Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Zoom
Eine Stadt wird zum Showroom

Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Wenn das Weltwirtschaftsforum in Davos zu seinem Jahrestreffen lädt, dann ist ein erhöhtes Aufkommen von Anzugträgern und teuren Limousinen zu beobachten, die sich im Schritttempo ihren Weg durch den Trubel auf der Promenade bahnen. Aber das ist nicht das einzige Merkmal, dass in der am höchsten gelegenen Stadt Europas etwas Besonderes vor sich geht.

Man sieht es auch bei der Bäckerei Weber. Oder im Laden von Chrüsimüsi Wolle. Oder bei Azzurro Sportmode. All diese lokalen Geschäfte legen kurzzeitig ihr übliches Gewand ab. Und verwandeln sich in Showrooms der potentesten Firmen dieser Welt. Sie werden zu Microsoft-Cafés oder Starbucks-Filialen, zu Empfangshallen für Nasdaq, Philip Morris oder Huawei, zu Fernsehstudios oder Aufenthaltsräumen. Und die Chämi Bar macht als Turkiye House internationale Karriere.
Der 1964 in Davos geborene Fotograf Jules Spinatsch hat mit seiner Kamera das World Economic Forum 2020 mitverfolgt – und einen Geist eingefangen, der ein anderer ist als jener Spirit of Davos, den man hier so gern beschwört.

Spinatsch zeigt den dienstbaren Charakter einer Gemeinde, die sich für ein paar Tage dem weltweiten Business untertan macht: Hausfassaden mutieren zu Werbeflächen, im Kurpark türmen sich Container zum temporären Medienzentrum, und mit Planen verkleidete Bauzäune trennen das Davoser Fussvolk von der Elite, die unter futuristischen Zeltkuppeln oder in Pop-up-Alphütten netzwerkt. Derweil wird der Schnee auf dem Trottoir bei all dem Verkehr noch ein bisschen schmutziger.

Im Bildband «Davos Is a Verb» führt Spinatsch diese erstaunliche Transformation vor Augen. Davos vergoldet seine zentral gelegenen Quadratmeter während des Weltwirtschaftsforums so erfolgreich, dass es sich Eigentümer leisten können, gewisse Flächen den Rest des Jahres über unvermietet zu lassen. Aber nicht nur das: Spinatsch macht auch die Pose der Mächtigen durchschaubar. Ihre Behauptung, Visionen für eine künftige Welt zu entwickeln, scheint doch nur ins ewige Mantra des Kapitalismus zu münden: Wachstum. «Innovation now. Growth forever» heisst es auf einer Werbetafel; «#GrowingEurope» anderswo.Und während die WEF-Teilnehmer Visitenkarten tauschen oder in der «Zen Zone» zur Ruhe kommen, versammeln sich auf den Strassen von Davos Aktivisten mit Regenbogenfahnen und Kartonschildern. Als wären sie die Garnitur, die dieser skurrilen Collage den nötigen Kontrast verleiht.Schlicht virtuos, wie Jules Spinatsch im Buch seine Bilder zu einer Erzählung formt. Einer Erzählung übrigens, der die Gegenwart eine unerwartete Pointe aufsetzt. Ein Jahr und eine Pandemie später nämlich wirken die betont optimistischen Slogans schal und beinahe ironisch. «Realize what’s possible»: So war das wohl nicht gemeint.