Neues Urteil zu RechercheBuchprojekt zur Landammannfeier darf vorangehen
Das Zuger Obergericht hat das Gesuch von Jolanda Spiess-Hegglin abgewiesen und das einstweilige Publikationsverbot gegen die Tamedia-Redaktorin Michèle Binswanger aufgehoben.
Im Januar 2020, gut fünf Jahre nach der schweizweit bekannt gewordenen Feier zur Ernennung des damaligen Zuger Landammanns, wandte sich Tamedia-Redaktorin Michèle Binswanger an Jolanda Spiess-Hegglin. Diese war 2014 als Kantonsrätin Gast an der Feier. Binswanger kündigte ihr eine «grössere Recherche zur Skandalnacht in Zug und den medialen Folgen» an.
Dabei solle es in erster Linie um ihren Kantonsratskollegen gehen, mit dem es in jener Nacht zu einem Sexualkontakt gekommen war. Spiess-Hegglin sei eine zentrale Figur dieser Ereignisse und solle Gelegenheit erhalten, ihre Sicht der Dinge und deren Folgen in einem Gespräch darzulegen.
Spiess-Hegglin gelangte darauf an den Einzelrichter am Kantonsgericht Zug und beantragte den Erlass vorsorglicher Massnahmen. Sie und ihre Familie wollten endlich Ruhe von diesem Thema haben. Die Vorgänge beträfen ihre Privatsphäre. Deshalb sei die Publikation einer grösseren Recherche über die damaligen Geschehnisse persönlichkeitsverletzend.
Obergericht weist Spiess-Hegglins Gesuch ab
Noch am gleichen Tag verbot der Einzelrichter superprovisorisch, das heisst ohne Anhörung der Journalistin, was Spiess-Hegglin gefordert hatte – nämlich in Publikationen «Handlungen» von Spiess-Hegglin zu thematisieren oder Spekulationen zu äussern in Bezug auf den Kantonsratskollegen, in Bezug auf andere an der Feier anwesende Männer, in Bezug auf das Mass ihres Alkoholkonsums und in Bezug auf ihr Sexualverhalten. Zudem dürfe Binswanger nicht weiterverbreiten, Spiess-Hegglin bezichtige den Kantonsratskollegen der Vergewaltigung.
Vier Monate später bestätigte der Einzelrichter am Kantonsgericht das superprovisorische Verbot und erliess im Sinne einer vorsorglichen Massnahme ein einstweiliges Verbot gleichen Inhalts. Auf Beschwerde von Michèle Binswanger hob das Zuger Obergericht in einem 33-seitigen Urteil den Entscheid des Einzelrichters nun auf. Es wies das Gesuch von Spiess-Hegglin ab, vorsorgliche Massnahmen gegen die Publikation zu erlassen.
Mit anonymen Quellen versuchte Spiess-Hegglin die drohende Persönlichkeitsverletzung zu belegen. Ihr wurde offenbar zugetragen, dass bereits ein Buchmanuskript existiert, das viele «intime und private Schilderungen» enthalte und an zahlreichen Stellen spekuliere. Die Behauptung fand beim Obergericht kein Gehör. Wenn nicht einmal dem Gericht die anonymen Quellen namentlich offengelegt würden, seien die «pauschalen Behauptungen» nicht überprüfbar und deshalb nicht zu beachten.
Auch der Umstand, dass die Journalistin gegenüber der ehemaligen Kantonsrätin «kritisch» eingestellt ist, ist laut Obergericht «kein taugliches Kriterium, um daraus eine bevorstehende Persönlichkeitsverletzung abzuleiten». Wenn der Einzelrichter dies tue, erscheine dies «problematisch» und gehe «von vornherein am eigentlichen Thema vorbei».
Spiess-Hegglin war «selbst wesentlich daran beteiligt, dass der ‹Medienhype› um die Ereignisse der Landammann-Feier 2014 anhielt.»
Das Obergericht übersah aber nicht, dass Binswanger im Buchprojekt wohl auf die Vorgänge jener Nacht wird zu sprechen kommen müssen. In diesen Ausführungen könnte die Gefahr einer Persönlichkeitsverletzung liegen. Bloss: Sind die intimen Details jener Nacht überhaupt noch persönlichkeitsrechtlich geschützt?
Nein, entschied das Obergericht diese zentrale Frage. Der Geheim- und Privatsphärenschutz, der die Geheimhaltung von bestimmten Informationen bezwecke, sei nicht mehr zu erreichen, soweit der Sachverhalt einmal allgemein bekannt ist. Und bekannt seien Details einerseits aus legalen Quellen, nämlich aus zahlreichen straf- und zivilrechtlichen Verfahren. Andererseits aber, so das Obergericht, war namentlich auch Spiess-Hegglin «selbst wesentlich daran beteiligt, dass der ‹Medienhype› um die Ereignisse der Landammann-Feier 2014 anhielt und das Interesse daran nicht abflachte».
Das Gericht auferlegte Spiess-Hegglin für die bisherigen Gerichtsverfahren gegen Binswanger Gerichts- und Prozesskosten von insgesamt knapp 48’000 Franken. Dazu kommen die Kosten für ihre eigene Anwältin. Das Urteil des Obergerichts kann noch ans Bundesgericht weitergezogen werden. Laut Rena Zulauf, der Anwältin von Spiess-Hegglin, wird sich das Bundesgericht mit dem Urteil des Zuger Obergerichts befassen müssen. Es könne nicht sein, dass man den Privatklägerschutz verliere, wenn man sich gegen eine persönlichkeitsverletzende Publikation wehre.
Urteil Z2 2020 41 vom 1. September 2021
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