Prozess Heard gegen Depp«Ein seltsames Ergebnis» – das sagen Rechtsexperten zum Urteil
Der Rosenkrieg zwischen Johnny Depp und Amber Heard endet mit einem Sieg für den Schauspieler. Warum Fachleute darin eine klare Botschaft sehen.
Rund zwei Millionen Menschen schauten gestern Abend via Youtube zu, als die Jury das Urteil im Prozess Johnny Depp gegen Amber Heard verlesen wollte. Doch als ob es der Spannung nicht genug gewesen wäre, schickte Richterin Penny Azcarate die Geschworenen nochmals zurück. Offenbar hatte man es versäumt, die Höhe der Entschädigung festzulegen. «Mindestens ein Dollar», sagt die Richterin. Ein erster Hinweis darauf, dass die Geschworenen zugunsten einer der Streitparteien befunden hatten. Nach einer schier endlosen Viertelstunde kehrte die Jury zurück und überreichte Azcarate das vollständige Urteil: Johnny Depp siegt über Amber Heard – aber er ist auch ein Verlierer. Warum? Eine Einordnung.
Die Anwältin Mackenna White, die Menschen über die Risiken der Veröffentlichung von sexuellem Fehlverhalten anderer berät, hält das Urteil für gefährlich. Der Spott, der nun im Netz über Heard hereinbräche, könne dazu führen, dass sich viele Opfer von häuslicher oder sexueller Gewalt nicht mehr trauen würden, sich zu melden. «Die vollständige Zerstörung von Amber Heard wird Auswirkungen haben», sagte White in der «New York Times». «Das Urteil könnte denselben abschreckenden Effekt haben, den wir all die Jahre versucht haben umzukehren.»
Für Erstaunen hat das Urteil auch bei Rechtsanalystin Emily D. Baker gesorgt: «Es ist ein seltsames Ergebnis», sagt sie im «People»-Magazin. «Johnny Depp gewann alle drei seiner Klagepunkte wegen Verleumdung, und Amber Heard gewann eine ihrer Gegenklagen.» Auch David Glass, Anwalt für Familienrecht und Psychologe, hält das Urteil für ein «sehr unerwartetes Ergebnis». Es sei «relativ selten», dass beide Parteien in einem Fall wie diesem gleichzeitig Gewinn und Niederlage erleiden. Doch das Urteil sei eindeutig zugunsten Depps ausgefallen, da die Jury Heard nicht geglaubt habe, sagt Glass ebenfalls zu «People». Jedoch hätten die Geschworenen ihrem Experten Glauben geschenkt, der behauptete, dass Heards Karriere «leicht beschädigt» worden sei.
«Diese Zahl von fünf Millionen Dollar Strafschadenersatz ist eine Botschaft.»
Von entscheidender Bedeutung sind für beide Rechtsexperten die Entschädigungssummen, welche die Jury festgelegt hat. Es sei sehr vielsagend, dass die Jury Depp zehn Millionen Dollar Schadenersatz plus fünf Millionen Dollar Strafschadenersatz zugesprochen habe, so Baker. Das sei ein Strafschadenersatz, der zeige, dass der Jury nicht gefallen habe, was Amber Heard getan hat. «Diese Zahl von fünf Millionen Dollar Strafschadenersatz ist eine Botschaft.» Die Geschworenen würden die Schuld demnach einzig bei Heard sehen. Die Richterin erklärte jedoch, die zweite Summe werde aufgrund der Gesetze in Virgina auf 350’000 Dollar begrenzt. Dadurch erhält Depp 10,35 Millionen Dollar.
Die noch grössere Botschaft sieht Baker jedoch in der Summe, die Depp auferlegt wurde. Heard seien zwar zwei Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen worden, aber gegen Depp sei keine Strafzahlung verhängt worden. «Das war meiner Meinung nach die klarste Botschaft, die die Jury gesendet hat.»
Als einen juristischen, persönlichen und professionellen Sieg für Depp und eine schockierende Niederlage für dessen Ex-Ehefrau Heard bezeichnet der «Spiegel» das Urteil. Heard hatte Depp häusliche Gewalt vorgeworfen, indirekt in einem Zeitungsessay von 2018 und zuletzt sehr direkt vor Gericht. Die Geschworenen glaubten ihr aber nicht, sie gaben Depps Verleumdungsklage statt. Sie glaubten also vor allem dem Mann. Was nun weltweit die Frage aufwirft, wo die Grenzen der #MeToo-Bewegung sind.
Schwierige Karriereaussichten
Beide Parteien dürften fortan erstmals einen schwierigen Stand in ihrer Branche haben. Rechts- und Filmexperten sehen laut einem Bericht der Nachrichtenagentur DPA das Ansehen beider Ex-Partner nachhaltig beschädigt. Zu viele hässliche Details über ihre kurze Ehe seien während des Prozesses ans Licht gekommen, die von Millionen Menschen im Fernsehen live verfolgt und in den sozialen Medien ausgiebig diskutiert wurden. «Beide werden wieder arbeiten, aber ich denke, es wird eine Weile dauern, bis ein grosses Studio sie als sicher genug ansieht, um auf sie zu setzen», zitiert DPA den ehemaligen Anwalt der Unterhaltungsbranche, Matthew Belloni. «Der persönliche Ballast, der in diesem Prozess aufgedeckt wurde, war einfach zu eklig für ein Studio, als dass es sich damit befassen wollte.»
Dieser Ansicht ist auch Eric Rose, Experte für Kommunikation und Krisenmanagement in Los Angeles. Die Reputation der Ex-Eheleute sei nachhaltig beschädigt. In dieser Hinsicht habe es keinen Gewinner gegeben. Die beiden hätten sich gegenseitig «zerfleischt». Es werde für Filmstudios nun schwieriger werden, Depp oder Heard anzuheuern, da die Studios Gefahr liefen, einen grossen Teil ihres Publikums potenziell zu verprellen. Denn die Fans seien jetzt in Anhänger von Depp oder Heard gespalten.
«Ich glaube nicht, dass Johnny Depp seinen Kindern einen Dienst erwiesen hat.»
Laut DPA sagte Brett Ward, ein Anwalt für Familienrecht in New York, Depp habe vor Gericht glaubwürdiger gewirkt, weil er den Konsum von Drogen und Alkohol eingeräumt und sich als manchmal schwierigen Menschen beschrieben habe. «Er sagt, er habe das für seine Kinder getan. Nachdem ich den ganzen Prozess verfolgt habe, glaube ich nicht, dass er seinen Kindern einen Dienst erwiesen hat, indem er all diese schmutzige Wäsche gewaschen hat.»
Ob sich der Prozess für Depp gelohnt habe, werde wohl erst in fünf Jahren feststehen, falls er sich wieder in der ersten Reihe der Hollywoodstars etablieren könne, so Ward. «Und wenn er das nicht tut? Ich denke, er hat einen schrecklichen Fehler begangen, denn die meisten Leute werden sich nicht an seine beachtliche Hollywood-Karriere erinnern. Sie werden sich an diesen Prozess erinnern.»
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