Analyse zu den US-WahlenIst er der Erlöser? Woher Trumps ungebrochene Popularität rührt
Vor vier Jahren lag Donald Trump am Boden, heute hat er wieder ernsthafte Siegeschancen. Was ist passiert?
«Ich bin eure Stimme.»
Diesen Satz sagte Donald Trump 2016, als er zum Präsidentschaftskandidaten nominiert wurde. Er richtete ihn an alle «entlassenen Fabrikarbeiter» und «vergessenen Männer und Frauen unseres Landes», die durch «schreckliche Handelsdeals» nicht nur das Einkommen, sondern auch die Würde verloren hatten.
Damit gab er nicht nur den Groove für den Wahlkampf vor. Er spurte auch vor, wie sein Sieg später interpretiert werden sollte: als Protestvotum jenes Bevölkerungsteils, den die Wirtschaft links liegen gelassen hatte – der Verlierer der Globalisierung.
Zu dieser Erzählung passte, dass Trump ausgerechnet im Rostgürtel Amerikas – in diesem industriellen Stammland, das seit den 1990er-Jahren durchwegs demokratisch gewählt hatte – eine historische Wende gelang. Der politische Quereinsteiger, der in einen populistischen Kreuzzug gegen das «manipulierte» System aufgebrochen war, hatte die Arbeiterschaft zu den Republikanern geholt.
Inzwischen sind acht Jahre vergangen. Donald Trump, der zwischenzeitlich den Präsidentenjob abgeben musste, tritt erneut zur Wahl an. Und obwohl der Ausgang dieser Wahl noch nicht feststeht, hat Trump ihr bereits den Stempel aufgedrückt. Denn er tritt dieses Mal noch extremer, noch populistischer, noch autoritärer auf.
Dass Trump dabei ernsthafte Siegchancen hat: Allein schon die Tatsache ist bemerkenswert. Der 78-Jährige ist ein verurteilter Straftäter. Seine Firma hat Steuern hinterzogen und Banken betrogen. Trump hat einen Volksaufstand zu verantworten und anerkennt die demokratischen Spielregeln nicht. Er lügt am Laufband, bezeichnet Einwanderer als «Tiere», die das «Blut der Nation vergiften» würden, und seine politischen Gegner als «Ungeziefer», die es auszurotten gelte – mit Gewalt.
Unter normalen Umständen hätte sich Trump damit längst selbst disqualifiziert. Umso mehr stellt sich die Frage, woher seine ungebrochene Popularität rührt.
Ist es die Wirtschaft?
Die Geschichte zeigt: Die Wirtschaft ist eine der wichtigsten Triebkräfte der Politik. Entsprechend wurde das seit Karl Marx’ Zeiten auch in der Wissenschaft reflektiert.
Auch der Populismus des 21. Jahrhunderts wird oft mit wirtschaftlichen Faktoren in Verbindung gebracht. Ressentiments entstehen gemäss dieser Lesart, wenn bildungsferne Schichten in Zeiten der Globalisierung und des rapiden technischen Fortschritts unterdurchschnittlich von Wirtschaftswachstum und Wohlstand profitieren. Angehörige dieser Schichten werden dann misstrauisch gegenüber den «Eliten» und offen für ausländerfeindliche und protektionistische Positionen.
Empirische Belege für diesen Zusammenhang gibt es zuhauf. Nach Trumps Sieg zeichnete eine Flut von Studien bis ins kleinste Detail nach, welche Menschen aus welchen Gründen für den Populisten gestimmt hatten. Der sogenannte China-Schock spielt in dieser Literatur eine wichtige Rolle: Hätte etwa die Industrie in Pennsylvania, Wisconsin und Michigan seit der Jahrtausendwende nur halb so fest unter der Handelskonkurrenz aus China gelitten, so berechnete eine Forschergruppe um den Ökonomen David Autor, dann wäre 2016 wohl nicht der Republikaner gewählt worden, sondern seine demokratische Widersacherin Hillary Clinton.
Befunde wie diese bestätigten sich auch in anderen Ländern. Auch in Deutschland, Frankreich oder Grossbritannien fand sich in den strukturschwachen Gebieten in aller Regel viel Zustimmung für die AfD, für Marine Le Pen und für den Brexit.
Dass der Populismus ganz generell auf dem Vormarsch war, schien in diesem Licht auch gut erklärbar – schliesslich hatte die Welt mit der Finanz- und Eurokrise soeben einen der tiefsten wirtschaftlichen Einschnitte in der Geschichte erlebt, mit einem scharfen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Dass solche Krisen radikalen Politikern Auftrieb verleihen, weiss man seit Adolf Hitlers Aufstieg Ende der 1920er-Jahre.
Ist es die Kultur?
Spult man nach vorn bis in die Gegenwart, hört sich das alles zwar immer noch sinnvoll an. Aber irgendwie doch nicht ganz zeitgemäss. Denn gerade in den USA herrscht heute alles andere als eine Krise. Im Gegenteil: Das Land überflügelt gerade den Rest der Welt. Davon zeugt eine kürzlich erschienene Titelseite des «Economist». Darauf steht die Schlagzeile: «Amerikas Wirtschaft ist grösser und besser als je zuvor.»
Die US-Beschäftigung ist auf einem historischen Hoch, die Arbeitslosigkeit auf einem Tief. Über die letzten vier Jahre gab es ein ansehnliches Lohnwachstum – und zwar real, also nach Abzug der Inflation. Dabei verzeichneten die tiefsten Einkommen die höchsten Lohnsteigerungen. Das heisst, die Ungleichheit ging zurück. Die Industrie erlebt zurzeit einen Boom, von dem vor allem republikanisch geprägte Regionen profitieren. Auslöser dafür waren auch Fördergelder der Regierung von Joe Biden.
Sicher: Die Preise von Konsumgütern sind gestiegen. Nahrungsmittel kosten seit der Pandemie ein Viertel mehr, Wohnungsmieten sind ein Fünftel teurer. Das beschäftigt die Menschen. Aber reicht es wirklich aus, um einen Politiker wie Trump zu wählen? Einen, den sein einstiger Stabschef heute unumwunden als Faschisten bezeichnet?
Die Antwort, die Politologinnen wie Pippa Norris darauf geben, lautet: Nein. Denn der Rechtspopulismus ist ihr zufolge nicht primär ein ökonomisches, sondern ein kulturelles Phänomen. Er ist Ausdruck einer Auflehnung gegen die liberalen Werte, die sich in den vergangenen Jahrzehnten in westlichen Gesellschaften durchgesetzt haben: Offenheit, Diversität, Chancengleichheit für Menschen jeglichen Geschlechts und jeglicher Herkunft. Von diesem Wertewandel fühlten sich vor allem weisse, ältere, ländliche und weniger gut ausgebildete Schichten bedroht, so Norris. Und sie suchen Schutz davor bei einem starken Anführer, der den Wandel bekämpft.
Die kulturalistische These erklärt, warum fremdenfeindliche Ressentiments etwa gegenüber Muslimen besonders ausgeprägt sind, obwohl muslimische Einwanderer im Vergleich zu anderen Einwanderern keine spezielle ökonomische Bedrohung darstellen. Sie erklärt, warum zu den glühendsten Anhängern von Donald Trump auch Leute gehören, die absolut keine Globalisierungsverlierer sind – zum Beispiel Elon Musk, der aktuell reichste Mann der Welt. Er hat es offenbar nie verkraftet, dass einer seiner Söhne lieber eine Frau sein wollte als ein Mann. Und hofft nun, so scheint es, dass Trump mit Härte gegen das «Woke-Mind-Virus» vorgehen würde.
Und schliesslich hilft die Betonung der Kultur, zu verstehen, warum die «Make America Great Again»-Bewegung derart messianische Züge angenommen hat.
Es ist alles – und noch mehr
Einen kontroversen Text dazu hat der Psychologieprofessor Dan McAdams verfasst. Darin beschreibt er den eigentümlichen Status, den Trump in dieser Bewegung hat.
Der New Yorker Politiker werde von seinen Fans zwar wie ein Erlöser verehrt, der das Land retten und vor dem Bösen bewahren könne – etwa indem er konservative Richter ernennt. Gleichzeitig wissen viele seiner Unterstützer genau, dass Trump als Mensch herzlich wenig auf die Werte gibt, die ihnen als Konservative wichtig sind.
Schlimmer noch: Mit seinem egozentrischen, hintertriebenen und auf Machtgewinn ausgerichteten Charakter sei Trump aus religiöser Sicht eigentlich eine Teufelsfigur. Und das wiederum weist laut McAdams auf das hin, worum es für viele seiner Wähler wirklich geht. Um einen Pakt, den sie mit dem Teufel geschlossen haben, damit dieser ihre liberalen Gegner in den Medien, an Schulen und an Gerichten bekämpft.
Vielleicht geht das alles viel zu weit. Und Donald Trump wird in den kommenden Tagen aus viel profaneren Gründen gewählt: weil er weniger Einwanderung und tiefere Steuern verspricht und weil viele Leute glauben, dass Trump lieber Golf spielen wird, als die amerikanische Demokratie und ihre Institutionen zu zerstören.
Womöglich trifft es den Nagel aber auch auf den Kopf. Und Trump wird Präsident, weil entscheidende Teile der Wählerschaft bereit sind, genau das in Kauf zu nehmen.
Eine Stimme haben die rechten Kulturkrieger in den USA jedenfalls schon lange. Und Trump lässt im Wahlkampf keinen Zweifel daran, was er als Nächstes zu bieten hat.
«Ich bin euer Krieger», sagt er. «Und ich bin eure Rache.»
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