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Frauenrechte in Afghanistan
«Für uns Frauen ist es die schlimmste Zeit unseres Lebens»

Mit dem Studium ist es nun vorbei: Absolventinnen einer technischen Hochschule bei ihrer Diplomvergabe im März 2022 in Kandahar.
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Sie hat mit ihnen an einem Tisch gesessen, richtig getraut hat sie ihnen aber nie. Die Politikerin und Menschenrechtlerin Fausia Kufi war Teil der afghanischen Delegation, die in Doha im Jahr 2020 mit den Taliban gesprochen hat, als die Amerikaner eine Vereinbarung für den Abzug der westlichen Truppen aushandelten. Zu einem guten Ende haben die Gespräche für die Menschen in Afghanistan nicht geführt. Zwar einigten sich Amerikaner und Taliban bilateral auf ein Übereinkommen, das aber letztlich den Weg für die Islamisten zurück an die Macht in Kabul ebnete.

Diese Macht setzen Islamisten auf brutale Art und Weise ein – vor allem gegen Frauen. Die Taliban, die seit August 2021 das Land wieder mit harter Hand regieren, haben nun verfügt, dass Frauen bis auf weiteres keine Universitäten mehr besuchen dürfen. Schon zuvor waren die Afghaninnen einer Reihe von Einschränkungen ausgesetzt, durften nicht mehr allein reisen oder Parks besuchen, sollten Mädchen ab der 7. Klasse nicht mehr die Schulen besuchen.

Taliban regieren wie im Jahr 1996

Fausia Kufi beobachtet diese Entwicklungen aus dem Exil, sie bittet aus Sorge um ihre Sicherheit darum, den Ort nicht zu nennen. «Gegen ihre Versprechen betreiben die Taliban nun wieder eine Politik wie im Jahr 1996, als sie das erste Mal an die Macht kamen», sagte Kufi am Mittwoch im Gespräch. «Der letzte Nagel in den Sarg, in dem die Frauenrechte zu Grabe getragen wurden, war damals das Recht der Frauen, an die Universitäten zu gehen.» Genau dies geschehe nun wieder. Afghanische Frauen und Mädchen «sind entsetzt, hoffnungslos und fühlen sich von der internationalen Gemeinschaft betrogen, weil sie Afghanistan den Taliban regelrecht überreicht haben».

Der Ausschluss von Frauen aus den Universitäten in Afghanistan sorgte am Mittwoch zwar weltweit für Kritik. Aber jenseits der bereits verhängten Sanktionen gegen die Taliban bleiben der internationalen Gemeinschaft keine weiteren Druckmittel. Die Kritik ähnelt sich nach jedem Verstoss der Taliban gegen Menschenrechte: UNO-Generalsekretär António Guterres äusserte sich zutiefst beunruhigt über die Anordnung der Taliban, auch die EU und die USA kritisierten die Entscheidung pflichtgemäss.

Der afghanische Nachrichtensender Tolonews zitierte aber auch eine kritische Stellungnahme des katarischen Aussenministeriums zu dem Taliban-Dekret, das Frauen den Besuch von Universitäten verbietet. Das Emirat hatte eine zentrale Rolle für die Annäherung zwischen den USA und den Taliban gespielt, weil es den Islamisten gestattet hatte, ein politisches Büro in Doha zu eröffnen.

Haben das alte, harte Regie wieder eingeführt: Taliban-Kämpfer patrouillieren in den Strassen von Kabul.  

Aber mit einem Einlenken der Taliban rechnen Beobachter nicht, die Islamisten fühlen sich durch ihren Sieg über die Supermacht USA noch immer beflügelt. Der pakistanische Wissenschaftler Ahmed Rashid, einer der prominentesten Kenner der Islamisten in Afghanistan, attestiert den Machthabern in Kabul, sie hätten über ihre rückwärtsgewandte islamistische Ideologie hinaus keinerlei «strategische Vision» für das Land. Ausser der Sicherheitslage, die sich seit dem Ende des Krieges und dem Abzug des Westens im Sommer vergangenen Jahres verbessert habe, gehe es in allen Bereichen mit Afghanistan abwärts.

«Die Taliban haben nur ein Ziel, und das ist die vollständige Scharia-Gesetzgebung nach ihren Vorstellungen», sagt Rashid. Eigentlich habe diese Regierung im Vergleich zum ersten Taliban-Regime in den Jahren 1996 bis 2001 deutlich mehr Potenzial, viele der Führungsfiguren hätten eine bessere Bildung und seien in der Lage, mit der Aussenwelt zu kommunizieren. «Aber das bringt der Bevölkerung in Afghanistan überhaupt keine Vorteile», sagt Rashid. Die ökonomische Krise und auch die Nahrungsmittelknappheit im Land würden sich eher noch verschärfen.

Dramatische humanitäre Lage

Nachdem die Taliban die Macht ergriffen hatten, setzte der Westen die finanzielle Hilfe für Afghanistan weitgehend aus. Während des 20-jährigen militärischen Einsatzes unter Führung der USA wurde der afghanische Staatshaushalt weitgehend vom Westen getragen. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden hatte nach der Machtübernahme der Taliban 7 Milliarden US-Dollar des afghanischen Vermögens einfrieren lassen, um die Kabuler Hardliner zu mehr Entgegenkommen zu bewegen – ohne Erfolg. Zudem haben viele Afghaninnen und Afghanen ihre Jobs verloren, weil westliche Organisationen und Geldgeber das Land verlassen haben.

Verschiedene UNO-Organisationen beschreiben die humanitäre Lage in Afghanistan als dramatisch. Mindestens zwei Drittel der Bevölkerung seien im Jahr 2023 auf Hilfe angewiesen, ein Grossteil der Menschen leide schon jetzt an Hunger. Besonders Frauen berichten von dramatischen Einschnitten in ihrem Alltag. Eine Juristin aus der westafghanischen Stadt Herat sagt im Gespräch, die Taliban richteten ihren Ärger darüber, dass sie international diplomatisch nicht anerkannt würden, mehr und mehr gegen die eigene Bevölkerung: «Sie zögern nicht mehr, jedes erdenkliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen.»

Die Frau, die aus Angst vor Repressalien darauf bestand, namentlich nicht genannt zu werden, fasste ihre Situation so zusammen: «Für uns Frauen ist es die schlimmste Zeit unseres Lebens. Besonders schmerzvoll ist, dass wir aus dem Bewusstsein der Weltgemeinschaft verschwunden sind.»