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Erdogan in Deutschland
Ein überaus schwieriger Gast kommt zu Besuch

Turkish President Tayyip Erdogan, wearing a scarf with the Palestinian and Turkish flags, stands on the stage during a rally organised by the AKP party in solidarity with the Palestinians in Gaza, in Istanbul on October 28, 2023. Erdogan's Islamic-rooted party staged a massive pro-Palestinian rally in Istanbul on October 28, 2023 that the Turkish leader said had drawn a crowd of 1.5 million. He unleashed a scathing attack at Israel and its Western supporters after taking the stage with a microphone in his hand. "The main culprit behind the massacre unfolding in Gaza is the West," Erdogan told the Turkish and Palestinian flag-waving crowd. (Photo by HANDOUT / TURKISH PRESIDENCY PRESS OFFICE / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO / Turkish Presidency press office " - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS
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Juden in Berlin, Hamburg oder Köln fürchten sich, offen auf die Strasse zu gehen. An propalästinensischen Kundgebungen fliegen antisemitische Schwüre, Flaschen und Steine. Seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober ist die Stimmung in Deutschland erhitzt wie selten. Und ausgerechnet da soll ein Politiker als Staatsgast empfangen werden, der weiter Öl ins Feuer giesst?

«Wer das Existenzrecht Israels nicht nur leugnet, sondern aktiv bekämpft, darf kein Partner für die deutsche Politik sein», findet etwa Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden. Über die politischen Lager hinweg pflichten ihm viele bei, sprechen von einem «falschen Signal» und fordern eine Absage des Besuchs von Recep Tayyip Erdogan.

In der Türkei wird bald wieder gewählt

Der türkische Staatschef hat zuletzt auch wirklich alles getan, um seine westlichen Verbündeten vor den Kopf zu stossen. Den Hamas-Terror bezeichnete er als Tat von «Freiheitskämpfern», das angegriffene Israel und dessen Premier Benjamin Netanyahu als «terroristisch» und «faschistisch», dessen Krieg in Gaza als «Genozid». Selbst das Existenzrecht Israels stellte er infrage.

Bis vor kurzem hatte Erdogan noch Nähe zu Israel gesucht, jetzt zählt nur noch palästinensisches Leid. Im März finden wichtige Kommunalwahlen statt. Erdogan hat bei seiner Wiederwahl im Mai viele Stimmen an Rechtsextreme und Islamisten verloren, von denen er sich bei der Sympathie für die Palästinenser und der Hetze gegen Israel diesmal nicht übertreffen lassen will.

People wave Turkish and Palestinian flags as Turkish President speaks during a rally organised by the AKP party in solidarity with the Palestinians in Gaza, in Istanbul on October 28, 2023. Erdogan's Islamic-rooted party staged a massive pro-Palestinian rally in Istanbul on October 28, 2023 that the Turkish leader said had drawn a crowd of 1.5 million. He unleashed a scathing attack at Israel and its Western supporters after taking the stage with a microphone in his hand. "The main culprit behind the massacre unfolding in Gaza is the West," Erdogan told the Turkish and Palestinian flag-waving crowd. (Photo by HANDOUT / TURKISH PRESIDENCY PRESS OFFICE / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO / Turkish Presidency press office " - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS

Besuche in Deutschland, wo rund drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben, sind für Erdogan immer auch Wahlkampfgelegenheiten – ganz zum Ärger Berlins. Bei seinen Auftritten 2008, 2010 und 2014 begeisterte er Zehntausende von deutsch-türkischen Fans und bezeichnete Assimilation mehrfach als «Verbrechen». 2018 wandelte er die Eröffnung der Zentralmoschee in Köln zu einem türkischen Staatsakt auf deutschem Boden um. Aus deutscher Sicht sind seine Auftritte stets Hochrisikoveranstaltungen.

Wenn Erdogan nun fünf Jahre nach dem letzten Staatsbesuch am Freitag nach Berlin kommt, ist die Einladung zwar eine Formalität, aufgrund der Stimmung aber dennoch aussergewöhnlich heikel. Die Gastgeber begegnen der Kritik damit, dass sie den Besuch so kurz und formlos wie möglich halten: Erdogan trifft am Mittag erst Frank-Walter Steinmeier, den deutschen Bundespräsidenten, bevor er mit Bundeskanzler Olaf Scholz spricht und mit ihm zu Abend isst.

Erdogan wollte zum Fussball ins Olympiastadion

Eine Rede vor türkischen Massen wird es nicht geben, vielleicht nicht einmal eine gemeinsame Medienkonferenz mit Scholz, bei der Fragen gestellt werden dürfen. Dafür finden am Freitag in Berlin propalästinensische Demonstrationen statt, am Samstag dann eine Kundgebung, an der Kurden gegen den türkischen Präsidenten protestieren.

Berichte aus Ankara und Berlin lassen vermuten, dass Erdogan eigentlich mit Scholz oder Steinmeier das Fussballspiel besuchen wollte, das am Samstagabend im Berliner Olympiastadion Deutschland und die Türkei gegeneinander austragen – mit Zehntausenden von türkischen Fans. Die deutsche Seite weigerte sich aber. Dem türkischen Präsidenten könnte es freilich immer noch einfallen, alleine hinzugehen.

Berlin möchte ein neues Flüchtlingsabkommen

Kanzler Scholz trotzt der Kritik an dem Besuch, weil er überzeugt ist, dass Deutschland bei wichtigen Themen die Unterstützung Erdogans braucht. Der geopolitische Einfluss der Türkei hat in den letzten Jahren zugenommen, zudem ist Erdogans Beitrag als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine unverzichtbar.

Aus deutscher Sicht entscheidend ist, dass Berlin unbedingt das Migrationsabkommen der EU mit der Türkei erneuern möchte, das 2016 dazu führte, dass kaum noch Flüchtlinge über die Ägäis nach Europa kamen. 2020 kündigte Erdogan den Milliardendeal faktisch auf, seither steigt die Migration im östlichen Mittelmeer wieder.

Nur kein neues Desaster wie damals mit Abbas

Auf der anderen Seite ist auch die Türkei auf Deutschland angewiesen. Die türkische Wirtschaft steckt in der Krise, die deutsche ist eine wichtige Stütze: 52 Milliarden Euro betrug zuletzt die Handelsbilanz zwischen den Ländern, Tendenz steigend.

In der deutschen Regierung hofft man darauf, dass der heikle Besuch ohne Eklat abläuft – und auf allfällige Schlagfertigkeit des Kanzlers. Als im Sommer vor einem Jahr Mahmoud Abbas Berlin besuchte, der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, konnte dieser vor den Medien behaupten, Israel habe schon «50 Holocausts» an den Palästinensern verübt, ohne dass Scholz ihm widersprach. Etwas Ähnliches soll diesmal nicht mehr passieren.