Nach Anschlag in Ankara Erdogan wird PKK-Terror für seine Zwecke nutzen
Erstmals seit langem hat sich die kurdische Gruppe zu einem Attentat bekannt. Was die PKK erreichen will und wie die türkische Regierung reagiert.
Die Türkei hat viel Erfahrung mit Terror. Das merkt man zu Beginn dieser Woche wieder. Ja, der Anschlag, der am Sonntagmorgen die Hauptstadt Ankara traf, bestimmt an diesem Montag die türkischen Schlagzeilen. Aber da ist wenig Schock, wenig Entsetzen. Gemessen daran, was geschehen ist.
Zwei Attentäter, noch ist unklar, ob es Frauen oder Männer waren, schaffen es ins schwer gesicherte Zentrum von Ankara, auf den Atatürk-Boulevard zwischen Innenministerium und Parlament. Und das am Tag, als die Abgeordneten nach der Sommerpause zum ersten Mal wieder getagt haben. Präsident Recep Tayyip Erdogan hielt dazu im Plenum eine Rede.
Noch am Sonntagabend folgt die Vergeltung
Die Attentäter sollen am Samstag in Kayseri, südöstlich von Ankara, das Auto eines Tierarztes gestohlen haben. Nach türkischen Angaben erschossen sie den Mann. Mit dem Auto fuhren sie dann in die Hauptstadt, wobei sich einer von ihnen vor dem Innenministerium in die Luft sprengte, während der andere anfing zu schiessen. Bevor auch er die Bombe an seinem Körper zünden konnte, starb er durch Kugeln der Polizei. Zwei Polizisten wurden verletzt.
Anders als beim letzten grösseren Anschlag in der Türkei, im letzten Dezember, als mehrere Menschen auf der Istanbuler Einkaufsstrasse Istiklal starben, gibt es diesmal ein Bekennerschreiben. In der Sprache der kurdischen PKK-Miliz war der Anschlag eine «Aufopferungsaktion», wie die PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF berichtet.
Perfide klingt die Aussage, denn die beiden Attentäter der «Brigade der Unsterblichen» hätten Menschen töten können, wenn sie es gewollt hätten. Es sei ihnen aber nur um ein «Signal» gegangen. Dafür waren sie bereit zu sterben.
Was der Anschlag signalisieren sollte? Vermutlich, dass die Türkei noch immer verwundbar ist. Der PKK geht es wohl darum, zu zeigen, dass der Waffenstillstand nicht mehr gilt, den sie nach den Erdbeben im Februar verkündet hatte. Die türkische Luftwaffe flog in letzter Zeit wieder intensive Angriffe auf kurdische Ziele in Nordsyrien und im Nordirak.
Am Sonntagabend noch folgte die Vergeltung für den Anschlag. Die Luftwaffe habe zwanzig Ziele «neutralisiert», liess das Verteidigungsministerium in Ankara verlauten. Von einer grösseren Operation in den kurdischen Gebieten ist bisher nicht die Rede. Erdogan dürfte den Anschlag aber zumindest rhetorisch nutzen, wenn es schon bald wieder um Schwedens Nato-Beitritt geht.
Erdogan verlangt weitere Zugeständnisse aus Stockholm, was die dortige PKK-Präsenz betrifft.
Diesen blockiert die Türkei nach wie vor, wobei das Parlament die Ratifizierung auf der Tagesordnung hat. Erdogan hat in den vergangenen Tagen wieder auf die PKK-Demos auf schwedischen Strassen hingewiesen.
Erst am Wochenende verbrannten Demonstranten in Stockholm eine Puppe des Präsidenten – was das türkische Aussenministerium sofort verurteilte. Bei seiner Rede im Parlament, wenige Stunden nach dem Anschlag, sprach Erdogan vom «letzten Zucken des Terrors».
Wahlkampf mit nationalistischen Tönen
Noch behält sich Erdogan vor, den schwedischen Beitritt weiter zu blockieren, auch wenn er offiziell aufs Parlament verweist. Wann genau die Abgeordneten über die Schweden-Frage abstimmen, ist noch nicht klar. Vorher erwartet Erdogan wohl von den USA, der Türkei die gewünschten F-16-Kampfjets zu liefern. Und er verlangt weitere Zugeständnisse aus Stockholm, was die dortige PKK-Präsenz betrifft. Gerade nach dem Anschlag vom Sonntag.
Innenpolitisch wird die türkische Regierung weiter hart gegen die Kurden vorgehen. Die ersten kurdischen Aktivisten wurden schon in der Nacht zum Montag verhaftet. Erdogans AKP regiert zusammen mit der rechtsradikalen MHP. Auch bei den Kommunalwahlen im Frühling, wenn es um das Rathaus von Istanbul geht, werden die beiden Parteien wahrscheinlich gemeinsame Kandidaten nominieren. Erdogan will Istanbul unbedingt zurückgewinnen, dort regiert seit 2019 der Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu.
Auf die Türkei wartet dann ein weiterer Wahlkampf mit nationalistischen Tönen. Erdogan hat trotz der andauernden Wirtschaftskrise keine schlechten Chancen. Anschläge wie jener in Ankara dürften dem Präsidenten dabei helfen.
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