Rassismus in der TürkeiNicht mehr willkommen am Bosporus
Menschen aus arabischen Ländern sind gern in der Türkei. Aber jetzt wachsen antiarabische Ressentiments. Das kann Präsident Erdogan gar nicht recht sein.
Es ist heiss in Riad. Immer noch. Jetzt, Anfang Oktober, werden es tagsüber noch an die 40 Grad. In Kuwait ist es ähnlich, in Doha auch. Verständlich also, dass die Menschen von der arabischen Halbinsel in den nicht enden wollenden Sommermonaten gern in ein Flugzeug Richtung Norden steigen. Irgendwohin, wo es kühler ist und ein bisschen grün. Ins Berner Oberland, zum Beispiel, oder nach Paris. Oder in die Türkei, bisher jedenfalls.
Im Juli meldete Istanbul über 135’000 Touristinnen und Touristen allein aus Saudiarabien. Die Türkei liegt nahe, geografisch wie kulturell. Viele Araberinnen und Araber schauen die türkischen Fernsehserien, machen sich in Istanbul dann auf die Suche nach deren Drehorten. Am Schwarzen Meer, in den Teebergen um Trabzon und Rize, lieben sie das satte Grün. Im ersten Halbjahr besuchten rund 400’000 Ausländer Trabzon, ein Plus von 79 Prozent.
Und doch mehren sich in letzter Zeit in arabischen Medien die Stimmen, die vor Türkei-Reisen warnen. Von Rassismus ist die Rede, von einzelnen Übergriffen auf arabische Reisende, von dem Eindruck, am Bosporus nicht mehr willkommen zu sein.
Für Prügel-Opfer gabs Blumen vom Polizeichef
Da ist zum Beispiel der Fall von Mohammed al-Ajmi, einem 46 Jahre alten Kuwaiter. Er war Mitte September mit seiner Familie in Trabzon an der Schwarzmeerküste. Dort schlug ihm mitten auf dem Stadtplatz ein Türke ins Gesicht, woraufhin al-Ajmi zu Boden ging und bewusstlos wurde. Die Videoaufnahme einer Augenzeugin dokumentierte den Angriff, zu hören sind die Schreie seiner Familie. Das Video ging im arabischen Netz viral, die grossen Nachrichtenseiten berichteten darüber.
Wie wichtig der türkischen Regierung die Gäste vom Golf sind, zeigt, was danach geschah. Sofort versuchten die Behörden zu beschwichtigen; der Täter wurde schnell festgenommen, das Opfer bekam, kaum aus der Klinik entlassen, Besuch vom örtlichen Polizeichef – nicht ohne Blumenstrauss. In einer Erklärung der Stadtverwaltung war die Rede von einem Missverständnis: Das Opfer habe mit einem anderen Touristen gestritten, der Täter habe daraufhin angenommen, dass die beiden sich gegen Polizisten gewehrt hätten. Am Abend noch gab es in Istanbul eine Solidaritätsdemo für Mohammed al-Ajmi, das Opfer aus Kuwait.
Der Präsident will, dass das Land in alle Richtungen offen bleibt.
Das Thema ist politisch. Denn Präsident Recep Tayyip Erdogan, frisch wiedergewählt, sucht eigentlich die Nähe zu den arabischen Herrscherhäusern. Erst kürzlich flog er die Hauptstädte am Golf ab, sammelte deren Versprechen ein, in der Türkei zu investieren, und schenkte den Emiren und Kronprinzen im Gegenzug jeweils einen Togg, das türkische Elektroauto.
Erdogan will die Türkei als regionales Machtzentrum etablieren, dazu gehört Istanbul als Drehkreuz für Handel und Tourismus. Der Präsident will deswegen, anders als viele seiner Bürgerinnen und Bürger, dass das Land in alle Richtungen offen bleibt. Nach Europa genauso wie in Richtung Nahost oder nach Russland. Als Erdogan Wladimir Putin in Sotschi besuchte, hatte er die Zahl der russischen Türkei-Touristen parat, und er bedankte sich bei Putin dafür. Viele Russinnen und Russen bleiben seit dem Ukraine-Krieg auch längerfristig in der Türkei.
Der Analyst Selim Koru schrieb vor kurzem, dass Erdogan in dieser Hinsicht anders sei als die meisten Autokraten der Welt: Er ist für Zuwanderung. Explizit sagte der Präsident kürzlich, dass er, anders als die Opposition, weiterhin Flüchtlinge aufnehmen wolle. Nachdem im Sommer die Stadtverwaltung im südtürkischen Adana Schilder in arabischer Sprache entfernt hatte, kam Kritik aus dem Präsidentenpalast. Recep Tayyip Erdogan war der Meinung, die arabischen Schilder seien doch gerade in touristischen Gegenden eine praktische Hilfe.
Und willkommen ist Erdogan, na klar, ausländisches Kapital. Wer in der Türkei heute eine Immobilie für mindestens 400’000 Dollar kauft, bekommt den türkischen Pass geschenkt, für sich, für den Ehepartner, für die Kinder. Die Opposition hatte für den Fall eines Wahlsiegs versprochen, das Passverschenkungsprogramm zu beenden. Manche unterstellen dem Präsidenten, er erhoffe sich davon neue Wählerstimmen. Belege dafür gibt es nicht. Das Programm läuft weiter.
Preise wie in westeuropäischen Städten
Gerade in den Städten tut sich Erdogan schwer, den Nationalismus zu kontrollieren, den er teils selbst angefacht hat. Die Angst vor der Überfremdung geht um. Da ist der zunehmende Hass auf die Geflüchteten aus Syrien, aus Afghanistan, aber auch auf jene Ausländer, die reich ins Land kommen und eben zum Beispiel den Immobilienmarkt verändern. Die Türkei erlebt eine Hyperinflation, die Mieten haben sich vervielfacht. Manche Istanbuler Viertel sind inzwischen nicht mehr billiger als westeuropäische Städte.
Wer die neuen Preise bezahlen kann? Reiche Russen, reiche Saudis. So ist jedenfalls der Eindruck bei vielen Türkinnen und Türken. Dazu kommt, dass die Araberinnen und Araber das Stadtbild verändern. In Gegenden wie Taksim, dem Zentrum auf der europäischen Seite von Istanbul, dominierten früher Bars und Nachtclubs, heute eher Shishabars. Viele fürchten, dass es das westliche Nachtleben noch schwerer haben wird, sollte Erdogans Partei bei den Kommunalwahlen im nächsten Frühjahr das Rathaus der Metropole zurückerobern. Dann hätte der Präsident wieder Einfluss darauf, wie viele Alkohollizenzen vergeben werden oder ob die Polizei öffentliches Trinken toleriert.
Viele sehen die arabischen Gäste als schlechtes Omen. Dafür, dass die Türkei nicht mehr nur nach Westen schaut.
Die Türkei streitet seit jeher darüber, wohin sie sich orientieren soll: nach Westen – oder auch nach Osten? In diesen Konflikt geraten jetzt auch die Touristen vom Golf. Und jene Araberinnen und Araber, die hier wohnen und arbeiten. Ein Konflikt, in dem die Opposition den europäischen Charakter des Landes bewahren will, in Abgrenzung zum Nahen Osten, und dafür vor rechtsnationalistischen Tönen nicht zurückschreckt. Im Kommunalwahlkampf wird der Zuzug aus dem Ausland sicher eine Rolle spielen. Es ist eines der Themen, bei denen Erdogan angreifbar ist.
Wenige Tage nach dem Vorfall in Trabzon machte die Türkei wieder Schlagzeilen in der arabischen Welt, diesmal wegen einer Rangelei auf dem Istanbuler Taksim-Platz. Verwickelt darin waren offenbar Touristen aus Ägypten. Anders als beim Vorfall in Trabzon gibt es kein Video, doch laut einigen Medienberichten sollen sich die Feriengäste über eine falsche Restaurantrechnung beschwert haben, woraufhin die Lage eskaliert sei.
Für Millionen arabische Gäste ist die Türkei noch immer eine friedliche Feriendestination. Im türkischen Tourismus und in der Gastronomie sind sie dankbar, dass die Araberinnen und Araber ihnen dieses Jahr Rekordzahlen bescheren – neben Russen und Europäern. Daneben aber sehen viele im Land die arabischen Gäste als schlechtes Omen. Dafür, dass die Türkei unter Erdogan eben nicht mehr nur nach Westen schaut. Der Präsident wird aufpassen müssen, dass sich die Ressentiments im Nahen Osten nicht allzu sehr herumsprechen.
Die könnten sonst bald nicht nur Touristen abschrecken, sondern auch Investoren. Das kann sich die Türkei gerade gar nicht leisten.
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