Interview mit Präsidentin der BergkantoneWeshalb der Aufstand gegen die Abschaffung des Eigenmietwerts, Frau Maissen?
Das Parlament mache es sich zu einfach, kritisiert die Bündner Regierungsrätin Carmelia Maissen. Die Einnahmenausfälle träfen die Bevölkerung direkt.
Geht es nach dem Parlament, soll der Eigenmietwert abgeschafft werden. Wohneigentümer müssten also keine fiktive Miete für das eigene Heim mehr versteuern. Im Gegenzug würden auch Steuerabzüge für Unterhaltskosten und Schuldzinsen wegfallen.
Dieser Systemwechsel hat viele Vorteile. Er beseitigt etwa den Anreiz, sich zu verschulden. Die Gebirgskantone jedoch wollen nichts davon wissen. Sie wehren sich auch gegen eine neue Objektsteuer, mit der sie Zweitwohnungen besteuern könnten. Voraussichtlich noch in diesem Jahr wird das Volk darüber abstimmen.
Weshalb stellen sich die Bergkantone quer, wo doch ein beträchtlicher Teil ihrer Bevölkerung profitieren könnte? Carmelia Maissen, Präsidentin der Regierungskonferenz der Gebirgskantone, steht Rede und Antwort. Die 47-jährige Mitte-Politikerin ist seit drei Jahren Bündner Regierungsrätin und leitet dort das Departement für Infrastruktur, Energie und Mobilität.
Viele Hausbesitzer freuen sich, dass das Parlament den Eigenmietwert abschaffen will. Sie empfinden das Versteuern der fiktiven Miete als ungerecht. Dies gilt insbesondere für die Bergkantone, wo der Anteil der Wohneigentümer überdurchschnittlich hoch ist. Ausgerechnet diese Kantone stellen sich nun aber gegen den Systemwechsel. Warum?
In der Finanzdirektorenkonferenz haben sich 19 von 26 Kantonen gegen das neue Modell ausgesprochen. Die Gebirgskantone sind also nicht allein – von wegen «ausgerechnet». Wir sind aber in der Tat stärker betroffen von den Einnahmenausfällen, die der Systemwechsel mit sich brächte. Allein in Graubünden rechnen wir mit einem Minus von jährlich 90 Millionen Franken bei Kanton und Gemeinden.
Sind Sie sicher, dass Sie da nicht an Ihrer Bevölkerung vorbeipolitisieren?
Das tun wir nicht. 90 Millionen Franken sind für uns substanziell. Wenn diese wegfallen, müssen wir sie anderswo kompensieren. Entweder indem wir auf staatliche Leistungen verzichten oder indem wir die Einnahmen aus anderen Quellen erhöhen. Das trifft unsere eigene Bevölkerung. Der heutige Status quo ist eingespielt und hat sich bewährt.
Wirklich? Wenn man Hausbesitzer vom Eigenmietwert befreit und gleichzeitig die Schuldzinsabzüge streicht, könnte man den Anreiz eliminieren, dass sich Wohneigentümer verschulden. Wäre das nicht sinnvoll?
Nicht zum Preis dieser substanziellen Einnahmenausfälle. Diese fallen ja nicht nur bei uns an. Die Eidgenössische Steuerverwaltung hat berechnet, dass bei einem durchschnittlichen Hypozins von 1,5 Prozent jährlich 1,7 Milliarden Franken fehlen würden bei Bund, Kantonen und Gemeinden. Und dies in der jetzigen Situation, wo die Finanzen überall ohnehin schon knapp sind. Diese Einnahmenausfälle sind eindeutig zu hoch.
Wie viel davon fällt wegen der Abschaffung des Eigenmietwerts bei den Zweitwohnungen weg?
Laut unseren Schätzungen wären es in Graubünden – ohne den Anteil an der direkten Bundessteuer – 70 Millionen Franken bei den Zweitwohnungen und 20 Millionen Franken bei den Erstwohnungen. Auch in den anderen Gebirgskantonen sind die Dimensionen substanziell. Die Gebirgskantone haben signalisiert, mit einem Systemwechsel leben zu können, der nur die Erstwohnungen betrifft. Keinesfalls darf aber der Eigenmietwert bei den Zweitwohnungen fallen. Lange war auch der Ständerat dieser Ansicht. Aber dann hat er seine Meinung im letzten Moment um 180 Grad gedreht.
«Da hat es sich das Parlament etwas gar einfach gemacht.»
Das Parlament kommt den Bergkantonen allerdings entgegen. Es will allen Kantonen ermöglichen, eine sogenannte Objektsteuer auf Zweitwohnungen einzuführen. Warum nehmen Sie diesen Ball nicht auf, um die Einnahmenausfälle wieder auszugleichen?
Das ist eine Scheinlösung.
Weshalb?
Wenn die Objektsteuer in der Bundesverfassung steht, ist sie noch lange nicht eingeführt. Da gibt es zahlreiche Probleme.
Zum Beispiel?
Im Vollzug stellen sich viele unbeantwortete Fragen. Etwa wenn eine selbst genutzte Ferienwohnung auch vermietet wird. Ab welchem Ausmass gilt sie nicht mehr als selbst genutzt, sondern als vermietet? Es entstünden auch neue Umgehungs- und Optimierungsmöglichkeiten. Von der zusätzlichen Bürokratie und dem Widerspruch zur Idee, das Steuersystem vereinfachen zu wollen, ganz zu schweigen. Da hat es sich das Parlament etwas sehr einfach gemacht, indem es einfach alles offenlässt. Wir sind es sonst in der Schweiz gewohnt, dass Vorlagen sorgfältig durchdacht werden.
Befürchten Sie auch, dass der Systemwechsel vermehrt zu Schwarzarbeit führt?
Das ist nicht auszuschliessen. Heute gibt es einen Anreiz, in den Werterhalt des Wohneigentums zu investieren. Wenn man solche Kosten mit Rechnungen belegen kann, darf man sie vom steuerbaren Einkommen abziehen. Künftig bestünde dieser Anreiz nicht mehr.
Werden Sie sich im Abstimmungskampf gegen die Vorlage engagieren?
Ob und in welcher Form wir uns als Gebirgskantone engagieren werden, müssen wir in der Regierungskonferenz noch diskutieren.
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