Nato-Beitritt von Schweden und FinnlandWarum Erdogan knallhart blockiert
Die Türkei bremst den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands. Und wenn sie doch zustimmen sollte am Ende, wird sie sich ihr Ja bezahlen lassen.
Einen doppeldeutigen Willkommensgruss für die Gäste aus Schweden und Finnland hatte der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu schon vom fernen Palästina aus geschickt. «Sie sagen, wir können konkrete Schritte unternehmen», so der Minister. «Wir aber fordern eine schriftliche Vereinbarung.»
Noch vor Beginn der Gespräche zwischen der türkischen, der finnischen und der schwedischen Regierung Mitte der Woche in der türkischen Hauptstadt Ankara hatte Cavusoglu damit ein Signal ausgesandt. Die Türkei bleibt in der Frage der Nato-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens knallhart. Und wenn sie doch zustimmen sollte am Ende, wird sie sich ihr Ja bezahlen lassen und echte Garantien für jede Zusage ihrer Kontrahenten verlangen.
Präsident Recep Tayyip Erdogan pokert öffentlich: Er hat gerade eine weitere Offensive gegen die syrischen Kurden angekündigt. Er kalkuliert offenbar, aus seiner derzeit starken Position in der Nato heraus die westlichen Partner zum Wegsehen zwingen zu können. Es geht um eine weitere Militäraktion zur Ausweitung einer von Ankara beanspruchten Sicherheitszone in Nordsyrien.
«Gasthäuser für Terroristen»
Eine schwierige Ausgangslage also für Gespräche. Auf türkischer Seite sassen der aussenpolitisch versierte Sprecher des Präsidenten, Ibrahim Kalin, und Vizeaussenminister Sedat Önal am Tisch. Die Skandinavier wurden vom Staatssekretär des schwedischen Premierministers, Oscar Stenström, und dem Staatssekretär des finnischen Aussenministeriums, Jukka Salovaara, vertreten.
Sie alle wussten, wie verfahren die Lage im Verteidigungsbündnis ist. Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wollen die zwei nordischen Staaten ihre im Kalten Krieg erprobte Neutralität aufgeben: Schweden und Finnen wollen der Nato möglichst rasch beitreten. Ihre Anträge haben sie gestellt, nun müssen alle 30 Nato-Staaten zustimmen. Doch Ankara blockiert: Stockholm und Helsinki unterstützen angeblich Terrorgruppen.
Erdogan nennt die beiden Staaten «Gasthäuser für Terroristen». Schweden und Finnen sollten sich nicht die Mühe machen, nach Ankara zu fliegen, sagte er noch kurz vor dem Besuch. «Werden sie kommen, um zu versuchen, uns zu überzeugen? Wenn ja, – sie sollten sich nicht abmühen.» Der türkische Staatschef hält den Skandinaviern Unterstützung mehrerer antitürkischer Terrorgruppen, Milizen und Organisationen vor. Beispielsweise würden sie Kontakt zur kurdischen Arbeiterpartei PKK aus der Türkei und zu den mit ihr eng verwandten syrischen Kurdenmilizen YPG und SDF halten. Zudem ist er erbost über Sanktionen, die Schweden wegen der Angriffe der Türkei auf die syrischen Kurdengebiete verhängt hat. Diese Strafmassnahmen betreffen Waffen- und Militärtechnologie.
In dieser Frage kam es nach dem Treffen der Vertreter zu Bewegung. Finnland und Schweden hätten eine positive Haltung zur Aufhebung des Waffenembargos eingenommen, hiess es von türkischer Seite. Man habe zudem die Sicherheitsbedenken der Türkei noch einmal deutlich gemacht und erwarte diesbezüglich konkrete Schritte, sagte Präsidialberater Kalin nach dem Treffen. Andernfalls könne der Prozess nicht vorankommen.
Washington droht
Dass Erdogan in dieser Lage mit einer neuen Militäraktion in Nordsyrien droht, zeigt, in welcher starken Position er sich sieht. Denn die syrischen Kurden sind im Bürgerkrieg gegen das Assad-Regime mit den USA verbündet. Und die bleiben Nato-Führungsmacht. Washington hat bereits gedroht, dass es eine solche Militäraktion nicht akzeptieren würde: «Wir anerkennen die türkischen Sicherheitsbelange an der Südgrenze», so ein Sprecher. «Aber eine weitere Offensive würde die regionale Stabilität bedrohen und die US-Truppen im Kampf gegen den Islamischen Staat der Gefahr aussetzen.»
Möglicherweise pokert Erdogan zu hoch. Aber vieles, was der Grobrhetoriker im türkischen Präsidentenpalast sagt, nimmt er später auch ungeniert zurück oder vergisst es einfach, gnädig sich selbst und anderen gegenüber.
Ankara hat seine Bedingungen klargemacht. Die Skandinavier distanzieren sich bisher beispielsweise nicht von der Gülen-Bewegung; Ankara bezichtigt die Organisation des islamistischen Predigers Fethullah Gülen, den gescheiterten Staatsstreich vom Juli 2016 zu verantworten. Sich von all den genannten Organisationen glaubwürdig zu distanzieren, dürfte Stockholm und Helsinki schwerfallen. Während die PKK in den USA, der EU und der Türkei als Terrorgruppierung gebrandmarkt ist, gilt das nicht für die YPG. Im Gegenteil: Die YPG ist der US-Verbündete im syrischen Bürgerkrieg, ebenso die SDF. Und die Gülen-Bewegung mag für die Türken eine Terrorgruppe sein, in den USA und in Europa ist sie es nicht.
Hinter dem Terrorgerangel mit den Skandinaviern dürfte aber noch ein weiteres türkisches Anliegen an die USA stehen. Washington hat Ankara aus dem Programm zum Bau des Kampfjets F-35 geworfen – die Türken hatten russische Waffen gekauft. Jetzt fehlt Ankara ein Flugzeug der neuesten Generation. Als Übergangslösung will man 40 neue F-16 von den USA und 80 Tuning-Kits, mit denen Ankara seine alternde F-16-Flotte modernisieren kann.
Über die F-16 wird seit Monaten verhandelt, die Chancen sind nicht schlecht, US-Präsident Joe Biden hat Unterstützung signalisiert. Aber das Paket muss durch den Kongress. Und eigentlich will Erdogan noch mehr: Er will zurück ins F-35-Programm. Dass er nun quasi nebenbei auch noch den griechischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis abfertigte – «Mitsotakis existiert für mich nicht mehr» –, zeigt, wie drängend die Flugzeugfrage ihm ist. Denn Mitsotakis soll bei einem USA-Besuch Vorbehalte gegen US-Flugzeuglieferungen an die Türkei geäussert haben. Der Nato-Staat Griechenland bekommt längst die F-35. Premier Mitsotakis keilte dann auch sofort zurück in Richtung Erdogan: «Das Letzte, was wir in der Nato brauchen, ist eine weitere Quelle politischer Instabilität.»
Streit um Grenzen und Rohstoffe
Dies zeigt, dass die Flugzeugfrage Ankara mindestens so wichtig ist wie der Streit um die Kurden, dass aber zumindest das Nato-Mitglied Griechenland dem Bündnispartner nicht traut: Die beiden Nachbarstaaten streiten seit Jahren über Grenzen und Rohstoffe im Mittelmeer, drohen sich oft sogar Gewalt an.
Alles Dinge also, die den Wunsch der Finnen und Schweden nach einem raschen Beitritt zur Nato zu einem schwierigen Unternehmen für das Bündnis machen und viel Zeit und Mühe kosten könnten, bis die bockigen Türken am Ende vielleicht doch zustimmend nicken, statt die Nato in schwierigsten Zeiten der Lächerlichkeit preiszugeben.
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