Rassismus im FussballEngland wehrt sich gegen die Dämonen
Nach dem Penaltyschiessen im EM-Final werden die drei Fehlschützen rassistisch beleidigt. Wieder einmal im Fussball auf der Insel – diesmal aber ist die Solidarität mit den Spielern überwältigend.
Die gute Nachricht vom Tag danach: Marcus Rashford ist auf seinem schwarz-weissen Wandgemälde fast kaum noch zu sehen.
Der Graffitikünstler Akse hat dem jungen Fussballer im Vorjahr ein Mauerbild an der Hausseite eines Strassencafés in Withington gewidmet – einem südlichen Vorort von Manchester, in dem Rashford seine ersten Lebensjahre verbrachte, ehe seine Familie in die benachbarte Gemeinde Wythenshawe umsiedelte. Das Bild ist eine Anerkennung des bemerkenswerten Engagements Rashfords bei der Bekämpfung der Ernährungsarmut von Kindern, insbesondere während der Corona-Pandemie.
Neben einem riesigen Portrait enthält es auch eine persönliche Widmung: «Sei stolz darauf, dass deine Anstrengungen die grösste Rolle für dein Ziel spielen werden.» Die Illustration dient vielen weniger gut gestellten Menschen in Grossbritannien als Symbol, für ihre Rechte einzustehen und nicht aufzugeben – und ist am vergangenen Sonntagabend zum Ort von Hetze geworden.
Nach Englands verlorenem EM-Final musste der 23 Jahre alte Rashford, der für Manchester United spielt, jede Menge Beschimpfungen über sich ergehen lassen, viele davon rassistisch. Vergleichbarem Hass sahen sich seine ebenfalls schwarzen Teamkollegen Jadon Sancho (21) und Bukayo Saka (19) ausgesetzt, die – wie Rashford – mit ihren Fehlversuchen im Penaltyschiessen die Niederlage gegen Italien besiegelten. (Lesen Sie dazu: Trainer Southgate verteidigt die Wahl seiner Penaltyschützen.)
An den drei Jungprofis liessen zahlreiche Engländer ihren Frust über das Scheitern vom Sonntag aus, über die jetzt schon 55 titellosen Jahre – und ihre Abneigung gegen Diversität und Weltoffenheit gleich mit. Die Feindseligkeit wurde vorwiegend im Internet abgesondert, aber sie verschriftlichte sich auch auf offener Strasse: indem das Rashford-Wandgemälde mit rassistischen Parolen überschmiert wurde.
Sogar das Königshaus verurteilt die Treibjagd
In der Nacht zum Montag bestätigte die Polizei in Greater Manchester, dass eine Untersuchung zu den Beschmierungen eingeleitet worden sei. Nicht nur das Team um Kapitän Harry Kane und Trainer Gareth Southgate sowie der nationale Fussballverband FA sahen sich gezwungen, die Treibjagd zu verurteilen, sondern auch die Regierung um Premier Boris Johnson und das britische Königshaus. Die «Financial Times» schrieb, dass die Heimniederlage im Londoner Wembley-Stadion traurigerweise wieder «die bösen Dämonen – Rassismus und Hooliganismus – des englischen Fussballs» hervorgerufen habe, die ihn bereits seit Jahrzehnten verfolgen.
Rund um Wembley war es im Vorfeld des Spiels zu anarchischen Zuständen gekommen. Angeblich sollen sogar Sicherheitskräfte mit Geld bestochen worden sein, um einem Mob ohne Eintrittskarten unrechtmässig Zutritt auf die Tribünen zu gewähren.
Der öffentliche Aufschrei darf als Fortschritt gewertet werden.
Am Dienstag beschäftigen sich die Tageszeitungen auf der Insel fast mehr mit der Aufarbeitung der Ausschreitungen und der rassistischen Beleidigungen als mit den sportlichen Nachwehen des Spiels. Dabei darf der Aufschrei in den (sozialen) Medien paradoxerweise schon als Fortschritt gewertet werden – über Jahrzehnte hinweg hatte England eher die Augen verschlossen vor den Verunglimpfungen schwarzer Spieler, von denen beinahe erwartet wurde, Anfeindungen klaglos zu akzeptieren.
Auf dem Weg zu diesem sensibleren Umgang mit Fremdenfeindlichkeit hat die Nationalmannschaft eine Vorreiterrolle eingenommen. Spätestens nach dem Fast-Abbruch eines Länderspiels in Bulgarien im Herbst 2019 nehmen die Three Lions eine bemerkenswerte Haltung ein, wenn es um das Auflehnen gegen jede Form von Rassismus geht. Seit einem Jahr kniet das Team vor jedem Spiel – und zieht den Protest selbst gegen Widerstände aus der eigenen Politik durch.
«Gestenpolitik»: Innenministerin schiesst Eigentor
Erst kürzlich wieder fand ein Regierungsmitglied, dass sich Rashford «besser auf das Perfektionieren seines Spiels als auf Politikmachen» konzentrieren solle. Vor der EM hatte Innenministerin Priti Patel das Niederknien der Nationalelf noch als «Gestenpolitik» verhöhnt, während sie sich nun auf Twitter strahlend im englischen Trikot präsentierte und sich in ihren Äusserungen auf einmal stark hinter die Spieler stellte.
Nun wandte sich der Abwehrspieler Tyrone Mings per Twitter an die Ministerin: «Sie können nicht zu Beginn des Turniers das Feuer schüren, indem Sie unsere Anti-Rassismus-Botschaft als ‹Gestenpolitik› bezeichnen, und dann so tun, als wären Sie angewidert, wenn genau das passiert, wogegen wir uns wehren», schrieb er.
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Weiterhin wartet Grossbritannien auf ein Gesetz, womit Verbreiter von Internethetze wirklich zur Rechenschaft gezogen werden können. Bis dahin bleibt als eindrucksvollste Massnahme wohl nur der Rückhalt aus dem Grossteil der Bevölkerung.
Auch am Dienstag fanden sich wieder zahlreiche Menschen in der Copson Street in Withington ein, um das beschmierte Wandgemälde ihrerseits mit Botschaften und Briefen zu überkleben. Auf angebrachten Herzchen stand, an Marcus Rashford gerichtet, zum Beispiel: «Held», «Bruder» und «Vorbild».
Als Dank für die Unterstützung schrieb Rashford in den sozialen Netzwerken zurück: «Ich kann mir Kritik an meiner Leistung den ganzen Tag lang anhören, mein Elfmeter war nicht gut genug, er hätte reingehen sollen, aber ich werde mich niemals dafür entschuldigen, wer ich bin und wo ich herkomme.» Von dem riesigen Kunstwerk ist inzwischen fast nur noch Rashfords Kopf zu erkennen. Der Rest ist Unterstützung.
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