parmelin nennt drei zentrale Punkte
Bundespräsident Parmelin betont zum Schluss noch einmal drei Punkte:
1. Oberstes Ziel der Schweiz bleibe eine enge bilaterale Zusammenarbeit mit der EU.
2. Es sei im gemeinsamen Interesse beider Parteien, die Zusammenarbeit zu stabilisieren und weiter zu entwickeln.
3. Die Schweiz bleibe für die EU weiterhin eine erstklassige Partnerin und umgekehrt.
Jetzt können die Journalisten Fragen stellen.
Schweizer Recht wird autonom angepasst
Der Bundesrat habe das Justizdepartement beauftragt, eine Überprüfung des nationalen Rechts durchzuführen, sagt Keller-Sutter.
In einem ersten Schritt sollen jene Bereiche identifiziert werden, in denen das Schweizer und das EU-Recht sich unterscheiden.
In einem zweiten Schritt soll analysiert werden, in welchen Bereichen eine Anpassung des Schweizer Rechts an das EU-Recht möglich und sinnvoll sei. Diese Entscheide würden von der Schweiz aber «autonom» gefällt. Es sei auch wichtig für die Exportwirtschaft, rechtliche Hürden abzubauen – aber nur, «wo es sinnvoll ist», betont Keller-Sutter noch einmal.
Trotzdem will der Bundesrat damit der EU signalisieren, dass er an einer engen Beziehung interessiert bleibt. Es handle sich dabei «nicht um ein Fitnessprogramm für die Schweizer Wirtschaft», betont Keller-Sutter.
Österreichs Regierung bedauert
«Die heute kommunizierte Entscheidung des Bundesrat über den Abbruch der Verhandlungen ist sehr bedauerlich», reagiert Österreichs Europaministerin Karoline Edtstadler. Österreich sei weiterhin davon überzeugt, dass der Abschluss des institutionellen Abkommens jetzt der richtige Schritt gewesen wäre und für beide Seiten Vorteile bringen würde: «Die Europäische Union war bis zuletzt bemüht, eine gute Lösung für beide Seiten zu finden». Nun müsse die Stellungnahme der Schweizer Regierung analysiert und die nächsten Schritte beraten werden, so Österreichs Europaministerin.
Keller-Sutter in EU-Blau
Jetzt redet Justizministerin Karin Keller-Sutter. Sie trägt eine Gesichtsmaske in EU-Blau.
In keinem anderen europäischen Land habe die Bevölkerung so oft zu einem Geschäft in Zusammenhang mit der europäischen Integration abgestimmt, zuletzt als sie im Herbst über die Begrenzungsinitiative der SVP abgelehnt habe.
Das demonstriere den Willen des Schweizer Volkes, den bilateralen Weg weiterzuführen.
Cassis' Bekenntnis zu Europa
Noch einmal versichert Cassis der EU und der Schweiz (und vielleicht auch sich selber): Man werde weiterhin eng mit Brüssel zusammenarbeiten. Er erinnert daran, dass die Schweiz die viertgrösste Partnerin der EU beim Warenhandel und sogar die Nummer 2 bei den Investitionen sei.
Zudem teile man die gleichen Grundwerte wie die EU. «Somit ist die Schweiz Teil der europäischen Wertegemeinschaft.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.