WEF ohne Bildungsexperte Er wollte über Afghaninnen reden und darf nun nicht nach Davos
Islam Iqbal wollte darüber sprechen, dass Mädchen in Afghanistan zwangsverheiratet werden und nicht mehr in die Schule dürfen. Warum er doch zu Hause bleiben muss.
Er ist eloquent, liebt das Netzwerken – und hätte am World Economic Forum (WEF) auftreten sollen. Während das WEF mit dem üblichen Pomp startet, sitzt der Bildungsexperte in Kanada und kann nicht weg. Warum? Hat ihm die Schweiz kein Visum erteilt? Nein, das sei nicht das Problem. «Das WEF und die Schweiz haben mich unterstützt; wenn man jemandem die Schuld geben kann, dann den Taliban», sagt er.
Seit diese an der Macht sind, also seit dem 15. August 2021, ist Iqbal auf der Flucht. «Ich nahm den allerletzten Flug von Kabul nach Delhi.» Von Indien reiste er in die USA, wo er versuchte, seine Geschwister und Eltern nachzuholen. Eigentlich hätte er ein paar Monate später im amerikanischen Massachusetts sein Studium in «Sustainable International Development» anfangen sollen, alles war aufgegleist, das Studentenvisum hatte er bereits in der Tasche. Doch es kam anders. Pakistan blockiert seine Familie in Islamabad.
Arbeitsverbot für Frauen
Iqbal verliess die USA und reiste nach Kanada, um den Nachzug seiner Angehörigen von dort zu organisieren. «Kanada hat weniger strikte Aufnahmekriterien für Flüchtlinge», sagt er. Trotzdem ist seine Familie noch immer in Pakistan und könne nicht ausreisen. Er selbst sitzt in Kanada – mit Flüchtlingsstatus. Sein Asylgesuch wurde erst kürzlich gutgeheissen. Danach hat er sofort Reisepapiere für das WEF in Davos beantragt, doch wegen bürokratischer Hürden sei sein Gesuch verschleppt worden. Er schüttelt ungläubig den Kopf.
Islam Iqbal ist einer der sogenannten Global Shapers – eine Art Jugendorganisation, die WEF-Gründer Klaus Schwab ins Leben gerufen hat. In Kabul war er in verschiedenen Institutionen als Experte in Bildungsfragen tätig.
«Was in Afghanistan vor sich geht, wird zu wenig thematisiert», sagt der 30-Jährige via Zoom. «Ich wäre gerne nach Davos gekommen, um zu berichten, dass in Afghanistan 10-jährige Mädchen verheiratet werden gegen Geld.» Nach der sechsten Klasse dürfen Mädchen in weiten Teilen des Landes nicht mehr in die Schule gehen. Im letzten Dezember kam das Dekret hinzu, dass Frauen auch keine Universitäten mehr besuchen und sie nicht mehr für Nichtregierungsorganisationen (NGO) arbeiten dürfen. Das sorgte international für Kritik. Der UNO-Sicherheitsrat sowie verschiedene europäische Staaten, darunter auch die Schweiz, forderten die Taliban in einer gemeinsamen Erklärung auf, das Arbeitsverbot für Frauen in NGOs sofort zurückzunehmen. Wie das Schweizer Aussendepartement mitteilt, sind «aufgrund der Unsicherheiten operationelle Aktivitäten im Moment teilweise eingestellt.» Deutschland hat kürzlich angekündigt, vorerst keine weiteren Gelder für humanitäre Projekte in Afghanistan zu bewilligen.
Nur Männer dürfen im Park spazieren gehen
«Mädchen und Frauen sind mittlerweile vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen, sie dürfen ohne männlichen Begleiter nicht einmal einen öffentlichen Park besuchen», sagt Iqbal. Er hätte am WEF auch gerne darüber gesprochen, dass Afghanistan derzeit unter Strommangel leidet und das Internet täglich nur wenige Stunden genutzt werden kann. Online-Kurse für Englisch sind nicht nur verboten, sondern auch ein Luxus, weil das Strom verbraucht.
Islam Iqbal spricht auch davon, dass die Anbindung der afghanischen Wirtschaft an die Weltwirtschaft von entscheidender Bedeutung sei, um die wachsende Armut und die Hungersnot im Land zu bekämpfen. «Ich hoffe, diese Themen werden in Davos diskutiert – auch ohne mich.» Das WEF teilt allerdings mit, dass niemand anderes aus Afghanistan in Davos sprechen werde.
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