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Drogenpionier fordert Legalisierung
«Unsere Suchtpolitik ist stehen geblieben»

BILD: RAISA DURANDI, ZUERICH, 13.12.2016 / Portrait von Dr. Thilo Beck ARUD-Mitglied.
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In Zürich sind derzeit wieder mehr Drogenabhängige im öffentlichen Raum zu sehen, der Konsum von Kokain und Crack nimmt laut dem neuen Suchtbarometer zu. Sind Sie besorgt?

Wenn die Temperaturen steigen, halten sich mehr Drogenkonsumierende draussen auf. Das ist normal. Ich hoffe, dass wir es mit dem saisonalen Trend zu tun haben und keine grossen Szenen am Entstehen sind.

So wie letztes Jahr auf der Bäckeranlage.

Ja. Dass sich diese Crack-Szene bildete, war aussergewöhnlich und hing mit der Schliessung der Kontakt- und Anlaufstelle (K&A) auf dem Kasernenareal zusammen. Dort steht inzwischen ein neues K&A-Provisorium, was eine erneute Szenenbildung verhindern soll. Was es geben wird, sind die üblichen, kleinen Szenen, etwa von alkoholabhängigen Menschen.

Und von Heroin- und Crack-Abhängigen?

Im öffentlichen Raum hielten sich bisher vor allem jene Konsumentinnen und Konsumenten auf, die von auswärts nach Zürich kamen, weil hier der Stoff erhältlich ist. Die K&A waren bisher Menschen aus der Stadt vorbehalten, neu stehen sie allen offen. Diese Integration geschieht aber nicht von heute auf morgen, das würde zu einem Ungleichgewicht und Durcheinander in den Konsumräumen führen.

Offene Drogenszenen sind wegen ihrer Sogwirkung gefährlich. Es kommen neue Leute mit Drogen in Kontakt. War das letztes Jahr der Fall?

In den K&A treffen Sie üblicherweise auf um die 50-Jährige, die Heroin konsumieren und auch Crack rauchen, und eine seit 2021 zu beobachtende etwas jüngere Gruppe. Auf der Bäckeranlage kamen aber bisher nicht bekannte jüngere Konsumenten hinzu, die wohl mit Kokain angefangen und mit Crack weitergemacht haben.

Woher kamen sie?

Wir wissen leider nicht mit Gewissheit, ob diese Jungen schon vorher konsumierten und die Bäckeranlage aufsuchten, weil dort die Substanzen waren. Oder ob sie erst in der offenen Szene mit dem Konsum angefangen haben.

Hat der Konsum von Crack in Zürich zugenommen oder ist er bloss sichtbarer geworden?

Zum einen ist er bestimmt sichtbarer geworden. Crack ist für Zürich kein neues Phänomen – anders als etwa in Genf. Zum anderen wissen wir aber auch, dass die Zahl der Crack-Konsumationen in den K&A seit Corona um 30 Prozent gestiegen ist. Die Fachleute wollen jetzt erheben, ob es mehr Konsumenten geworden sind oder ob die gleichen Leute mehr konsumieren als früher. Ich nehme an, es ist eine Mischung von beidem.

Was macht Crack so gefährlich?

Crack wird aus Pulver-Kokain zu rauchbarer Kokain-Base (auch Freebase genannt) in Klümpchen aufgekocht. In dieser Form wirkt Kokain am schnellsten und am stärksten. Damit ist ein hohes Suchtpotenzial verbunden, weil das menschliche Gehirn auf die Extremerfahrung anspricht und sie wiederholen will.

Und damit einher gehen Folgen wie eine rasche Verwahrlosung.

Das gilt aber nicht für alle Crack-Konsumenten. Es gibt auch Menschen, die nur einmal in der Woche Crack rauchen. Wenn jemand die Kontrolle verliert, spielen immer auch andere Faktoren mit – soziale Probleme, psychische Erkrankungen, Traumata, belastende Lebenssituationen. Wer obdachlos ist, bekommt mit Crack eher ein Problem als ein Konsument mit Job und Wohnung.

Wegen der Verbreitung von Crack und Kokain fordert die Stiftung Sucht Schweiz in ihrem neuen Suchtpanorama, die Drogenpolitik müsse überprüft und angepasst werden. Was halten Sie davon?

Diese Forderung ist auf verschiedenen Ebenen berechtigt. Was die Marktregulation angeht, stehen wir erst ganz am Anfang. Legale Substanzen wie Tabak und Alkohol sind, gemessen am Schadenspotenzial, viel zu locker reguliert, Regeln wie das Tabakwerbeverbot werden nicht konsequent durchgesetzt. Auf der anderen Seite werden andere Drogen kriminalisiert, ohne dass es etwas nützt. Da steht keine Logik dahinter. Die Betroffenen konsumieren die Substanzen trotzdem, aber sie müssen sie illegal beschaffen und kriegen sie in verunreinigter Form. Prohibition ist die schädlichste Form der Regulierung.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Einen legalen, regulierten Verkauf. Beim Cannabis ist ein erster Schritt getan, ein Gesetzesentwurf ist im nationalen Parlament in Erarbeitung, und es laufen Pilotprojekte wie jenes in Zürich.

Und das fordern Sie für alle Substanzen?

Die genaue Umsetzung wäre zu diskutieren, aber im Grundsatz ja. Heute überlassen wir die Konsumierenden der Organisierten Kriminalität. Wenn es die Substanzen hingegen in einem kontrollierten Umfeld zu kaufen gibt, kann ausgebildetes Personal den Menschen helfen und Probleme früh erkennen. Natürlich darf man den Konsum nicht fördern mit einem allzu leichten Zugang oder durch Werbung oder günstige Preise.

Aber das wäre mit Kokain aus der Apotheke doch der Fall?

Kokain zu beschaffen, ist heute schon das Einfachste auf der Welt. Sie könnten es jetzt am Telefon bestellen und kriegen es in einer Viertelstunde geliefert. Das zeigt doch: Prohibition bewirkt nicht viel.

So schlecht kann es um die Drogenpolitik nicht stehen, wenn Delegationen aus der ganzen Welt nach Zürich kommen, um von der Stadt zu lernen.

Gemessen an den internationalen Verhältnissen, stehen wir gut da, das stimmt. Wir haben in den 90er-Jahren die richtigen Schritte gemacht und sind der Heroin-Epidemie Herr geworden. Seither haben wir uns aber nicht weiterentwickelt. Die Suchtpolitik ist stehen geblieben.

Warum braucht es neue Massnahmen – im Grossen und Ganzen läufts doch gut?

Denken Sie doch bloss an Partydrogen. Beim Drug-Checking tauchen immer wieder gefährliche Substanzen auf. Aber jedes Wochenende konsumieren in Zürich Tausende Menschen MDMA, LSD, Psilocybin. Das tun sie so oder so, aber wir lassen zu, dass sich so viele Menschen potenziell gefährden. Ist das vertretbar? Ich finde nicht. Wir dürfen nicht wegschauen, sondern sollten einen rationalen und vernünftigen Umgang finden.