Ein Topskorer, der für sexuelle Gleichstellung kämpft
Der Amerikaner Tommy Wingels führte Aussenseiter Servette an die Spitze der Liga. Bemerkenswertes leistet er aber nicht nur auf dem Eis.
Der Sportchef lächelte. «Genf ist grossartig», schwärmte Chris McSorley, «ihr werdet es lieben.» Der Mann, dem diese Worte galten, konnte nur nicken. Ein paar Stunden zuvor war der neue Ser vette-Stürmer gelandet. Er spürte den Jetlag und war gedanklich in den USA bei seiner hochschwangeren Frau, die bald nachkommen sollte. Molly und Tommy Wingels erwarteten bald ihr zweites Kind. Aber bis sich McSorleys Versprechen auch auf dem Eis erfüllte, dauerte es ein ganzes Jahr: Erst im September 2019 wird aus einem Botschafter für die Gleichstellung von Homosexuellen der beste Stürmer der National League.
Allein der sportliche Teil erstaunt. Als Wingels 2018 in die Schweiz kam, brach in seinem ersten Spiel der Kiefer, er verpasste die Hälfte der Saison - und erhielt dennoch einen neuen Vertrag. 21 Skorerpunkte aus 21 Spielen zeigten, dass er gut genug ist für diese Liga.
Das Vertrauen zahlt sich nun aus. Nach drei Saisonwochen ist Wingels bester Torschütze und Assisteur seines Teams sowie zweitbester Skorer der Liga. Zwischenzeitlich führte er Servette trotz Sparkurs auf Rang 1.
Sport zählt, nicht Sex
Wer gut genug ist, ist gut genug: Dieses Motto steht nicht nur über dem ersten Schweizer Jahr von Tommy Wingels. Es bezeichnet auch sein gesellschaftliches Engagement. «You Can Play» heisst die Organisation, in deren Stiftungsrat der 31-Jährige sitzt und die sich dafür einsetzt, dass Sportler nach ihren sportlichen Fähigkeiten beurteilt werden. Und nicht nach sexuellen Präferenzen.
Für Wingels begann die Geschichte 2009 an der Universität von Miami, Ohio. Bei einem Team-Meeting ergriff der Manager das Wort. «Ich bin schwul», erklärte der 20-jährige Brendan. Dann geschah: nichts. «Es war uns völlig egal», erinnert sich Wingels, damals Stürmer und Buchhaltungsstudent. «Er war einfach unser Freund Brendan. Und seine Worte änderten nicht das Geringste daran, wie er sich gegenüber uns verhielt. Oder wir uns gegenüber ihm.»
Brendan war aber doch mehr. Er war der jüngste Sohn von Brian Burke, einem der wort gewaltigsten, mächtigsten Manager der NHL. Und er wurde bald selbst berühmt. Durch einen Artikel auf ESPN.com, in dem er sein nationales Coming-out hatte. Durch eine TV-Sendung, in der er im Gespräch mit seinem Vater für Toleranz eintrat. Und tragischerweise durch seinen Tod zwei Monate später, als er mit dem Auto im Schnee verunfallte.
Auch finanziell beteiligt
Am Grab seines Freundes hielt Wingels die Abdankungsrede, danach hielt er Kontakt mit dessen Familie. Und als Brendans Bruder Patrick 2012 eine Stiftung ins Leben rief, die sich für LGBTQ-Sportler einsetzt, war Wingels dabei. Mittlerweile bei den San Jose Sharks, beteiligte er sich auch finanziell, schrieb den ersten Check für «You Can Play» - die NHL-Prominenz folgte dutzendfach. Der Name der Stiftung geht auf Brendan zurück. «If you can play, you can play», pflegte der zu sagen, «wenn du gut genug bist, bist du gut genug.»
Sieben Jahre ist das her. Inzwischen ist Wingels nicht mehr Nachwuchshoffnung in San Jose, sondern zweifacher Vater und Schlüsselspieler bei Servette. Was sich dafür kaum geändert hat, ist das Verhalten von LGBTQ-Sportlern. Weder in der NHL noch in der National League gab es bisher ein Coming-out. Ob das von einem repressiven Umfeld zeugt - oder von der angestrebten Trennung von Sport und Privatem? Lob wünscht Wingels für sein Engagement jedenfalls nicht, «denn ich habe das Gefühl, etwas völlig Normales zu tun».
Da irrt er. Der Stürmer aus Illinois ist auf wie neben dem Eis eine Ausnahmeerscheinung.
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