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Politik beim ESC
Ein Grand Prix im Schatten des Krieges

Mit ihrem Song «1944» kritisierte sie die Annexion der Krim: Jamala gewann den ESC 2016. 
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In der Ukraine fallen die Bomben, und in Turin sprühen die Feuerfontänen: Der Eurovision Song Contest (ESC)  in Italien dürfte eine Gratwanderung werden – dort das Leid des Kriegs, hier der Musikwettbewerb mit seiner oft albern-heiteren Note und überdrehten Bühneninszenierungen.

Oleh Psiuk, Sänger des ukrainischen Starters Kalush Orchestra, spürt trotz dieser Diskrepanz von Kriegsleid und überdrehter Inszenierung Rückendeckung der Ukrainer für seinen Auftritt. «Sie wünschen uns Glück und sagen, dass das jetzt sehr wichtig ist für die Ukraine», sagte er der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung».

Die Buchmacher in den Wettbüros erwarten, dass sich die Fans des weltweit am meisten beachteten Musikwettbewerbs bei der Abstimmung mit der Ukraine solidarisieren: Das Kalush Orchestra gilt dort als Favorit für den Sieg. Sein Lied «Stefania» ist eine Mischung aus Rap und Folklore und eigentlich der Mutter von Rapper Psiuk gewidmet.

«Ich werde immer zu dir kommen, auch wenn alle Strassen zerstört sind» – die Zeile hat angesichts der massiven Zerstörungen in der Ukraine eine sehr aktuelle politische Note, auch wenn das Lied schon lange vor dem Krieg geschrieben wurde. Viel konkreter sind allerdings die unmittelbaren Auswirkungen des Kriegs auf die Band: Eines der Mitglieder wird nicht in Turin auf der Bühne stehen, weil der Mann gerade als Kämpfer Kiew verteidigt.

«Wir repräsentieren jeden Ukrainer», sagt Psiuk. «Ein Höchstmass an Verantwortung» verspürten sie mit ihrem Auftritt. Und das Kalush Orchestra geniesst auch ein Höchstmass an Unterstützung. Der italienische Vorjahressieger Maneskin unterstützt die Ukrainer. 

Alle Augen werden auf ihn gerichtet sein: Oleh Psiuk, Frontman der ukrainischen Band Kalush Orchestra.

Neutral und unpolitisch möchte der Eurovision Song Contest (ESC) sein. Dies steht im Regelwerk des weltweit am meisten beachteten Musikwettbewerbs festgeschrieben. Angesichts des Kriegs in der Ukraine gibt es aber Zweifel, dass diese Haltung beim diesjährigen ESC im italienischen Turin durchgehalten werden kann. Die Vergangenheit zeigt, dass sich das Musikereignis nie ganz von der allgemeinen Lage abkoppeln konnte.

Der Zypernkonflikt

Der Konflikt auf der Insel führte 1975 zum Boykott Griechenlands des ESC-Finales in Stockholm. Im Jahr davor hatte es blutige Auseinandersetzungen auf der Insel gegeben, an denen auf der einen Seite Griechenland und auf der anderen Seite die Türkei beteiligt waren. Als 1975 die Türkei erstmals am ESC teilnahm, boykottierte Griechenland deshalb den Wettbewerb.

Der Nahostkonflikt

Israel war dreimal als Vorjahressieger ESC-Gastgeber. Zweimal sorgten sie für Kontroversen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt. 1979 machten arabische Staaten so lange Druck auf die Türkei, bis diese ihre eigentlich zugesagte Teilnahme am ESC-Finale wieder absagte. Vor dem ESC 2019 in Israel gab es einen von bekannten Künstlern betriebenen Boykottaufruf wegen des Vorwurfs der Menschenrechtsverletzungen Israels an den Palästinensern.

Sie spielen in den Trümmern von Gaza-Stadt und rufen zum Boykott des ESC 2019 auf: Mitglieder der Band «Dawaween».

Die Balkan-Kriege

Im Zuge der Balkan-Kriege ging die Europäische Rundfunkunion EBU vor allem gegen Serbien und dessen damaligen Präsidenten Slobodan Milosevic vor. Die EBU schloss die von Milosevic als Nachfolgestaat Jugoslawiens gegründete Bundesrepublik Jugoslawien aus, von 1993 bis 2003 durfte diese nicht teilnehmen. 1999, als die Balkan-Kriege endeten, sangen alle Teilnehmer zusammen mit dem Publikum für die Opfer des Kriegs am Ende des ESC-Finales den israelischen Siegertitel von 1979, «Hallelujah».

Der Kaukasus-Krieg

Russland sorgte wiederholt für Auseinandersetzungen. Moskau war 2009 Gastgeber, ein Jahr nach dem Krieg mit Georgien. Georgien, das den damaligen Ministerpräsidenten Wladimir Putin für den Krieg verantwortlich machte, wollte mit dem Anti-Putin-Song «We Don’t Wanna Put In» antreten. Die EBU untersagte das Lied, Georgien verzichtete auf eine Teilnahme.

Die orange Revolution

In der Ukraine wiederum wird der ESC eng mit der Demokratiebewegung im Land verbunden. 2004 gewann Ruslana mit ihren «Wild Dances» den Wettbewerb, was der spätere Präsident Wiktor Juschtschenko als Antrieb für den Umbruch bezeichnete. Es folgte die orange Revolution, in deren Folge Juschtschenko Präsident wurde. 2005 schickte die Ukraine den bei den Demonstrationen zum Hit gewordenen Protestsong «Zusammen sind wir viele» in den Wettbewerb. Der Text war der EBU zwar zu politisch und musste umgeschrieben werden, aber die Verbindung zur Revolution blieb.

Die ukrainische Aktivistin unterstütze den ehemaligen Präsidenten Viktor Juschtschenko: ESC-Gewinnerin Ruslana Lyschytschko.

Die Annexion der Krim

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2014, nach der russischen Annexion der Krim, pfiff das Publikum beim ESC in Kopenhagen die russischen Tolmachevy Sisters bei jeder Gelegenheit aus. In diesem Jahr wurde Russland vom Wettbewerb wegen des Kriegs in der Ukraine ausgeschlossen.

2016 schliesslich bewegte sich die Ukraine erneut am Rande des Regelwerks: Das Siegerlied «1944» von Jamala behandelte die Deportation der Krimtataren durch den sowjetischen Diktator Josef Stalin – kurz nach der Annexion der Krim durch Russland ein natürlich eindeutig als politisch zu verstehendes Lied. Die EBU liess «1944» aber trotz starker Proteste aus Russland zu.

Wir berichten vom ersten ESC-Halbfinale ab 21 Uhr live. Der Schweizer Beitrag stammt von Marius Baer, der heute als vierter Act ins Rennen geht. Kurz darauf wird Kalush Orchestra aus der Ukraine zu hören sein.

AFP/so