Aggressive Aussenpolitik der TürkeiErdogan droht mit Eskalation an mehreren Fronten
Der türkische Präsident droht mit Einmarsch in Nordsyrien, will den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands blockieren und zündelt im Streit mit Griechenland. Was das mit seinen Wiederwahlambitionen zu tun hat.
Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan wechselt in den Wahlkampfmodus. Da sind einerseits in den vergangenen Tagen immer neue und riskante aussenpolitische Attacken. Und da ist sein jüngster innenpolitischer Vorstoss: Der seit 2003 zuerst als Premierminister und seit 2014 als Präsident regierende Erdogan will bei den anstehenden Wahlen im Sommer 2023 erneut antreten.
Begonnen hat es mit Erdogans Widerstand gegen eine Nato-Mitgliedschaft Schwedens und Finnlands. Diese wollen vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs ihre Neutralität aufgeben und der westlichen Allianz beitreten. Ankara nimmt nun mit seinem Nein das gesamte westliche Bündnis zur Geisel. Erdogans begründet das mit der angeblichen Tolerierung der kurdischen Terrororganisation PKK und mit ihr verwandter Gruppen in Syrien durch die zwei skandinavischen Staaten.
Streit mit Washington
Hinzu kam die Drohung mit einer erneuten Invasion der türkischen Streitkräfte in Nordsyrien. Die Vorbereitungen für eine solche Militäroperation scheinen abgeschlossen zu sein. Da aber die USA in Nordsyrien eigene Truppen stehen haben, die eng mit den von der türkischen Armee bedrohten Kurdenmilizen zusammenarbeiten, droht Ankara Streit mit Washington.
Und nun die betont aggressive Haltung gegenüber Griechenland. Im seit Jahrzehnten anhaltenden Streit um eine Reihe von Ägäis-Inseln wirft der türkische Staatschef dem Nachbarland vor, diese völkerrechtswidrig zu militarisieren. Er droht mit Eskalation.
Von der Innenpolitik ist das nicht zu trennen: Erdogan sagte am Donnerstag, er werde im Juni 2023 erneut für das Präsidentenamt kandidieren und kündigte an, er werde sich für die gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen als Kandidat eines Wahlbündnisses mit der ultrarechten MHP, aufstellen lassen. Wegen der schlechten Wirtschaftslage könnte Erdogan im Moment allerdings kaum gewinnen. Seine Kritiker schliessen dennoch nicht aus, dass er die Wahlen vorzieht. Dafür könnte er, fürchten sie, einen Vorwand suchen – etwa in einem militärischen Abenteuer.
«Katastrophale Konsequenzen»
Erdogan warnte Athen nun vor «einer weiteren Aufrüstung» der umstrittenen griechischen Inseln in der Ägäis. Athen solle «Träume, Äusserungen und Handlungen vermeiden, die es bedauern würde», sagte er bei einem Militärmanöver dort. Solche Aktionen könnten «katastrophale Konsequenzen» haben: «Ich spasse nicht.»
Bei dem jahrzehntealten Streit stellt die Türkei die Souveränität Griechenlands über etliche Inseln in der östlichen Ägäis infrage. Türkische Kampfjets verletzten häufig griechischen Luftraum, überfliegen auch grosse, bewohnte Inseln wie Rhodos, Samos und Kos. Völkerrechtlich betrachtet dürfen diese Inseln eigentlich nicht militarisiert werden.
Athen tut das trotzdem. Die griechische Regierung begründet dies mit der angeblichen Gefahr einer türkischen Landungsoperation: Ankara hat seit Jahrzehnten in der Küstenstadt Izmir eine eigene «Ägäis-Armee» stationiert. Kurz vor Erdogans Rede am Rande des Manövers hatte das Militär an einem türkischen Strand direkt gegenüber von Samos dann auch die Einnahme eines Küstenabschnitts durch Landungstruppen geübt.
Das Athener Aussenministerium veröffentlichte jetzt 16 Landkarten, die «das Ausmass des türkischen Revisionismus» dokumentieren sollen. Sie zeigen angebliche türkische Gebietsansprüche – nach griechischer Darstellung die halbe Ägäis und weite Teile des östlichen Mittelmeers.
Eine Art Erbfeindschaft
Da die Türkei und Griechenland seit Jahrzehnten eine Art Erbfeindschaft pflegen, kann Erdogan eine anti-griechische Stimmung im Land quasi nach Bedarf schüren. Ümit Yalim, ein Ex-Oberst und ehemals hoher Beamter im Verteidigungsministerium, liess sich dann auch von der Zeitung «Sözcu» so zitieren: «Derzeit befinden sich 19 türkische Inseln und zwei türkische Felsen unter griechischer Besatzung.» Die Ägäis sei eine «griechische See» geworden, in der die Türkei «an der Küste Anatoliens eingepfercht» werde.
Die Fragen der Hoheitsrechte in der Ostägäis sind völkerrechtlich überaus kompliziert. Sie sind im Vertrag von Lausanne geregelt, der 1923 infolge des Untergangs des Osmanischen Reichs zwischen der neu gegründeten Türkischen Republik und Griechenland geschlossen wurde.
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