Aufstände in Haiti Ein Land kommt nicht zur Ruhe
Im Karibikstaat herrscht grosse Armut, kriminelle Banden terrorisieren die Bevölkerung. Wie konnte es so weit kommen? Bilder aus einem Land in Aufruhr.
In Port-au-Prince brennen Reifen, Mülltonnen und Polizeiautos. Die Proteste der haitianischen Bevölkerung werden lauter und heftiger. Die Demonstranten beklagen vor allem die hohe Bandenkriminalität im Land. «Wir können so nicht mehr leben», sagte einer der Protestteilnehmer der Nachrichtenagentur Reuters. «Wir fordern Panzer», ein anderer.
Polizisten gehen bei einem Protest in der Nähe des Amtssitzes des Premierministers in Deckung (7. August 2023).
Immer wieder kidnappen bewaffnete Gruppen in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince Anwohner. Vor allem die Zahl entführter Frauen und Kinder steigt laut Unicef «alarmierend». Allein in der ersten Hälfte des Jahres gab es fast so viele Entführungen wie im gesamten vergangenen Jahr. Insgesamt hat sich die Zahl zwischen 2019 und 2022 versiebzehnfacht.
Die kriminellen Gruppen kontrollieren Schätzungen der UNO zufolge ungefähr 80 Prozent der Hauptstadt. Die Einsatzkräfte im Land sind überfordert. Die Menschen sind verängstigt. Ende Juli campieren viele Haitianer vor der US-amerikanischen Botschaft, um dort Schutz zu suchen. Doch die haitianische Polizei räumt das Camp, auch unter Einsatz von Tränengas. Wenig später ziehen die USA ihr Botschaftspersonal aus Haiti ab.
In einigen Orten haben sich mittlerweile Bewohner zusammengeschlossen, um selbst gegen die Banden vorzugehen. Diese Spirale der Gewalt verschärft die ohnehin prekäre Lage in Haiti: Fast die Hälfte der elf Millionen Einwohner leidet den UNO zufolge unter Hunger. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich in Haiti sind enorm, der politischen Elite wird vorgeworfen, sich auf Kosten der Menschen zu bereichern.
Seit dem verheerenden Erdbeben 2010 mit mehr als 220’000 Toten ist Haiti von internationaler Entwicklungshilfe abhängig. Gewalt und Armut treiben die Menschen in die Flucht: Knapp 74’000 Haitianer haben im vergangenen Jahr ihre Heimat verlassen.
Viele flüchten zunächst in die Dominikanische Republik, mit der sich Haiti die Insel Hispaniola teilt. Das deutlich wohlhabendere Nachbarland schiebt allerdings jährlich Zehntausende haitianische Geflüchtete wieder ab. Fast die Hälfte der Flüchtenden wählt deshalb den Weg durch das mittelamerikanische Festland und den gefährlichen Darién-Dschungel zwischen Kolumbien und Panama.
Der Weg führt durch sehr unwegsames Gelände nach Mexiko und in die USA. Immer wieder verunglücken zahlreiche Menschen. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil viele Leichen nie gefunden werden. Die Menschen fliehen vor dem wachsenden Elend in ihrem Land, das auf eine lange Geschichte zurückgeht: Vor mehr als 200 Jahren rebellierten die versklavten Einwohner Haitis erfolgreich gegen die französischen Kolonialherren. Doch Napoleons Frankreich drohte mit einem erneuten Angriff und verlangte hohe Reparationszahlungen. Der junge Staat musste Kredite bei französischen Banken aufnehmen, die die Wirtschaft in ihrer Entwicklung lange lähmten.
Die Auswirkungen sind bis heute zu spüren: In Haiti leben fast 60 Prozent der Bevölkerung in Armut. Der Staat gilt als korrupt. Seitdem Präsident Jovenel Moïse vor knapp zwei Jahren ermordet wurde, führt eine Interimsregierung die Amtsgeschäfte. Neuwahlen sind seit 2018 immer wieder ausgesetzt worden. Inzwischen hat die Interimsregierung wegen der eskalierenden Gewalt bei der UNO um eine internationale Eingriffstruppe angefragt, mit Erfolg: Kenia hat angekündigt, 1000 Polizeikräfte nach Haiti schicken zu wollen. Auch die USA sicherten ihre Unterstützung zu.
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