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Interview mit Edzard Ernst zu Charles III. und Homöopathie
«Als König muss er den Mund halten»

Charles besucht 2008 öffentlichkeitswirksam eine Fabrik in Wimbledon, die seit 1860 homöopathische Medikamente herstellt.
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Herr Ernst, Sie haben Prince Charles jahrelang kritisiert für sein Engagement für die Alternativmedizin. Nun ist er König. Sind Sie besorgt?

Eigentlich sollte ich froh sein, denn als König muss er den Mund halten. Allerdings ist sein Einfluss jetzt noch viel grösser. Es bleibt zu befürchten, dass er zwar keine öffentlichen Proklamationen etwa zur Homöopathie mehr macht, dafür aber im Hintergrund seine Fäden zieht. Er könnte Dinge in die Wege leiten, bei denen man am Ende gar nicht weiss, dass er der Urheber ist.

In einem Land ohne Monarchen wie der Schweiz ist es schwer zu verstehen, wie viel Macht Charles hatte und hat – etwa im Vergleich zu einem gewöhnlichen Promi. Was macht den Unterschied?

Charles ist als König natürlich Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Armee, Kopf der anglikanischen Kirche. Doch er hat vor allem als öffentliche Figur enorme Macht. Schauen Sie sich an, was derzeit los ist. Man hat das Gefühl, die ganze Welt dreht sich um ihn, sicherlich die britische Welt. Mit seinem Einfluss hat er es nicht zuletzt fertiggebracht, meine Abteilung an der Universität Exeter zu schliessen.

Wie hat er das gemacht?

Sein Privatsekretär beschwerte sich bei der Universität, nachdem ich gegenüber einer Zeitung einen noch nicht öffentlichen Bericht zur Alternativmedizin kritisiert hatte. Das sei ein Vertrauensbruch. Meine Universität führte in der Folge eine aufwendige 13-monatige Untersuchung durch. Diese entlastete mich zwar von dem Vorwurf, doch gleichzeitig richtete man damit meine Abteilung zugrunde. Ich hatte danach keine Mitarbeiter mehr, und es floss auch kein Geld mehr für Forschung. Am Ende ging ich freiwillig ein Jahr früher in den Ruhestand.

Ein Verlust.

Für mich persönlich war das ärgerlich, doch es ist viel mehr als das. Meine Abteilung war weltweit die einzige, die die Alternativmedizin wirklich kritisch untersuchte. Dass Charles deren Schliessung ohne grossen Aufwand erreichte, zeigt, welche Macht er als Prince of Wales hatte. Als König ist diese noch viel grösser.

Andererseits war Prince Charles bei der Schaffung Ihres früheren Lehrstuhls beteiligt.

Zumindest indirekt war er das tatsächlich. In den frühen 1980er-Jahren regte er einen Lehrstuhl an einer britischen Universität an – sonst mache man keine Fortschritte auf diesem Gebiet. Daraus entstand schliesslich die Stiftungsprofessur, auf die ich 1993 berufen wurde. Das Geld stammte allerdings nicht von ihm.

Prince Charles steht im «Healing Garden» der Chelsea Flower Show 2002, den er mitentworfen hat.  

Charles war Ihrer Arbeit gegenüber also anfangs positiv eingestellt?

Zu Beginn war er sehr interessiert an dem, was ich treibe. Beispielsweise wollte er das Manuskript meiner Antrittsvorlesung haben, das ich dann extra für ihn verfasste. Normalerweise formuliere ich meine Vorlesungen nie aus. Charles gründete in dieser Zeit seine Stiftung für integrierte Medizin, mit der ich auch zusammenarbeitete. Allerdings kam es bald zu Reibereien, die immer wieder auch öffentlich ausgetragen wurden.

Warum Reibereien?

Seine Initiative hatte das Ziel, Alternativmedizin ins Gesundheitswesen zu integrieren. Als Wissenschaftler war ich hingegen ausschliesslich daran interessiert, zu prüfen, was wirksam ist und was welchen Schaden anrichten kann. Diese beiden Perspektiven trennen Welten.

Neben Ihrer persönlichen Geschichte mit Charles – wo hat sich sein Engagement für die Alternativmedizin sonst gezeigt?

In sehr vielen Bereichen. In meinem neusten Buch habe ich 30 Kapitel damit gefüllt. Er engagiert sich seit gut 40 Jahren für zahllose Methoden. Unter diesen gibt es ja durchaus solche, die einer kritischen Prüfung standhalten. Erstaunlicherweise interessiert sich Charles aber ausnahmslos für alternativmedizinische Therapien, die ohne belegten Nutzen und nicht plausibel sind. Man könnte fast meinen, dass er den Nonsens aus dem grossen Topf der Alternativmedizin selektiv herauspickt.

«Die Homöopathie ist in einem weltweiten Konsens als völlig unplausible und obsolete Behandlungsform deklassifiziert.»

Was denn zum Beispiel?

Die Homöopathie ist sicherlich das Paradebeispiel. Diese ist seit Jahren in einem weltweiten Konsens als nicht evidenzbasierte, völlig unplausible und obsolete Behandlungsform deklassifiziert.

Von wem?

Es gibt von verschiedenen nationalen Behörden Gutachten und Stellungnahmen dazu. Angefangen hat Australien, dann folgten Schweden, Kanada, die EU, Ungarn und andere. Diese kommen alle einhellig zum gleichen Schluss: Die Homöopathie ist eine unwirksame Methode. Prinz Charles versuchte trotzdem, seit Jahrzehnten darauf hinzuwirken, dass die Behandlungsform ins britische Gesundheitswesen integriert wird. Auch vor den Vereinten Nationen hat er einmal für die Alternativmedizin geweibelt. Alles, was althergebracht, und alles, was natürlich ist, ist seiner Meinung nach erwiesenermassen wirksam.

Die Vorliebe für Alternativmedizin hat Charles von seinem Elternhaus. Wieso wurde die Queen nie kritisiert?

Es stimmt, auch die Queen war eine Anhängerin der Homöopathie. Sie hatte sogar einen eigenen «Royal Homeopath» angestellt, den ich übrigens gut kannte. Die Queen setzte sich jedoch nie öffentlich für die Komplementärmedizin ein.

«Ich nannte Prinz Charles deshalb einen Schlangenölverkäufer, was für Schlagzeilen sorgte – das war sehr lustig.»

Charles hat sich auch mal als Hersteller alternativer Heilmittel versucht.

Er hat vor vielen Jahren die Firma Duchy Originals gegründet, die bis heute vor allem Kekse und naturbelassene Produkte anbietet. Eines Tages kam sie mit drei alternativmedizinischen Tinkturen auf den Markt. Eine davon, die Duchy Originals Detox Tincture, war ein rotes Tuch für mich. Ich forschte damals generell zum Thema Entschlackung, und es war offensichtlich, dass die Detox-Tinktur reiner Quatsch war. Ich nannte Prinz Charles deshalb einen Schlangenölverkäufer, was für Schlagzeilen sorgte – das war sehr lustig. Die Tinkturen mussten später vom Markt genommen werden, weil sie gegen das Werbemittelgesetz verstiessen.

Prinz Charles besichtigt eine Ausstellung homöopathischer Mittel. 

Sie sind im Bereich Alternativmedizin der prominenteste Kritiker von König Charles. Warum ist von medizinischer Seite nicht mehr Opposition spürbar?

Es gibt tatsächlich wenige, die sich so weit aus dem Fenster lehnen wie ich. Es gibt aber auch keine weiteren Professorinnen oder Professoren für Komplementärmedizin in Grossbritannien. Wenn andere Fachbereiche mal direkt betroffen sind, regt sich durchaus Widerspruch. Prinz Charles forderte einmal in einem Vortrag vor britischen Krebsspezialisten: Ihr müsst euch mehr der Gerson-Therapie widmen. Er wisse von einem Fall, dass diese alternative Therapie bei Krebspatienten tatsächlich lebensrettend sein könne. Die rund 200 Onkologinnen und Onkologen im Saal hielten dann erst mal die Luft an. Bei der Gerson-Therapie werden Verdauungsenzyme verabreicht, die in einer Studie das Überleben der Betroffenen sogar verschlechterten. Einer fasste später Mut und gab ihm in einem schriftlichen Beitrag im «British Medical Journal» Kontra.

Bei Ihrer Kritik an König Charles, wie muss Ihnen die Situation in der Schweiz vorkommen? Hier wird die Homöopathie zusammen mit anderen komplementärmedizinischen Methoden von der Grundversicherung vergütet.

Als ich zum ersten Mal davon gehört habe, war ich sehr verwundert. Ich bin es bis heute. Es ist ja nicht so, dass in der Schweiz ein wissenschaftliches Gremium aufgrund von Studien zum Schluss gekommen wäre: Ja, das ist evidenzbasiert, wir sollten das in die Grundversicherung aufnehmen. Es war ein Volksentscheid.

Ist denn das so schlimm?

Homöopathie ist wirkungslos und kann Menschen sogar umbringen, wenn sie bei schweren Krankheiten statt einer wirksamen Therapie eingesetzt wird. Sie können über alles Mögliche eine Volksabstimmung machen, aber doch nicht über die Wirksamkeit einer Therapie. Über Wissenschaft lässt sich nicht abstimmen.

Zurück zu Grossbritannien: Wie sehen Sie die Zukunft? Wird sich König Charles oder die Evidenz durchsetzen?

Ich bin der festen Überzeugung, dass letztlich niemand gegen die Evidenz ankommt. Weder der Papst noch der König. Es wird jedoch sicher schwerer, wenn sehr einflussreiche Menschen dagegen angehen. Prinz Charles hat einmal gesagt, er sei stolz darauf, als Feind der Aufklärung bezeichnet zu werden. Das ist keine sehr ermutigende Aussage für ein Staatsoberhaupt.