Familienpolitik in der Schweiz«Gleichstellung? Vielleicht in der Theorie!» – 13 Argumente für und gegen eine Elternzeit im Check
Je 18 Wochen für Mutter und Vater: Eine überparteiliche Allianz will hierzulande eine Familienzeit einführen. Expertinnen und Experten ordnen die wichtigsten Argumente ein.

«Da würde ich klar widersprechen. Es gibt mehrere Untersuchungen, die zeigen, dass eine Elternzeit einen positiven Effekt auf die Erwerbsquote und das Arbeitspensum von Müttern hat. Sie bleiben eher auf dem Arbeitsmarkt, auch hochprozentig. Unsere Schätzungen ergeben, dass so pro Jahr rund 2200 Vollzeitstellen mehr besetzt würden. Dadurch tragen die Mütter über zusätzliche Steuern und Sozialversicherungsbeiträge wiederum zur Finanzierung der Familienzeit bei.» Philipp Walker, Wirtschaftswissenschaftler der Ecoplan-Studie zur Familienzeit
«Eine Familienzeit belastet die Lohnkosten und erschwert die Arbeitsorganisation. Wenn mehr Menschen eine Elternzeit nehmen, verschärft sich der Fachkräftemangel. Die indirekten Kosten werden massiv unterschätzt: organisatorischer Mehraufwand, Know-how-Verlust, Verzögerungen, Überlastung der verbleibenden Mitarbeitenden.
Das schwächt insbesondere die KMU, das wirtschaftliche Rückgrat der Schweiz. Ein stetig weiter getriebener Ausbau des Sozialstaats ist weder wünschenswert noch finanzierbar. Gerade in wirtschaftlich härteren Zeiten sind solche Forderungen nicht nachvollziehbar.» Simon Schnyder, Ressortleiter, Schweizerischer Gewerbeverband
«In den Daten sehen wir, dass die Geburt eines Kindes einen grossen Knick in den Karrieren der Mütter bedeutet, den sie nicht mehr aufholen. Das ist schlecht für die Wirtschaft. Eine Elternzeit, bei der fifty-fifty gemacht wird, würde die traditionelle Rollenverteilung aufbrechen. Das birgt die Chance, dass beide Eltern gleichermassen in den Job zurückkehren und so das Arbeitskräftepotenzial der Mütter besser genutzt wird.
Eine Elternzeit allein wird dafür aber nicht ausreichen. Zusätzlich müssten Firmen auch Karrierepfade anbieten, die mit Elternschaft vereinbar sind, also zum Beispiel auch Eltern in Teilzeit fördern. Zudem ist klar: Eine Elternzeit kostet. Ob sich das am Ende rechnet, hängt nicht zuletzt davon ab, ob Politik und Firmen an einem Strang ziehen.» Josef Zweimüller, Volkswirtschaftsprofessor, Universität Zürich
«Eine staatlich geregelte Familienzeit könnte dazu beitragen, dass mehr Frauen schneller und in höherem Pensum in den Arbeitsmarkt zurückkehren, was dem Fachkräftemangel entgegenwirken würde und die Wirtschaft stärken könnte.» Euplio Di Gregorio, Vizepräsident Schweizerischer KMU-Verband
«Eine Elternzeit hat gesamtwirtschaftliche Vorteile. Denn Kinder, die in einem sicheren Umfeld mit sicheren Bindungen aufwachsen, zeigen viel seltener sozial auffälliges Verhalten. Vor allem, wenn sie von ihren Vätern unterstützt werden, die bei der Entwicklung des Sozialverhaltens eine wichtige Rolle spielen. Es ist viel weniger wahrscheinlich, dass diese Kinder zum Beispiel psychische Probleme haben, an Süchten leiden oder kriminell werden.
Wenn man in gute Elternschaft investiert, wird das Kind dem Staat weniger zur Last fallen, es verursacht weniger Gesundheitskosten und Arbeitsausfälle.» Anna Machin, Anthropologin
«Das ist ganz klar so. Ein Teil der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt beruht darauf, dass Arbeitgeber erwarten, dass junge Frauen irgendwann schwanger werden und danach weniger zur Verfügung stehen. Deswegen werden sie zum Beispiel für Führungspositionen weniger berücksichtigt – oder erst gar nicht eingestellt. Oder sie erhalten weniger Lohn. Das ändert sich, sobald es auch für Männer selbstverständlicher wird, für die Familie Pausen im Erwerbsleben und in der Karriere einzulegen.» Michelle Beyeler, Politikwissenschaftlerin, Universität Zürich
«Eine Elternzeit fördert die Gleichstellung von Mann und Frau vielleicht in der Theorie. In der Praxis basiert sie auf einer unrealistischen Vorstellung vom Arbeitsmarkt. Die Initianten gehen davon aus, dass Mitarbeitende beliebig austauschbar sind. Doch das sind sie nicht – Mitarbeitende sind keine Schachfiguren.
Zudem existieren bereits heute wirksame und viel kostengünstigere Massnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie – wie Teilzeitarbeit, flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice. Diese Lösungen sind praxistauglich, langfristig tragfähig und berücksichtigen die Bedürfnisse sowohl der Arbeitnehmenden als auch der Arbeitgeber.» Simon Schnyder, Ressortleiter, Schweizerischer Gewerbeverband
«Mit Familienpolitik als isolierter Massnahme ist es meines Erachtens schwierig, Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in Österreich, hat die Elternzeit geringe Effekte gebracht, weil die Väter ihren Anteil nicht beziehen. Es ist deshalb von Vorteil, wenn für die Väter ein finanzieller Anreiz besteht, zum Beispiel eine hohe Einkommensersatzquote, so wie es das Initiativkomitee in diesem Fall vorschlägt.
Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Firmen ihre Personalpolitik modernisieren. Die Arbeitgeber müssen Jobs bereitstellen, mit denen Arbeit und Elternschaft besser vereinbart werden können. Ansonsten bringt eine Elternzeit nicht viel.» Josef Zweimüller, Volkswirtschaftsprofessor, Universität Zürich
«Rein aus ökonomischer Sicht ist dieses Argument absolut valide. Dabei sind drei Aspekte zentral. Erstens bleiben Frauen durch eine Elternzeit länger und mit einem höheren Pensum im Berufsleben. Dadurch verbessern sich ihre beruflichen Perspektiven, und die finanzielle Unabhängigkeit wird erhöht.
Noch viel wichtiger scheint mir der zweite Aspekt. Heute haben Arbeitgeber einen Anreiz, bei der Förderung junger Talente zwischen 25 und 35 Jahren eher einen Mann zu wählen – schlicht, weil Frauen in den Mutterschaftsurlaub gehen könnten. Eine Elternzeit würde dieses Ungleichgewicht aufheben, da auch Männer die Möglichkeit hätten, eine berufliche Auszeit für ihr Kind zu nehmen.
Drittens würde eine Elternzeit auch eine gerechtere Aufteilung der Care-Arbeit fördern. Wenn sich beide Elternteile von Anfang an gleichberechtigt um ihre Kinder kümmern, entsteht daraus ein paritätischeres, also gleichberechtigteres, Betreuungsmodell – auch über die Elternzeit hinaus.» Philipp Walker, Wirtschaftswissenschaftler der Ecoplan-Studie zur Familienzeit
«Eine familienfreundliche Arbeitswelt trägt zu einer gerechteren Gesellschaft bei und stärkt zusätzlich das Image des Unternehmens.» Euplio Di Gregorio, Vizepräsident Schweizerischer KMU-Verband
«Dass je 18 Wochen nicht finanzierbar wären, ist falsch. Unsere Studie hat ergeben, dass die Familienzeit pro Jahr rund eine Milliarde Franken kosten würde. Durch eine Erhöhung der Erwerbsersatzordnung (EO) von 0,5 auf 0,75 Lohnprozent wären die Kosten gedeckt. Ob je 18 Wochen zu lange sind, ist letztlich eine Frage nach unseren gesellschaftspolitischen Prioritäten.» Philipp Walker, Wirtschaftswissenschaftler der Ecoplan-Studie zur Familienzeit
«Absolut. Ein 36-wöchiger Elternurlaub würde nach unserer Einschätzung mehrere Milliarden kosten und müsste über höhere Lohnabzüge finanziert werden. Das bedeutet: Die Arbeitskosten steigen, die Nettolöhne sinken, und der Arbeitsmarkt verliert an Attraktivität. Langfristig leidet darunter nicht nur die Wirtschaft, sondern unsere Prosperität und unser gesellschaftliches Wohlergehen.» Simon Schnyder, Ressortleiter, Schweizerischer Gewerbeverband
«Die zur Debatte stehende Dauer der Familienzeit entspricht gemäss Empfehlungen der EU-Kommission der Minimalvariante. Es gibt in Europa Modelle, die viel weiterführen, mit Elternzeiten weit über einem Jahr. Je 18 Wochen sind im Vergleich mit anderen Ländern also gar nicht so revolutionär, wie einige glauben.» Michelle Beyeler, Politikwissenschaftlerin, Universität Zürich
«Wie lange eine ideale Elternzeit dauern soll, darauf gibt es keine pauschale Antwort. Eine bildungsökonomische Studie von 2011 zeigt begrenzte Hinweise dafür, dass eine Verlängerung des bezahlten Elternurlaubs die langfristigen Bildungs- oder Berufschancen der betroffenen Kinder signifikant verbessert. Sie bezieht sich zu einem grossen Teil auf Daten aus der EU.» Moritz Daum, Entwicklungspsychologe, Universität Zürich
«Der aktuelle Vorschlag fordert, dass Menschen mit niedrigen Löhnen während der Elternzeit weiterhin hundert Prozent ihres Lohnes bekommen. Gutverdienende würden entsprechend der EO-Entschädigung 80 Prozent ihres Lohnes erhalten, maximal aber 220 Franken pro Tag.
So gesehen stimmt dieses Argument nicht. Viel eher würde die Familienzeit die Chancengleichheit fördern. Denn heute können es sich nur wohlhabende Paare leisten, unbezahlt eine längere Elternzeit zu nehmen.» Philipp Walker, Wirtschaftswissenschaftler der Ecoplan-Studie zur Familienzeit
«Der Initiativtext sieht eine hohe Einkommensersatzrate vor. Damit fällt dieses Argument gegen eine Familienzeit weg.» Josef Zweimüller, Volkswirtschaftsprofessor, Universität Zürich
«Dem stimme ich nicht zu. Gerade am Anfang braucht ein Kind sehr viel Aufmerksamkeit. Eine Familienzeit würde dazu führen, dass Eltern weniger auf externe Betreuung angewiesen sind. Es kommt aber auch darauf an, wie flexibel unser Familienzeit-Modell ausgestaltet wäre. Im Initiativtext ist das nicht definiert.
Wenn es die Möglichkeit gäbe, dass die Eltern ihre Familienzeit in Teilzeit und dafür über einen längeren Zeitraum hinweg beziehen, könnten sie als Paar ein Betreuungssystem aufbauen und wären weniger auf externe Betreuung angewiesen. Nordeuropäische Länder haben damit gute Erfahrungen gemacht.» Michelle Beyeler, Politikwissenschaftlerin, Universität Zürich
«Das ist ein gutes Argument. Bezahlbare Kinderbetreuung ist wichtig für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es ist jedoch kein Killer-Argument gegen eine Familienzeit. Viel eher müsste die Kinderbetreuung zusätzlich günstiger werden. Unsere Berechnungen zur Elternzeit beruhen auf dem Istzustand bezüglich der Kinderbetreuung. Würde diese weniger teuer, würde sich der positive Effekt einer Elternzeit verstärken.» Philipp Walker, Wirtschaftswissenschaftler der Ecoplan-Studie zur Familienzeit
«Nur günstigere Kitaplätze führen nicht unbedingt dazu, dass mehr Mütter arbeiten gehen. Das sehen wir in unseren Daten. Aber auch bloss eine Elternzeit einzuführen, ohne günstige Kinderbetreuung anzubieten, nützt wahrscheinlich nicht viel. Es bräuchte beides – und noch mehr. Es ist ein Zusammenspiel von Familienpolitik, Personalpolitik in den Firmen und der generellen Sicht der Gesellschaft auf die geschlechterspezifische Arbeitsteilung.» Josef Zweimüller, Volkswirtschaftsprofessor, Universität Zürich
«Gewisse Mütter auch.» Michelle Beyeler, Politikwissenschaftlerin, Universität Zürich
«Gerade für KMU wäre eine solche Elternzeit von Vorteil, denn sie müssten sie nicht selbst bezahlen. Die Initiative sieht vor, dass die Familienzeit über Sozialabgaben oder Steuern finanziert würde. Wie genau, ist noch offen.
Eine Möglichkeit wäre, dass man das über die Erwerbsersatzordnung (EO) regelt. Unternehmen würden das Geld für die Elternzeit ihrer Angestellten von der EO zurückbekommen. So passiert das heute schon beim Mutterschaftsurlaub und beim Militärdienst. Die EO wird über Lohnkosten finanziert, zur Hälfte von den Arbeitgebern und zur anderen Hälfte von den Arbeitnehmern. Alle, die erwerbstätig sind, würden die Familienzeit so mitfinanzieren.
Die EO müsste für die Finanzierung von 0,5 Lohnprozent auf 0,75 erhöht werden. Konkret bedeutet das: Bei einem Bruttolohn von 6000 Franken müssten pro Monat zusätzlich 15 Franken an die EO bezahlt werden, 7.50 Franken durch den Arbeitgeber und 7.50 Franken durch den Arbeitnehmer. Das wäre finanziell machbar, auch für KMU. Zudem ist der Ausfall der Fachkraft schon weit im Voraus bekannt und daher gut planbar.» Philipp Walker, Wirtschaftswissenschaftler der Ecoplan-Studie zur Familienzeit
«Es besteht die Gefahr, dass die Kosten einer Familienzeit letztlich über höhere Sozialabgaben oder Steuern von KMU mitgetragen werden müssen. Solche zusätzlichen finanziellen Belastungen könnten kleine Unternehmen in einem bereits anspruchsvollen wirtschaftlichen Umfeld erheblich unter Druck setzen. Besonders Mikro- und Kleinstbetriebe, die oft mit knappen Margen arbeiten, wären davon betroffen.
Aus der Sicht von KMU sehen wir zudem erhebliche Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung. Kleine Unternehmer beschäftigen oft nur wenige Mitarbeitende, weshalb ein Ausfall, auch für kurze Zeit, rasch die Abläufe im Betrieb gefährden kann. Besonders in Branchen mit hohem Personaleinsatz und Kundenkontakt wie Handwerk, Gastronomie und Bäckereien können Abwesenheiten kaum kompensiert werden. Neue gesetzliche Regelungen bringen zudem meist administrative Belastungen mit sich, was gerade KMU mit begrenzten Ressourcen stark beansprucht.
Die Familienzeit-Initiative bietet Chancen, jedoch nur, wenn ihre Umsetzung die spezifischen Herausforderungen von KMU berücksichtigt. Ohne flexible Lösungen und ausreichende staatliche Unterstützung könnte sie für viele kleine Betriebe existenzgefährdend sein.» Euplio Di Gregorio, Vizepräsident Schweizerischer KMU-Verband
«Finanziell sehe ich da kein grundsätzliches Problem für KMU. Allerdings fällt der Arbeitsausfall einer Person in einem kleineren Geschäft natürlich mehr ins Gewicht als in einer grösseren Firma. Dieses Problem wird mit einer staatlich geregelten Elternzeit nicht aus der Welt geschaffen. So oder so, Arbeitgeber, die in Zukunft gut aufgestellt sein wollen, müssen sich heute damit befassen, wie sie ihre Firmenpolitik den modernen gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen können.» Josef Zweimüller, Volkswirtschaftsprofessor, Universität Zürich
«Ein staatlich verordneter Elternurlaub in diesem Umfang beseitigt keine Ungleichheiten – im Gegenteil, er verschärft sie. Grossunternehmen kommen damit besser zurecht, während KMU die Hauptlast tragen müssten. Der Wettbewerbsnachteil für kleine Betriebe würde noch grösser.» Simon Schnyder, Ressortleiter, Schweizerischer Gewerbeverband
«Eine einheitliche Regelung zur Elternzeit könnte verhindern, dass Unternehmen, denen es aus finanzieller Sicht nicht möglich ist, familienfreundliche Massnahmen anzubieten, gegenüber Mitbewerbern ins Hintertreffen geraten. Selbst wenn die Lohnkosten teilweise durch den Staat gedeckt werden, fallen für Unternehmen jedoch zusätzliche Kosten an, etwa für die Rekrutierung und Einarbeitung von Ersatzkräften.» Euplio Di Gregorio, Vizepräsident Schweizerischer KMU-Verband
«Es gibt mehrere Unternehmen, die heute schon eine Elternzeit anbieten, um Fachkräfte zu binden. Grossunternehmen können sich das leisten, KMU nicht. Wenn wir eine staatlich organisierte Elternzeit hätten, würden die KMU also ihren Wettbewerbsnachteil verlieren.» Philipp Walker, Wirtschaftswissenschaftler der Ecoplan-Studie zur Familienzeit
«Das ist ein Argument, das einleuchtet. Eine moderne Familienpolitik macht ein Unternehmen bei Arbeitnehmern attraktiv. Wenn die Familienzeit über die Allgemeinheit finanziert würde, käme das den KMU zugute.» Josef Zweimüller, Volkswirtschaftsprofessor, Universität Zürich
«Man sieht in Statistiken, dass Eltern heute häufiger Teilzeit arbeiten und sich zusammen um die Familie kümmern. Es gibt also Anzeichen dafür, dass die Gesellschaft für ein solches Modell bereit ist.» Michelle Beyeler, Politikwissenschaftlerin, Universität Zürich
«Eine deutliche Mehrheit der Paare in der Schweiz wünscht sich eine mehr oder weniger ausgeglichene Aufteilung von Erwerbsarbeit sowie Familien- und Hausarbeit zwischen den Elternteilen. Männer sind in diesen Befragungen jedoch etwas zurückhaltender.» Markus Theunert, Experte für Geschlechterfragen
«Ja, das konnten Studien zeigen – zum Beispiel in Norwegen, einem der ersten Länder, das eine Elternzeit eingeführt hat. Nach der Einführung ist die Aufteilung der Care-Arbeit in den Familien gerechter geworden, und das blieb auch nach Elternzeit so. Das Modell hat dazu geführt, dass die Gesellschaft Familie und Care-Arbeit neu denkt und umsetzt. Dazu gibt es viel Evidenz.» Michelle Beyeler, Politikwissenschaftlerin, Universität Zürich
«Damit eine Elternzeit tatsächlich die Gleichstellung fördert, braucht es vor allem Zeiten, in denen der Vater allein zuständig ist für die Kinderbetreuung. Nur das gewährleistet, dass sein Kompetenzerwerb mit dem der Mutter Schritt hält. Deshalb macht die Vorgabe Sinn, dass nur ein beschränkter Teil der Elternzeit von beiden Eltern gleichzeitig bezogen werden kann.» Markus Theunert, Experte für Geschlechterfragen
«Wenn beide Elternteile zu Hause sind, erhält das Kind Input von zwei verschiedenen Personen, das betrifft zum Beispiel Kommunikationsstile, Problemlösen, Aktivitäten. Der Input, den das Kind bekommt, ist also diverser. Kinder mit zwei unterstützenden Elternteilen zeigen tendenziell Vorteile in der kognitiven Entwicklung, aber auch schon ein unterstützender Elternteil wirkt sich positiv aus.
Insgesamt ist die Qualität der elterlichen Erziehung und des häuslichen Umfelds wichtiger als die reine Anwesenheit beider Elternteile. Zwei einfühlsame Bezugspersonen können die emotionale Sicherheit stärken – es ist für zwei Personen einfacher, prompt und adäquat auf die Bedürfnisse eines Kindes zu reagieren, als für eine Person allein. Ausserdem können sich die beiden Elternteile gegenseitig unterstützen und damit Stress abfedern.» Moritz Daum, Entwicklungspsychologe Universität Zürich
«Schwangerschaft und Geburt lösen eine gewaltige Flut von Bindungshormonen aus bei der Mutter. Väter müssen die Bindung durch Interaktion aufbauen. Und je länger ein Vater zu Hause sein kann, desto einfacher ist es für ihn. Dabei verändert sich auch der Hormonhaushalt, das Testosteron sinkt zum Beispiel. Das gilt übrigens, egal, ob man der biologische Vater ist oder nicht.
Die väterliche Bindung ist sehr wichtig, denn wir wissen, dass Kinder, die eine sichere Bindung zu ihren Vätern haben, wesentlich bessere Entwicklungsergebnisse erzielen in Bezug auf soziales Verhalten, emotionale Regulierung, bestimmte schulische Leistungen und psychische Gesundheit. Die Rollen von Müttern und Vätern sind nicht deckungsgleich. Sie ergänzen sich.» Anna Machin, Anthropologin
«Man muss sich die Situation in der Schweiz genau ansehen: Die höchsten Bezugsraten beim Vaterschaftsurlaub haben konservative Kantone wie Appenzell-Innerrhoden, Nidwalden oder Uri. Demgegenüber sind die städtischen, wohlhabenden Kantone Basel-Stadt und Genf am Ende der Rangliste. Das ist gut erklärbar.
Denn aus internationalen Daten wissen wir, dass die Bezugsquote des Vaterschaftsurlaubs stark mit der Höhe des finanziellen Erwerbsersatzes zusammenhängt. Der ist bei uns ja limitiert auf maximal 80 Prozent des Erwerbseinkommens und gut 6000 Franken, wenn man es auf einen Monatslohn hochrechnet. Das führt dazu, dass der Vaterschaftsurlaub für erwerbsstarke Väter nicht sehr attraktiv vergütet ist. Die haben aber mehr finanziellen Spielraum, um ihre Work-Life-Balance auch ohne staatliche Unterstützung so zu gestalten, wie es ihren Bedürfnissen entspricht.
Es hat eine gewisse Ironie, dass die Männer in den Kantonen mit dem geringsten Ja-Stimmen-Anteil aktuell am meisten vom Vaterschaftsurlaub profitieren.» Markus Theunert, Experte für Geschlechterfragen
«Jein. Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Geburtenrate und familienfreundlichen Rahmenbedingungen insgesamt. Dazu gehört aber mehr als eine anständige Elternzeit: Bezahlbare Kitas, etwa, oder eine Individualbesteuerung, die gewährleistet, dass sich ein höheres Erwerbspensum auch finanziell auszahlt.» Markus Theunert, Experte für Geschlechterfragen
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