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LGTBQ+-Menschen in Südkorea
Ein langer Weg zum Regenbogen

Gleiche Rechte für alle: Mitglied der südkoreanischen LGTBQ+-Gemeinde beim Seoul Queer Culture Festival.
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Die Farben des Regenbogens sind nicht so leicht zu finden in Seoul. Zumindest nicht, wenn es um die Regenbogenfarben geht, die für den Club Chingusai stehen, für die Menschenrechtsgruppe schwuler Männer, die ihre kleine Zentrale in den lebendigen Strassen des Bezirks Jongno hat.

Generaldirektor Lee Jong-geol erklärt am Telefon mit viel Geduld den Weg an Ecken und Geschäften vorbei bis zu einer unscheinbaren Tür neben einem Gemischtwarenladen. Eine schmale Treppe führt in den ersten Stock. Auf dem Weg nach oben kann man eine Galerie mit Porträtbildern von prominenten Homosexuellen betrachten. Zu sehen sind zum Beispiel das Tennisidol Martina Navratilova oder Popstar Elton John.

Im Gemeinschaftsraum des Clubs sitzt Lee Jong-geol (44) und will davon erzählen, was es bedeutet, im modernen Tigerstaat Südkorea ein Mitglied der LGTBQ+-Gemeinde zu sein, der Sammelbewegung für sexuelle Minderheiten. (Lesen Sie zum Thema zwei Artikel aus schweizerischer Perspektive: «Nach dem Coming-out sang die ganze Klasse ‹Happy Birthday›» und «LGBTQ, na und?»)

Er wünschte, er könnte nur von Fortschritten erzählen. Aber das geht nicht. Lee Jong-geol und seine Mitstreitenden müssen feststellen, dass Südkoreas Behörden und Politiker noch nicht ganz auf der Höhe der Zeit sind, wenn es um die Belange sexueller Minderheiten geht.

In den vergangenen fünf Jahrzehnten hat sich Südkorea von einer darbenden Autokratie zu einem Hightechstaat entwickelt. Südkoreanische Firmen gehören auf verschiedenen Feldern zu den Weltmarktführern. K-Pop ist ein Unterhaltungsgenre, das Menschen weltweit begeistert. Und wenn man durch Seoul streift, trifft man ständig auf Beispiele einer aufregenden Zukunftsarchitektur.

Sich zu outen, ist immer noch riskant im öffentlichen Leben Südkoreas.

Aber in manchen Menschenrechtsfragen ist das Land teilweise noch so konservativ wie vor 50 Jahren. In der Pandemie wurde das schon im Mai vergangenen Jahres ein grosses Thema, weil die staatliche Coronavirus-Bekämpfung die Privatsphäre der LGTBQ+-Mitglieder gefährdete.

Mit Kreditkarten- und Mobilfunkdaten spüren Südkoreas Pandemie-Fahnder sehr konsequent Infektionswege auf. Nachdem Medien von Corona-Fällen in Homosexuellen-Clubs in Itaewon berichtet hatten, befürchteten viele, dass diese Praxis bei ihren Arbeitgebern zu unfreiwilligen Outings führen könnte.

Denn sich zu outen, ist weiterhin riskant im öffentlichen Leben Südkoreas. Erst sehr wenige Prominente haben das gewagt, Politiker praktisch gar nicht, Wirtschaftsvertreter auch nicht. Auch deshalb ist es so schwierig zu sagen, wie viele Menschen in Südkorea sich selbst als LGTBQ+-zugehörig sehen. «Nach der Demografie anderer Länder schätzen wir, dass es fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung sind», sagt Lee. In Südkorea gibt es 52 Millionen Menschen. Chingusai hat ungefähr 100 offizielle Mitglieder.

Tod der ersten Transgender-Person in der Armee

Der konservative Politiker Ahn Cheol-soo zeigte in einer TV-Debatte, dass man in Südkorea unter Demokratie nicht zwingend den Schutz von Minderheiten versteht. «Wenn ein LGTBQ+-Festival stattfindet, wird es Leute geben, die das sehen wollen. Aber die Rechte derer, die dagegen sind, sollten auch respektiert werden.» Das Organisationskomitee des Seoul Queer Culture Festival und Menschenrechtsgruppen waren empört.

Aber die Aussage geriet wenig später in den Hintergrund. Denn Anfang März wurde Byun Hee-soo tot aufgefunden. Byun Hee-soo war die erste Transgender-Person in der südkoreanischen Armee. Sie hatte 2019 ihre geschlechtsangleichende Operation vollzogen und wollte weiter ihren Dienst tun. Aber die Armee entliess sie. Grund: Nach der Operation sei sie für den Militärdienst «nach dem geltenden Gesetz untauglich».

Der Verlust des Geschlechtsteils gilt nach südkoreanischem Recht als Behinderung. Daran hielt sich das Verteidigungsministerium. Byun Hee-soo kämpfte gegen das Urteil. Ein Bündnis von LGTBQ+-Aktivisten unterstützte sie. «Aber die Leute kannten ihr Gesicht, deshalb bekam sie keinen Job», sagt Lee Jong-geol. «Das war schlimm für sie.»

Hat seinen Eltern in der Provinz noch nichts von seiner sexuellen Orientierung erzählt: Lee Jong-geol, Chef einer Menschenrechtsgruppe schwuler Männer.

Natürlich, es hat auch schon echte Fortschritte gegeben. LGTBQ+-Gruppen in ganz Südkorea können ein reges Vereinsleben anbieten, demonstrieren, sich politisch einbringen. Das Seoul Queer Culture Festival ist seit 2000 ein etabliertes Fest, das sich hartnäckig gegen die Anfeindungen von aussen durchsetzt.

Aber insgesamt ist die Lage durchwachsen: Homo-Ehen sind gesetzlich nicht anerkannt. Das Militärstrafgesetz verbietet Analverkehr zwischen Soldaten. In der Pandemie fürchtet die LGTBQ+-Gemeinde immer noch, mit einem positiven Corona-Test ihre Identität preiszugeben und Mobbing am Arbeitsplatz zu riskieren. «Wir fühlen uns sozial diskriminiert in dieser Situation», sagt Lee.

Er ist trotzdem optimistisch. Eine junge Generation wächst heran, die nicht mehr so viel Angst hat vor Barrieren und Vorurteilen. Mit ihr könnte ein neues gesellschaftliches Klima in Südkorea entstehen.

Lee Jong-geol selbst kam einst aus der Provinz Jeollanam-do im Süden nach Seoul zum Studium. Erst in der grossen Stadt fand er die Leute, mit denen er reden konnte. Aber mittlerweile hat er das Gefühl, dass er auch in der alten Heimat etwas wagen kann. «Ich warte noch auf die richtige Gelegenheit», sagt Lee Jong-geol. Dann will er seinen Eltern endlich von seiner Sexualität und von seiner Arbeit bei Chingusai erzählen.