Alkoholverbot in der TürkeiErdogan legt sein Volk trocken
Am Donnerstag beginnt in der Türkei ein 3-Wochen-Lockdown. Während dieser Zeit ist der Verkauf von Alkohol verboten. Kritiker sehen die Massnahme als Eingriff ins Privatleben.
«Lasst die Finger von meinem Alkohol» – das war die zornige Twitter-Reaktion auf ein Alkoholverkaufsverbot, das die türkische Regierung am Dienstag in Ankara völlig unerwartet verhängt hat. Der entsprechende Hashtag startete durch, nachdem Innenminister Süleyman Soylu am Nachmittag Gerüchte über ein Alkoholverkaufsverbot bestätigt hatte: Während des am Donnerstag beginnenden 3-Wochen-Lockdown dürfen in der gesamten Türkei keine alkoholischen Getränke mehr verkauft werden.
Prohibition alla turca also: Offenbar sind Bier, Schnaps und Wein in den Augen des Staatspräsidenten und strikten Alkohol- und Tabakgegners Recep Tayyip Erdogan nicht wirklich systemrelevant. Der strenggläubige Muslim hatte schon früher gern kundgetan, dass seine Lieblingsgetränke das vergorene Joghurtgetränk Ayran und Tee sind.
Nimmt auch mal Zigaretten weg
Gegen die Nikotinsucht geht der Staatschef vor, indem er nichts Böses ahnenden Bürgern bei öffentlichen Begegnungen schon einmal das Zigarettenpäckchen wegnimmt. Beim Alkohol hingegen sorgt er durch hohe Steuern und eine restriktive Vergabe von Alkohollizenzen an Restaurants und Geschäfte dafür, dass der Genuss einen bitteren Beigeschmack hat, die Staatskasse aber trotz der tugendhaften Grundhaltung gefüllt bleibt.
Denn getrunken wird in der Türkei gern und viel. Und das, obwohl sie ein muslimisches Land ist. Ein nicht unerheblicher Teil der Menschen ist nach wie vor eher säkular eingestellt, der Anis-Schnaps Raki gehört zur Nationalkultur, Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk war dem hochprozentigen Getränk ein Leben lang mehr als nur freudvoll zugetan.
«Dieses Verbot hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun.»
Vor der offiziellen Bekanntgabe des Verkaufsverbots für die Dauer des 17-tägigen Lockdown, der mit der zweiten Hälfte des islamischen Fastenmonats Ramadan zusammenfällt, hatten viele Türken gehofft, dass wenigstens die auf den Alkoholverkauf spezialisierten Tekel-Kioske von der Sperre ausgenommen würden. Innenminister Soylu nüchterte seine Landsleute dann aber unbarmherzig aus: «Diese Läden stehen nicht auf der Ausnahmeliste, sie bleiben geschlossen. Da steht kein Fragezeichen dahinter.»
Neben humorig-zynischen Tweets über die Tugendwächter in Ankara gab es grundlegende Kritik. Veli Agbaba, Vizechef der säkularen Oppositionspartei CHP, schrieb unter Anspielung auf die islamistische Ausrichtung Erdogans und seiner Regierungspartei AKP: «Dieses Verbot hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Das ist rein ideologisch. Es ist das letzte Glied der Kette, wie die AKP sich in den Lebensstil der Bürger einmischt.»
Auch Sultan Murad IV. verbot einst Alkohol
Ein Vertreter der Vereinigung der Alkoholverkaufsstellen erinnerte daran, dass die Türken ihren Raki vor allem zu reichhaltigen und geselligen Abendessen konsumieren: «Das ist ein Coup gegen das Privatleben, gegen unsere Ess- und Genusskultur. Corona dient nur als Vorwand.»
Der bekannte Regisseur Murat Seker meinte eher trocken, in den nächsten zwei Tagen werde der Schnaps- und Weinverkauf wohl alle Rekord brechen: «Die Menschen werden den Alkohol auf Vorrat lagern und dann weitertrinken.»
Sehr viel unterhaltsamer twitterte Murat Emir, ein CHP-Abgeordneter aus Ankara: «Was steht denn noch auf der Tagesordnung? Geheime Kontrollen der Bevölkerung, um zu sehen, wer heimlich trinkt?» Er spielte auf Sultan Murad IV. an, der als «der Verbieter» bekannt wurde. Der gläubige Osmanensultan hatte Alkohol, Tabak und Kaffee verboten, aber angeblich selbst recht gern Alkohol getrunken. Murad IV., der einige seiner Bürger wegen ihres heimlichen Genusses hinrichten liess, regierte im 17. Jahrhundert. Weshalb Emir über Erdogans Alkoholverbot lästerte: «Ist das jetzt nicht etwas zu spät, so rund 400 Jahre?»
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