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Prozess in Italien
Ein Agnelli im Gefängnis? Unvorstellbar – bis jetzt

Er hielt sich für unantastbar: Andrea Agnelli stand auf den Tribünen wie ein Kaiser, nun droht ihm der Gang ins Gefängnis. 
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Ein Sturz ist umso brutaler, je höher jemand zu sitzen glaubte. Und Andrea Agnelli, 47 Jahre alt, siedelte sich selbst ganz hoch an, höher geht fast nicht mehr: auf dem Dach des Fussballs, des italienischen und des europäischen. Wie er jeweils auf der Tribüne der Stadien stand, mit Dreitagebart und grimmiger Miene, alles an ihm schrie: Schaut hoch zu mir! Das macht einen nicht sympathisch. Aber was zählt schon Sympathie im Fussball?

Zehn Jahre lang war er Präsident von Juventus Turin, dem Verein, der seit 100 Jahren der Familie Agnelli gehört. Ein Club wie eine politische Institution, acht Millionen Anhänger im Land. Unter seiner Führung war Juve eine Weile so unerhört dominant, neun Meistertitel in Serie, dass den Mitbewerbern die Lust am Spiel verging. Und Agnelli stand da oben auf den Tribünen wie ein Kaiser und nickte die Trophäen routiniert ab. In Turin sprach man von einer Ära. Es hörte sich so an, als wäre sie auf Ewigkeit angelegt.

Er entstammt dem weniger glamourösen Zweig der dynastischen Familie.

Nun, sie ist schon aus. Juve steht im Verdacht, über Jahre hinweg wirtschaftlich unflätig bis kriminell gearbeitet zu haben, sport- und strafrechtlich. Und Andrea Agnelli, der scheinbar Unstürzbare, ist so brutal gefallen, dass man nicht einmal weiss, ob der Sturz am Ende nicht im Gefängnis endet. Ein Agnelli! Ein richtiger Agnelli!

Unter ihm wurde die «Alte Dame» zum Koloss

Andrea ist der Sohn von Umberto und dessen zweiter Frau, das ist der weniger glamouröse Zweig der dynastischsten Familie Italiens. Glamouröser ist der Zweig, der auf Umbertos Bruder Gianni zurückgeht, den gefeierten «Avvocato», Lebemann mit Charisma, Stilikone in jeder Hinsicht. Andrea jedenfalls studierte in Oxford und in Mailand, durchlief wie alle Sprösslinge einige Stationen in Firmen der Familie, unter anderem auch bei Ferrari, und ging dann zum Tabakkonzern Philip Morris.

2010 vertraute man ihm den Fussballverein an, die Lieblingsfiliale im Portfolio aller männlichen Mitglieder der Familie. Der durchmass gerade ein schmachvolles historisches Tief. Nach dem Betrugsskandal «Calciopoli» und der Zwangsrelegation in die zweite Liga war die «Alte Dame», wie man Juve nennt, gerade das nicht mehr: damenhaft und altehrwürdig.

Sehr viel traute man ihm nicht zu, auch in der Familie nicht. Doch Andrea Agnelli führte den Verein zurück an die Spitze und modernisierte das gesamte Umfeld: mit einem neuen Stadion, dazu dem J-Museum, der Erlebniswelt J-Village, dem J-Hotel. 2018 wählte ihn die Turiner Handelskammer zum «Turiner des Jahres». In der Laudatio hiess es, Agnelli sei ein «unternehmerischer Visionär», er habe den «traditionellen Sportverein in einen Handelskoloss verwandelt». Sportlich fehlte nur die Krone Europas, der langersehnte Sieg in der Champions League. Dann wäre die Revanche perfekt gewesen – auch über seine skeptischen Cousins vom glamouröseren Zweig der Familie.

An Ronaldo fast zerbrochen

Andrea Agnelli holte dafür den portugiesischen Altstar Cristiano Ronaldo nach Turin und bezahlte dem so viel Geld, dass der Koloss Juventus darunter fast zerbrach. Um die Löcher in der Buchhaltung zu stopfen und überhaupt noch mitspielen zu dürfen um Titel und Trophäen, schönte Juve mit allerlei Tricks die Bilanzen und belog dabei auch die Börse, die Aktionäre, den italienischen und den europäischen Fussballverband. Das jedenfalls ist der Verdacht der Turiner Staatsanwaltschaft. Deren Akte umfasst 14’000 Seiten, auch Protokolle abgehörter Gespräche sind dabei. In einem dieser Telefonate spricht Agnelli von «der ganzen Scheisse, die drunter liegt» und auf keinen Fall publik werden dürfe. Gemeint waren wohl die Schweinereien in der Buchhaltung.

Dem Verein sind nun schon einmal 15 Punkte abgezogen worden, weitere Strafen drohen. Und bald beginnt der Strafprozess, unter anderem wegen des Verdachts auf Bilanzfälschung. Die Präsidentschaft hat Andrea Agnelli schon abgegeben, freiwillig gewissermassen. Er hat sich selbst gestürzt.