Kommentar zum Buchprojekt-EntscheidEin Urteil für die Meinungsfreiheit
Das Zuger Obergericht korrigiert ein Urteil gegen eine Tamedia-Journalistin. Das hat Folgen über den Einzelfall hinaus.
Das Zuger Obergericht hat in der Auseinandersetzung zwischen Jolanda Spiess-Hegglin und unserer Journalistin Michèle Binswanger ein Publikationsverbot aufgehoben. Seit Mai 2020 war es Binswanger dadurch verboten, in den Tamedia-Titeln und auch sonst über die wesentlichen Aspekte der Zuger Affäre zu publizieren. Auch ein geplantes Buch über die Zuger Landammannfeier 2014 und ihre medialen Folgen wäre verboten gewesen.
Dies, obwohl in der Presse, am Radio und im Fernsehen in über 1000 Beiträgen über das Verhalten der damaligen Grünen-Kantonsrätin und des damaligen SVP-Kantonsrats Markus Hürlimann an der Feier berichtet worden ist. Spiess-Hegglin und ihre Anwältin Rena Zulauf begründeten ihr Gesuch um das Verbot unter anderem damit, dass Binswanger Spiess-Hegglin «kritisch gegenüberstehe», und leiteten daraus ab, dass der Inhalt der Recherche persönlichkeitsverletzend sei, obwohl weder das Buch noch der geplante Artikel fertiggestellt ist – und auch der nähere Inhalt der Recherche weder Spiess-Hegglin noch dem Gericht bekannt war.
Es muss möglich sein, über ein Ereignis frei zu berichten, und es kann nicht sein, dass eine einzelne Journalistin davon ausgeschlossen wird, nur weil sie «kritisch» gegenüber einer Protagonistin ist.
In der Konsequenz hätte das bedeutet, dass sich nur noch Spiess-Hegglin zu den Ereignissen von 2014 hätte äussern dürfen, nicht aber Hürlimann, um den es im Buch vor allem gehen sollte. Die Redaktion Tamedia stellte sich aus mehreren Gründen hinter Binswanger und ging rechtlich gegen das Buch- und Rechercheverbot vor. Das Zuger Obergericht ist uns nun vollumfänglich gefolgt und spricht in einem Punkt sogar von einem «offensichtlichen Mangel».
Das ist sehr erfreulich, denn einerseits gibt es in der Zuger Affäre die Sichtweise von Spiess-Hegglin und von Hürlimann, es muss beiden möglich sein, sich frei zu äussern. Das Obergericht stellt zudem fest, dass Spiess-Hegglin die relevanten Tatsachen der Affäre selbst in der Öffentlichkeit gehalten hat und sich diesbezüglich nicht mehr auf den Privatsphärenschutz berufen kann. Andererseits muss es allgemein möglich sein, über ein Ereignis frei zu berichten, und es kann nicht sein, dass eine einzelne Journalistin davon ausgeschlossen wird, nur weil sie «kritisch» gegenüber einer Protagonistin ist.
Der Entscheid des Obergerichts ist ein klarer Entscheid gegen vorauseilende Zensur und für die Pressefreiheit. Dass das Gericht uns gefolgt ist, bedeutet allerdings keinen Freibrief. Es gilt, wie auch sonst, den Persönlichkeitsschutz zu beachten und die journalistischen Standesregeln einzuhalten, das versteht sich von selbst. Daran müssen sich unsere weitere Berichterstattung und auch das Buch von Binswanger messen lassen. Im Übrigen ist das Urteil noch nicht rechtskräftig und kann an das Bundesgericht weitergezogen werden.
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