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Fremdenfeindlichkeit in der Türkei
Er befeuert den Hass und will alle Flüchtlinge wegschicken

Ümit Özdag, der Führer der nationalistischen «Zafer Partisi» (Sieges-Partei), hier vor seinem von der Polizei verhinderten Versuch, zum türkischen Innenministerium in Ankara vorzudringen. 
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Am Ende wurde der Minister laut. Immer wieder hatte der Chef einer neuen kleinen Rechtspartei den türkischen Innenminister Süleyman Soylu öffentlich angeklagt, dass er allein verantwortlich sei für den unkontrollierten Zustrom von Flüchtlingen, dass er im Amt versage. Als dann auch noch der Film «Die lautlose Invasion» Furore machte, setzte sich der erzürnte Innenminister ins Fernsehen und zog Ümit Özdag von der Sieges-Partei die Ohren lang: Özdag hatte den Film mitfinanziert. Die Beschimpfungsarie gipfelte in dem Satz, Özdag sei «niedriger als ein Tier».

Özdag, in seiner Ehre gekränkt, sprach von einer tödlichen Beleidigung, drohte High Noon in Ankara an. Er betonte aber: «Ich komme allein und ohne Waffen.» Die Show vor dem Innenministerium endete dann früher als geplant. Polizisten und Sicherheitsleute verstellten Özdag den Weg, vor laufenden Kameras natürlich.

«Shootingstar» der türkischen Innenpolitik

An Aufmerksamkeit fehlte es dem neuen türkischen Rechtsaussen in den vergangenen Wochen nicht: Ümit Özdag verschafft sie sich. Mit ausländerfeindlichen Einwürfen findet er Raum in den türkischen Medien; die im Land viel beachtete Deutsche Welle nannte ihn warnend den «Shootingstar» der türkischen Innenpolitik.
Özdag, Chef der neu gegründeten Sieges-Partei, reitet die Welle mit seiner Migrationskritik, er sprich von einer Völkerwanderung. Elf Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs im Nachbarland Syrien und dem von
Präsident Recep Tayyip Erdogan freigegebenen Zuzug von inzwischen mindestens fast vier Millionen Kriegsflüchtlingen ist die Stimmung in der Türkei gekippt.

Die Syrer, von Erdogan einst als muslimische «Brüder und Schwestern» willkommen geheissen, sind zu Sündenböcken geworden. Bettelnde Flüchtlinge prägen das Strassenbild der Grossstädte, während andere Syrer, Iraker und Iraner erfolgreich Firmen und Geschäfte gründen, Subventionen bekommen, zu Konkurrenten des Mittelstandes werden.

Syrische Flüchtlinge in Sanliurfa nahe der Grenze zu Syrien. 

Hart getroffen werden aber vor allem die sozial Schwachen. «Türken finden wegen der Flüchtlinge und der Illegalen keine Jobs, keine Wohnungen», sagt Özdag im Gespräch. «Und die Fremden kosten den Staat jährlich bis zu neun Milliarden Dollar.» In der fremdenfeindlichen Tonlage europäischer Rechtspopulisten wie Marine Le Pen oder Geert Wilders fügt er hinzu, bei den Ausländern sei die Kriminalität «weit höher» als bei Einheimischen. «Türkische Frauen», so der Politiker, «trauen sich wegen der Fremden längst nicht mehr auf die Strasse.»

Das Thema Fremdenangst zieht in der Türkei, bei Teilen der Bevölkerung trifft Özdag die Stimmung. Präsident Erdogan wiederum kann sich nicht offen gegen die Flüchtlinge stellen, denen er vor zehn Jahren die Grenzen geöffnet hat. Aber auch er will sie inzwischen nach Hause schicken, ihnen als Anreiz zur Rückkehr in die syrische Heimat Häuser bauen auf der anderen Seite der Grenze, in den von der Türkei besetzten Sicherheitszonen. Denn ein gutes Jahr vor anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen versuchen Oppositionsparteien wie die CHP mit dem Thema zu punkten, schieben nur noch halbverschämt hinterher, man werde bei der Ausweisung «human» vorgehen.

«Alles zusammengezählt haben wir 10 Millionen Flüchtlinge und Illegale im Land – 7 Millionen Syrer, 1,7 Millionen Afghanen und 1,5 Millionen Afrikaner.»

Rechtspopulist Ümit Özdag

Anders Özdag. Er befeuert den Fremdenhass, will alle Flüchtlinge wegschicken, spricht von millionenfacher Abschiebung: «Alles zusammengezählt haben wir 10 Millionen Flüchtlinge und Illegale im Land – 7 Millionen Syrer, 1,7 Millionen Afghanen und 1,5 Millionen Afrikaner.» Belegen kann er dies nicht. Und Zweifel daran, dass die Ausweisung der Fremden bei der von ihm genannten Zahl von 10 Millionen Menschen funktionieren könne, wischt der Chef der Sieges-Partei beiseite: «Wenn der Staat etwas will, finden sich immer Wege, es zu tun.»

Die Zahl der Flüchtlinge in der Türkei ist zweifellos enorm hoch. Laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind 3,8 Millionen Syrer im Land. Hinzu kämen mehr als 300’000 Afghanen, Iraker, Iraner und Afrikaner sowie Hunderttausende illegale Arbeitsmigranten. Die meisten externen Experten gehen aber davon aus, dass die Zahlen weit höher liegen als offiziell erklärt. Und die miserable Wirtschaftslage verstärkt den Fremdenhass: Die Inflation liegt weit über 70 Prozent, die Währung verfällt, etwa die Hälfte der Türken kann Umfragen zufolge am Monatsende ihre Strom- und Gasrechnung nicht bezahlen.

Die Syrer, von Präsident Recep Tayyip Erdogan einst als muslimische «Brüder und Schwestern» willkommen geheissen, sind zu Sündenböcken geworden. 

Özdag, Sohn eines Diplomaten, kam 1961 in Tokio zur Welt. Der Vater war ein Weggefährte von Oberst Alparslan Türkes, einem der Putschisten von 1960. Familienfreund Türkes gründete die ultrarechte Nationalisten-Partei MHP. Die Partei, Mutterorganisation der berüchtigten «Grauen Wölfe», stützt heute Präsident Erdogan und seine islamisch-konservative AKP.

Özdag, der in Deutschland Politikwissenschaften studiert hat, fand seine politische Heimat anfangs in der MHP, verlor 2016 aber einen internen Machtkampf, wurde ausgeschlossen. Mit anderen Ex-MHP-Mitgliedern gründete er eine neue Rechtspartei: Die national-konservative, säkulare Iyi-Partei, die «gute Partei». Özdag legte sich dort erneut mit der Führung an, verlor wieder und gründete 2021 seine Sieges-Partei. Nun hat die Türkei drei rechts-nationalistische Parteien.

In Umfragen bekommt Özdags Partei inzwischen mehr als zwei Prozent, für eine neue Partei ist das in der Türkei ein Erfolg. Özdag selbst spricht sogar von fünf Prozent – ohne Beleg. Der Politologe Ersin Kalaycioglu von der Istanbuler Sabanci-Universität gibt der Sieges-Partei Chancen, ihren Gegnern bei den für den Sommer 2023 anstehenden Wahlen Stimmen wegzunehmen. Er sieht aber auch Schwächen: Bisher sei die Sieges-Partei «eine One-Man-Show», eine landesweite Struktur fehle, die Finanzierung sei unklar. Özdag treffe die ausländerfeindliche Stimmung, besetze aber keine anderen Felder. Das entscheidende Thema bei den Wahlen, so der Politologe, «wird aber fraglos die katastrophale Wirtschaftslage sein».