Trump und die Evangelikalen«Ein Pakt mit dem Teufel»
In den USA machen weisse Evangelikale ein Viertel der Wählerschaft aus. 81 Prozent von ihnen stimmten 2016 für Donald Trump, doch einige bereuen die unheilige Partnerschaft nun. Das könnte entscheidend sein.
Zur Wahl 2016 war Jennifer Schnabel längst vom Glauben abgefallen. Zumindest vom Glauben an jene, die ihr eingetrichtert hatten, nur wenn sie Republikaner wähle, könne sie eine gute Christin sein. Es waren die Bush-Jahre, als sie anfing, ihre Identität als evangelikale Christin infrage zu stellen. «Wer nicht für Bush stimmt, der tötet Babys, haben sie uns gesagt. Und wir sind gefolgt.» Dann sah sie die Bilder vom Irak-Krieg, von getöteten Kleinkindern, gestorben im US-Bombenhagel, befehligt von Präsident George W. Bush. «Ich war ausser mir», sagt sie im Video-Telefonat. Die Tränen fliessen, als wäre es gestern passiert, «meine Kinder waren in einem ähnlichem Alter.» Aber erst 2012 konnte sie sich überwinden, einen Demokraten zu wählen: Barack Obama. Und sie blieb dabei. 2016 wählte sie Hillary Clinton und nicht Donald Trump.
Waffenbesitz und Christentum
Es klingt paradox. Von Trump sagen viele, er könne keine Minute reden, ohne zu lügen. Dutzende Frauen werfen ihm vor, von ihm sexuell belästigt worden zu sein. Trump macht sich über Minderheiten lustig, stellt Menschen bloss, beschimpft sie. Doch ausgerechnet die Hardcore-Christen stehen wie keine andere Gruppe hinter ihm. Etwa ein Viertel aller, die in den Zwischenwahlen 2018 ihre Stimme abgaben, identifizieren sich als weisse Evangelikale. 2016 stimmten 81 Prozent der weissen Evangelikalen für Trump.
Weil aber ein Viertel der Wähler sich als weisse Evangelikale identifizierten, kann eine Verschiebung um wenige Prozentpunkte ein riesiges Problem für Trump werden. Und sie scheint gerade zu passieren. In einer vom renommierten PEW-Center beauftragten Umfrage geben 78 Prozent befragter weisser Evangelikaler an, Trump wählen zu wollen. Ein stolzer Wert, aber im August waren es 82 Prozent. Der Unterschied ist klein. «Aber er könnte reichen», sagt Robert Schenk, Leiter der Non-Profit-Organisation «Dietrich Bonhoeffer Institute» in Washington.
Schenk hat vom Büro einen schönen Blick auf den Supreme Court, wo diese Woche mit Amy Comey Barrett keine evangelikale Christin, doch eine sehr konservative katholische Richterin ihren Platz eingenommen hat. Vor wenigen Jahren hätte Schenk wohl gejubelt. Da leitete er noch eine evangelikale Organisation, verteidigte das Recht auf Waffenbesitz und bekämpfte die Abtreibung und die Homo-Ehe. Anfang der 1990er-Jahre wurde Schenk eine Art Galionsfigur der rechten Evangelikalen. Doch als ein Anhänger seiner Organisation 1998 den Gynäkologen Barnett Abba Slepian erschoss, der Abtreibungen vornahm, begann für ihn ein Umdenkprozess, wie Schenk selbst sagt.
Es begann mit Ronald Reagan
Heute graut es Schenk, wenn er etwa an jenes Bild Trumps im Oval Office denkt: Der Präsident umringt von evangelikalen Führern, ihre Augen zum Gebet geschlossen, Köpfe gesenkt. Schenk kennt alle, sie waren Kolleginnen und Kollegen. Heute verurteilt er ihre Nähe zu Trump: «Sie missbrauchen das heilige Gebet, indem sie es in den Dienst eines politischen Akteurs stellen.» Sie liessen sich zur Sicherung von Trumps Macht missbrauchen: «Wir haben einen Pakt mit dem Teufel gemacht.»
Der Pakt wurde erstmals mit Ronald Reagan geschlossen. Davor waren weisse Evangelikalen eine eher unpolitische, den Demokraten durchaus zugeneigte Gruppe ohne klare Führerschaft. Die Trennung von Politik und Religion gehörte zu den verbindenden Grundsätzen. Einflussreiche Prediger wollten das ändern. Jerry Falwell etwa, einer der bekanntesten TV-Prediger seiner Zeit. Er sah die weissen Evangelikalen als mächtige Bewegung.
Im geschiedenen Hollywood-Schauspieler Ronald Reagan sah Falwell den richtigen Partner. Falwell würde ihm 1980 die Stimmen der Evangelikalen liefern. Reagan sollte ihnen dafür Einfluss sichern und ihre Themen auf die grosse Bühne heben. Der Deal ging auf: 67 Prozent der weissen evangelischen Wähler unterstützten Reagan. Mithilfe der Evangelikalen wurden danach auch beide Bushs und 2016 Trump gewählt.
Donald Trump als Heilsbringer
Trumps Versprechen an die Evangelikalen war, möglichst viele Richterposten mit Abtreibungsgegnern und Verfechtern des Rechts auf Waffenbesitz zu besetzen, was gelang. Vor allem versprach er, sie würden eine Macht in Washington sein. Auch das hielt er. Mit Mike Pence als Vize-Präsident oder Mike Pompeo als Aussenminister hob er Evangelikale in höchste Posten. Auch versammelte Trump die bekanntesten TV-Prediger als Glaubensberater. Paula White etwa, die predigte, Reichtum sei Ausdruck der Nähe zu Gott.
Diese TV-Prediger bläuen Millionen Anhängern ein, Trump sei ihr gottgesandter Heilsbringer, der den Kulturkampf um Abtreibung, Frauenrechte und Homo-Ehe zu ihren Gunsten beenden könne. Für sie ist Trump eine «Abkürzung», um diesen langen, ermüdenden Kampf endlich zu beenden, sagt Schenk. Es helfe, dass Trump sich nicht wie ein frommer Christ verhält, sagt Schenk. «Die Rechtfertigung besteht darin, dass Gott sich immer wieder böser Charaktere bediente, die sein Werk vollbringen.»
Viele sehen das höchst besorgt. Seit Anfang Oktober ist der Wahlaufruf einer Gruppe evangelikaler Führer namens «Pro-Life Evangelicals for Biden», Abtreibungsgegner für Biden, im Netz. Zu den Erstunterzeichnern gehören Theologen, die immer republikanisch wählten. Biden, so ihr Wahlaufruf, müsse für Christen nicht erste Wahl sein. Aber im Vergleich zu Trump immer die erste Wahl.
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