Debatte um AHV-ReformEr will bis 66 arbeiten, sie Geld für eine 13. Rente
Zur Zukunft der Altersvorsorge präsentieren Linke und Bürgerliche völlig gegenläufige Konzepte. Das Streitgespräch mit Katharina Prelicz-Huber (Grüne) und Andri Silberschmidt (FDP).
Herr Silberschmidt, Sie gehören zu den Urhebern der ersten Volksinitiative, die die Jungfreisinnigen eingereicht haben. Warum ausgerechnet mit der unpopulären Forderung nach einem höheren Rentenalter?
Andri Silberschmidt: Für mich ist die Erhöhung des Rentenalters kein Selbstzweck. Ich schaue nüchtern auf die AHV-Finanzen. In den nächsten 25 Jahren fehlen der AHV kumuliert 200 Milliarden Franken. Bisher versuchten wir die demografische Entwicklung nur mit Steuererhöhungen abzufedern. Künftig können wir das nicht mehr nur über mehr Umverteilung finanzieren. Unsere Initiative ist aber moderat. Wir erhöhen das Rentenalter schrittweise bis 2032 auf 66 Jahre, danach koppeln wir die Erhöhung an die Lebenserwartung. Es ist zurzeit der einzige Vorschlag, der die AHV nachhaltig saniert.
Frau Prelicz-Huber, Sie wollen am Rentenalter 64 für Frauen festhalten und sogar noch eine 13. AHV-Rente einführen. Wie soll das finanziert werden?
Katharina Prelicz-Huber: Für uns ist die erste Säule wegen des Umlageverfahrens die faire Säule, weshalb diese gestärkt werden soll. Die AHV muss zudem für alle existenzsichernd sein, und mit der zweiten Säule soll das gewohnte Leben weitergeführt werden können. So steht es in der Verfassung. Langfristig am besten wäre es, wenn die zweite Säule in die erste übergeführt würde. Klar ist aber, dass es die Erhöhung des Frauenrentenalters nicht braucht. Würde Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern herrschen, gäbe es in der AHV gar kein Loch. Denn wenn die Frauen gleich viel wie die Männer verdienen, fliessen pro Jahr 825 Millionen Franken zusätzliche Beiträge in die AHV.
Aber wie wollen Sie die steigende Zahl der Rentner und dazu noch eine 13. AHV-Rente finanzieren?
Katharina Prelicz-Huber: Wir haben im AHV-Gesetz verankert, dass der Bund bis zu 50 Prozent der Ausgaben übernehmen kann, heute zahlt er nur 20 Prozent. Es wäre also durchaus möglich, dass wir die Altersabsicherung zu einem grossen Teil mit Bundessteuern finanzieren. Aber auch über Lohnbeiträge ist die AHV fairer finanziert als die zweite Säule. Bei der Pensionskasse zahlen die Arbeitnehmer am Anfang 3,5 Prozent des Lohnes und in der letzten Phase des Berufslebens 9 Prozent. Bei der AHV entrichten alle auf jeden Lohnbestandteil über die ganze Erwerbszeit hinweg immer den gleichen Prozentsatz von 4,35 Prozent.
Andri Silberschmidt: Ich finde es spannend, dass wir schon nach fünf Minuten in dieser Säulendiskussion sind. Mit einer Volkspension würde das austarierte 3-Säulen-System zerstört, das sich insgesamt bewährt hat. Zudem ist das eine Enteignung der Leute, die in Treu und Glauben jahrelang in die zweite Säule einbezahlt haben. Tatsache ist: Die linken Parteien wollen nicht über das wahre Problem reden. 20 Jahre lang haben sie gesagt, es gebe kein Finanzierungsproblem bei der AHV. Und nun wollen sie die zweite Säule auflösen.
Katharina Prelicz-Huber: Das Problem des heutigen Systems besteht darin, dass in der zweiten Säule das Kapitaldeckungsverfahren gilt und nur Erwerbstätige versichert sind. Den Gutverdienenden beschert dies eine gute Rente, für die meisten ist sie hingegen ein Verlustgeschäft. Die Mehrheit der Neurentner erhielt vor zehn Jahren eine höhere Pensionskassenrente als heute, obwohl wir heute mehr einzahlen. Die Hälfte der Neurentnerinnen und Neurentner bezieht eine Altersrente von weniger als 3400 Franken pro Monat. Wir haben einen Verfassungsauftrag für eine existenzsichernde Rente, und das ist die AHV heute nicht. Wegen des fairen Umlageverfahrens sollten wir die erste Säule stärken und kurzfristig in der zweiten Mängel beheben mit dem Sozialpartnerkompromiss.
«Die Lösung kann sicher nicht sein, dass wir ein kumuliertes Defizit von 200 Milliarden mit der Gewerkschaftsinitiative noch um 60 Milliarden vergrössern.»
Herr Silberschmidt, von der AHV kann heute tatsächlich niemand leben.
Andri Silberschmidt: Ich bestreite nicht, dass es Menschen gibt, die im Alter finanzielle Probleme haben. In diesem Zusammenhang sind die Ergänzungsleistungen wichtig. Die Lösung kann sicher nicht sein, dass wir ein kumuliertes Defizit von 200 Milliarden mit der Gewerkschaftsinitiative noch um 60 Milliarden vergrössern. Ich höre von links immer nur, dass es da und dort noch einen Geldtopf gebe, um sich zu bedienen. Das zahlen nicht nur die Reichen, sondern auch der Mittelstand. Wenn wir hingegen unsere Initiative für ein höheres Rentenalter zusammen mit der Mehrwertsteuererhöhung der laufenden AHV-Reform umsetzen, muss die Bevölkerung keine Angst mehr haben um die Finanzierung der AHV.
Katharina Prelicz-Huber: Die AHV benötigte 45 Jahre lang keine Beitragserhöhung, obwohl sich die Zahl der Rentnerinnen und Rentner verdoppelt hat: Denn die gesamte Lohnsumme ist gewachsen, und damit sind die AHV-Einnahmen laufend gestiegen. Wenn wir aber mehr Mittel für die AHV brauchen, warum will dann die FDP die Stempelsteuer abschaffen? Die Schweiz hat zudem so tiefe Unternehmenssteuern, dass wir diese auf internationalen Druck werden erhöhen müssen. Es ist also nicht so, dass wir zu wenig Geld haben. Es gab in den letzten Jahren eine gigantische Umverteilung hin zu den Reichen. Darüber müssen wir reden.
Sie wollen die zweite Säule mit der AHV zu einer Volkspension fusionieren: Damit hätten dann alle in der Schweiz die gleich hohe Rente?
Katharina Prelicz-Huber: Alle hätten eine würdige Existenzsicherung, und privates Sparen à la dritte Säule wäre weiterhin möglich. Das Konzept von Herrn Silberschmidt ist eines für die Privilegierten. Frauen, die im Care-Bereich das ganze Leben lang 100 Prozent arbeiten, kommen nicht mal auf 4500 Franken Renteneinkommen. Wer heute im Tieflohnbereich 4000 Franken verdient und ein Leben lang 100 Prozent arbeitet, hat eine miserable Pensionskassenrente. Selbst der Mittelstand hat nicht mal 4500 Franken Renteneinkommen, das erreicht nur der obere Mittelstand. Und vor allem hat die Hälfte der Frauen bloss ein halb so hohes Renteneinkommen wie die Männer.
Sie wehren sich gegen Frauenrentalter 65 mit dem Argument, die meisten Frauen seien noch immer stark benachteiligt. Übertreiben Sie da nicht?
Katharina Prelicz-Huber: Die Mehrheit der Frauen arbeitet wegen Familienpflichten Teilzeit oder in Care-Berufen. Die Löhne in der Betreuung und in der Pflege sind viel zu tief. Der qualifizierte Handwerker verdient nach der Lehre bis zu 1500 Franken mehr als die qualifizierte Betreuerin. Eine Fachperson im Kinderbetreuungsbereich verdient beim Berufseinstieg rund 4000 Franken und nach zehn Jahren 4500 bis 4700 Franken monatlich. Ein Credit- und Risk-Manager aber beginnt mit 8750 Franken, ein Chief Financial Officer gar mit 14’000 Franken monatlich. Wenn die Fachperson Betreuung noch eigene Kinder hat und nur Teilzeit arbeitet, erwartet sie im Alter eine miserable, den Manager eine fürstliche Rente. Eine unhaltbare Situation.
Andri Silberschmidt: Meine Kolleginnen würden über die Aussagen von Frau Prelicz-Huber nur den Kopf schütteln. Die Frauen, die ich kenne, sind selbstbestimmt, und darunter sind nicht nur Hochqualifizierte. Die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Das erhöht die Unabhängigkeit. Ich will eines von vielen Beispielen aus meinem Freundeskreis erwähnen, wo die Frau nach der Geburt des Kindes das Pensum auf 80 und der Mann auf 60 Prozent reduzierte. Die Frau arbeitet in der Geoinformatik, der Mann in der Bundesverwaltung.
Katharina Prelicz-Huber: Das ist eine privilegierte Situation.
Andri Silberschmidt: Ihr orientiert eure Politik immer an den untersten 10 Prozent. Deshalb wollt ihr die AHV für alle um ein Zwölftel erhöhen. Auch die Manager würden mehr AHV bekommen, obwohl sie es nicht nötig haben. Das Defizit bei der AHV erhöht sich mit eurer Initiative um 3 bis 4 Milliarden pro Jahr. Ich orientiere mich an der Gesamtgesellschaft und sehe die Notwendigkeit, für die untersten 10 Prozent eine Lösung zu finden, etwa mit Rentenverbesserungen. Ich bin bereit, mich für einen besseren Versicherungsschutz für Frauen und Teilzeiterwerbende in der zweiten Säule einzusetzen. Aber wir können doch nicht das ganze System auf die untersten 10 Prozent ausrichten und dem Mittelstand die Pensionskasse wegnehmen.
«Wir haben einen Verfassungsauftrag für eine existenzsichernde Rente, und das ist die AHV heute nicht.»
Herr Silberschmidt, warum soll jemand dafür stimmen, bis 66 oder sogar noch länger zu arbeiten, wenn er nicht weiss, ob er bis zur Pensionierung Arbeit hat?
Andri Silberschmidt: Bei der Unterschriftensammlung auf der Strasse machte ich die Erfahrung , dass viel mehr ältere als junge Leute unterschrieben. Den älteren Menschen ist die Problematik bewusster als den jüngeren. Diese geben zwar im Sorgenbarometer immer an, dass die Altersvorsorge das Problem Nummer 1 ist. Aber die Jungen sehen die Stellschrauben noch nicht, um das Problem zu lösen. Es kommen nun Hunderttausende ins Pensionsalter, deshalb fehlen uns in zehn Jahren 500’000 Arbeitskräfte. Wir werden also eher das Problem haben, dass Stellen unbesetzt bleiben, als dass wir eine Massenarbeitslosigkeit unter den Älteren haben werden.
Katharina Prelicz-Huber: Wir hatten noch nie etwas dagegen, wenn jemand länger arbeiten will, nur darf es nicht ein Muss sein. Ältere Arbeitnehmende haben grosse Schwierigkeiten, nach einer Entlassung eine neue Stelle zu finden. Wir haben heute ganz viele, die vor 65 ausgebrannt sind. 40 Prozent der Arbeitnehmenden auf dem Bau erleben das 65. Altersjahr nicht. Mit 50 sind heute 90 Prozent der Männer erwerbstätig, bei den Frauen über 70 Prozent. Mit 57 sind es bei den Männern noch 80 Prozent und bei den Frauen deutlich weniger als 70 Prozent. Diese Jobs für Ältere, von denen Herr Silberschmidt redet, gibt es allenfalls im Bereich der Hochqualifizierten, nicht aber für Geringerqualifizierte.
Andri Silberschmidt: Ich bin der Erste, der für lebenslange Weiterbildung und höhere Qualifizierung eintritt. Aber ich habe ein anderes Bild der Ü-50-Generation, die über sehr viel Know-how verfügt und sehr viel leisten kann. Natürlich gibt es immer konkrete Fälle von älteren Arbeitnehmenden, die keinen Job mehr finden, was dann von den Gewerkschaften ausgeschlachtet wird.
Nicht nur in der Baubranche ist es kaum möglich, bis zum ordentlichen Rentenalter zu arbeiten, auch in anderen Branchen sind die Erwerbstätigen bereits vorher körperlich oder geistig erschöpft. Wie wollen Sie das lösen?
Andri Silberschmidt: Viele von uns werden immer gesünder älter und können deshalb grundsätzlich länger arbeiten. Es gibt aber neben dem Bau auch andere Bereiche, in denen nicht nur die körperliche, sondern die mentale Belastung gross ist. Natürlich gibt es Menschen, die nicht länger arbeiten können. Immerhin hat das Parlament mit der Überbrückungsrente ein neues Sozialwerk geschaffen. Langzeitarbeitslose müssen also in den letzten Jahren nicht zur Sozialhilfe.
Wohl nächstes Jahr wird das Volk über die Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 abstimmen. Frau Prelicz, Sie sagen, den Frauen werde die Rente gekürzt. Das stimmt nicht.
Katharina Prelicz-Huber: Wir haben das im Detail ausgerechnet, wir kommen auf eine Rentenkürzung von 1200 Franken.
Andri Silberschmidt: Aber der monatliche Rentenbetrag wird doch nicht gekürzt.
Katharina Prelicz-Huber: Wenn die Frau zu einem bestimmten Zeitpunkt in Rente geht und man die Höhe ihrer Rente beim Status quo und der Reform AHV21 vergleicht, dann bedeutet Letzteres im Schnitt 1200 Franken weniger Rente im Jahr. Und die Übergangsjahrgänge bekommen nach den Beschlüssen des Parlaments gerade mal ein Drittel dieses Verlusts ausgeglichen.
Andri Silberschmidt: Wenn man so wie Frau Prelicz argumentiert, haben wir in den letzten Jahren die Renten massiv erhöht, weil Männer und Frauen länger leben und dadurch insgesamt mehr Rente beziehen. Die Frauen erhalten 30 Prozent mehr Rente und die Männer sogar 60 Prozent mehr, weil deren Lebenserwartung schneller angestiegen ist.
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