Sparen bei der EntwicklungshilfeDie Mitte auf Zickzackkurs: Aufstocken, kürzen, nicht kürzen, doch kürzen
Die Partei hat ihre Position zur Entwicklungshilfe zum dritten Mal geändert. Links wie rechts wird sie derzeit als wenig verlässlich wahrgenommen: «Wie würfeln» und «frivol» heisst es dort.
- Die Finanzkommission des Nationalrates will die Entwicklungshilfe kürzen.
- Sie nahm einen Antrag der Mitte an, die ihre Position mehrfach geändert hat.
- Mitte-Fraktionschef Philipp Bregy bezeichnet die Änderungen als normalen Prozess.
- Die Parteipräsidenten von SP und FDP äussern sich kritisch.
Auf die Mitte kommt es in der Schweiz an. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind so, dass die Partei oft den Ausschlag gibt. Zuweilen sind es auch nur einzelne Mitte-Vertreter: Stimmen einige von ihnen mit FDP und SVP, obsiegen diese. Dass die Mitte häufiger gespalten ist als die Polparteien, liegt in der Natur der Sache. Zuweilen ändert sie aber auch den Kurs um 180 Grad. Das jüngste Beispiel: die Entwicklungshilfe.
Die Finanzkommission des Nationalrates hat sich am Freitag für massive Kürzungen bei der Entwicklungshilfe ausgesprochen – auf Antrag von Mitte-Nationalrat Pius Kaufmann. Der Bundesrat beantragt dem Parlament für die nächsten vier Jahre Kredite von insgesamt 11,27 Milliarden Franken für die humanitäre Hilfe, die Entwicklungszusammenarbeit sowie die Förderung von Frieden und Menschenrechten. Die Finanzkommission will nun eine Milliarde streichen.
Aufstocken, kürzen, nicht kürzen, doch kürzen
Der Entscheid hat mit einem Kurswechsel der Mitte zu tun – einem mehrfachen. Noch im Frühjahr hatte die Mitte mehr statt weniger Geld für die Entwicklungshilfe gefordert. Sie kritisierte, dass 1,5 Milliarden Franken aus dem Entwicklungshilfe-Topf für die Ukraine vorgesehen sind. Weil dadurch weniger Geld für die Länder des Südens zur Verfügung steht als bisher, forderte sie eine andere Finanzierung der Ukraine-Hilfe.
Im Sommer sprachen sich die Mitte-Vertreter im Ständerat dann für eine drastische Kürzung der Entwicklungshilfe zugunsten der Armee aus. Der Ständerat beschloss, zusätzlich vier Milliarden für die Armee auszugeben – und die Hälfte davon bei der Entwicklungshilfe zu kompensieren.
Im Herbst – als es um die Entwicklungshilfe-Strategie der kommenden Jahre ging – sagte Mitte-Vertreter Benedikt Würth im Ständerat, der Entscheid vom Sommer sei «ein bisschen aus der Hüfte geschossen» gewesen. Auch die anderen Mitte-Vertreter sprachen sich nun gegen Kürzungen aus.
So sagte Beat Rieder, Experten hätten in der Kommission deutlich gemacht, dass ein massiver Einschnitt die internationale Zusammenarbeit nachhaltig schädigen würde. Und Andrea Gmür sagte: «Wenn wir jetzt von einem Tag auf den anderen kürzen, dann bedeutet das, dass die ärmsten Länder davon betroffen sind. Wollen wir das?» Der Ständerat sprach sich gegen Kürzungen aus.
Wermuth: «Die Mitte hätte auch würfeln können»
Nun hat der Wind in der Mitte wieder gedreht. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth sagt dazu: «Es macht den Eindruck, als hätte die Mitte auch würfeln können. Es kann doch nicht sein, dass man so wichtige Fragen mit derart schwerwiegenden Folgen auf die leichte Schulter nimmt.»
Dass die Mitte ihre Positionen ändere, sei zwar nichts Neues. Diese Kehrtwende gefährde aber Menschenleben. Es handle sich um einen Frontalangriff auf die Entwicklungshilfe – zugunsten der Armee, die nicht einmal sagen könne, was sie mit den zusätzlichen Milliarden kaufen wolle.
Mitte-Fraktionschef Philipp Bregy weist den Vorwurf, die Mitte wisse nicht, was sie wolle, zurück. «Das ist ein normaler Prozess in der parlamentarischen Arbeit», sagt Bregy. Im Sommer habe die Mitte den Kürzungen mit dem Hinweis zugestimmt, dass es noch Anpassungen brauche. Beim Nein im Herbst sei es um die Verpflichtungskredite für die kommenden Jahre gegangen. Schon damals habe die Mitte klargemacht, dass in den einzelnen Budgets dennoch Kürzungen möglich seien.
Tatsächlich hatten Mitte-Vertreter in der Debatte vom September gesagt, über Kürzungen im Budget werde man noch diskutieren können – auch im Zusammenhang mit dem Sparpaket der Expertengruppe von Serge Gaillard. Diese schlägt vor, die Ausgaben für die Entwicklungshilfe auf dem Planungsstand von 2025 einzufrieren. «Das kann man diskutieren, das finde ich vernünftig», sagte Benedikt Würth.
Bundesrat Cassis warnt vor Folgen
Das wäre allerdings mit deutlich weniger Kürzungen verbunden als der jüngste Vorschlag aus der Mitte. Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) hat sich dem Vernehmen nach in der Kommission denn auch dezidiert gegen den Vorschlag gewehrt. Kürzungen von 250 Millionen Franken pro Jahr seien mit der vorliegenden Strategie nicht vereinbar, sagte Cassis laut Kommissionsmitgliedern. Die gesamte Entwicklungshilfe müsste neu aufgestellt werden. Doch die Kommission ignorierte den Einwand des Aussenministers.
Die Entwicklungshilfe ist nicht das einzige Beispiel für eine verwirrende Haltung der Mitte. Ein ähnliches Hin und Her gab es bei der Frage, wie schnell die Ausgaben für die Armee wachsen sollen. Das Parlament beauftragte den Bundesrat unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges, die Armeeausgaben bis 2030 auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhöhen. Der Bundesrat beschloss ein etwas langsameres Wachstum. Das Parlament hiess diesen Plan erst gut – und überlegte es sich dann wieder anders. Auch hier spielte die Mitte eine Rolle.
FDP-Präsident Thierry Burkart ist aus anderen Gründen unzufrieden mit der Mitte. Diese sei immer weniger bereit, im bürgerlichen Lager zusammenzuarbeiten, sagte er jüngst in einem Interview. Der FDP-Präsident denkt dabei an Sozial- und Energiepolitik, aber auch an neue Steuern.
«Es erstaunt schon, wie frivol manche Exponenten der Mitte nach neuen Steuern rufen – im Chor mit der SP-Fraktion, die das Geld der Bevölkerung mit beiden Händen ausgibt», sagt Burkart auf Nachfrage. «Ich appelliere an alle fiskalisch verantwortungsvollen Kräfte der Mitte: Bevor wir neue Steuern beschliessen, müssen erst die Bundesausgaben sinken.»
Mitte-Präsident Gerhard Pfister schrieb nach dem Burkart-Interview auf X, den Rechten sei die Mitte zu links, den Linken zu rechts: «Gibt Schlimmeres.»
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