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Donald Trump bei CNN
Amerika gruselt sich vor sich selbst

«Empörend» sei gewesen, was Amerika und die Welt soeben zu sehen bekommen hätten, ganz bestimmt sei das Publikum zu Hause jetzt «entsetzt». So bewerteten die Kommentatoren von CNN nicht etwa die Konkurrenz, sondern ihr eigenes Programm am Mittwochabend zur besten Sendezeit.

Es war eine ebenso zutreffende wie scheinheilige Analyse dessen, was der Sender soeben angerichtet hatte. Erstmals seit 2016 hat CNN am Mittwoch Donald Trump willkommen geheissen, der in diesen sieben Jahren die politische Szene der Vereinigten Staaten dominierte. Trump, der sich als Präsident derart über die Fragen von CNN-Korrespondentin Kaitlan Collins enervierte, dass er sie mehrfach öffentlich beschimpfte und ihretwegen sogar eine Medienkonferenz abbrach.

CNN strahlte das Bild jenes verrückten Amerikas aus, mit dem Jerry Springer die Welt unterhalten hatte: Aufzeichnung des Town-Hall-Meetings in Manchester, New Hampshire.

Dieselbe unerschrockene Kaitlan Collins war es nun, die Trump bei CNN empfing. Als Moderatorin trat die 31-Jährige die unmögliche Aufgabe an, den 76-Jährigen in Schach zu halten bei einer einstündigen Fragestunde mit 400 republikanischen und unabhängigen Wählern. Schon nach 2 Minuten begann Trump zu lügen, bezeichnete die Präsidentschaftswahlen 2020 als gefälscht. Das wüssten nur die «sehr Dummen» nicht. Collins unterbrach Trump umgehend: Hinweise auf Wahlfälschungen gibt es nicht.

Trumps Lieblingsschimpfwort für Frauen

Wie ein Matador habe sie beherzt eingegriffen, sollten ihre Kollegen später urteilen. Sie war bestens vorbereitet, ihre Moderation eine Meisterleistung unter den gegebenen Umständen. Doch diese sahen nicht vor, dass sie gegen den wilden Bullen obsiegen könnte. Trump redete meistens einfach weiter, wiederholte seine Lügen und Provokationen, noch einmal etwas lauter, bis das Publikum in Applaus ausbrach, der Collins’ Korrekturen übertönte.

Die Wahlen 2020? Gestohlen. Die Capitol-Stürmer vom 6. Januar 2021? Patrioten, die er mehrheitlich begnadigen werde. Das Urteil, er habe E. Jean Carroll 1996 sexuell genötigt? Die Frau sei ein «whack job», eine Verrückte, er bedaure ihren Ehemann. Selbst Moderatorin Kaitlan Collins beschimpfte er als «nasty», böse, eines seiner Lieblingsschimpfwörter für Frauen.

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Es werde spannend, zu beobachten, ob Trump sich moderater positionieren würde vor dem Publikum in dem Town-Hall-Meeting, einem Format, mit dem amerikanische Politiker Volksnähe zu zeigen versuchen, wenn sie dieses Volk wieder einmal brauchen: So bewarb der Sender den Anlass. Im Saint Anselm College in der Kleinstadt Manchester herrschten «Aufregung, Spannung und Dissens», berichtete CNN im Vorfeld. 

Indigniert stellten die Moderatoren fest, dass Trump das Publikum auf seiner Seite hatte.

Um danach die Kommentatoren mit heiliger Empörung festhalten zu lassen, «wir haben gar nicht genug Zeit, um alle Lügen Trumps zu überprüfen». Trump sei Trump, der ändere sich nicht, der beantworte keine Fragen, wenn es unbequem werde, sondern schalte immer sofort auf Gegenangriff, weiche der Nachfrage auf eine Lüge mit einer weiteren aus. Das sei den ganzen USA und der ganzen Welt jetzt vor Augen geführt worden, sagten sie auf CNN und erweckten den Eindruck, sie rechtfertigten sich damit vor allem vor sich selbst für die Scheinheiligkeit ihrer Trump-Show.

Indigniert stellten die Moderatoren fest, dass Trump das Publikum auf seiner Seite hatte. Ein Teil der Wähler lachte sogar mit, als er sich über E. Jean Carroll lustig machte, die Frau, die er laut einer Jury in New York sexuell genötigt hatte. Der Nachrichtensender CNN strahlte damit das Bild jenes verrückten Amerikas aus, mit dem Jerry Springer die Welt unterhalten hatte. Das Amerika, das sich vor sich selbst gruselt, aber die Augen einfach nicht lassen kann von der Unterhaltung, selbst in der politischen Arena.

Er denkt nicht daran, seinen Ton zu mässigen

Der Wahlkampf verspricht damit nach 2016 und 2020 bereits der dritte in Folge zu werden, der entgleisen dürfte. Trump wollte nicht versprechen, das Resultat der nächsten Wahl zu akzeptieren. «Falls es eine ehrliche Wahl wird, wäre es mir eine Ehre», sagte er nur, eine Einschränkung, bei der er trotz mehrfacher Nachfrage blieb.

Trump denkt auch nicht daran, seinen Ton zu mässigen, wie zu Beginn seiner Kampagne spekuliert worden war. Er scheint vielmehr überzeugt, die üblichen Gesetzmässigkeiten der US-Politik ein weiteres Mal ausser Kraft setzen und mit einem polarisierenden Politikstil eine weitere Amtszeit im Weissen Haus gewinnen zu können. Überraschen sollte diese Taktik nicht: Erstens ist Trump Trump, zweitens muss er sich die republikanische Kandidatur sichern, bevor er an den Wahltermin vom 5. November 2024 denkt.

Auch wenn er derzeit in allen Umfragen deutlich führt vor Floridas Gouverneur Ron DeSantis: Sicher sein kann sich Trump noch lange nicht, dass die Republikaner ihn nominieren werden. Die Entscheidung wird erst bei den Vorwahlen im kommenden Jahr gefällt. DeSantis ist noch nicht einmal offizieller Kandidat.

Die kampfeslustige Frische von 2016 ist aus Trump gewichen, auch präsentierte er kaum neue Ideen, wie er das Land im Fall seiner Wahl voranbringen könnte.

Unüberwindbar wirkte Trump am Mittwoch jedenfalls nicht. Wohl schaffte er es, sich als starken Mann in der Town Hall in Szene zu setzen. Auch er ist jedoch inzwischen sichtbar gealtert, ein Umstand, den er sonst an seinem demokratischen Gegenspieler Joe Biden bemängelt. Die kampfeslustige Frische von 2016 ist aus Trump gewichen, auch präsentierte er kaum neue Ideen, wie er das Land im Fall seiner Wahl voranbringen könnte. Er lamentierte länglich über die verlorene Wahl von 2020, behauptete, Russlands Krieg in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden beenden zu können, verlangte, Europa müsse mehr für seine Sicherheit zahlen, und schlug vor, die USA im Schuldenstreit zwischen Kongress und Weissem Haus einfach mal zahlungsunfähig werden zu lassen.

Der Austragungsort des Town-Hall-Meetings vom Mittwoch wird bei der Kandidatenkür eine entscheidende Rolle spielen. Den beschaulichen Bundesstaat New Hampshire – Leitspruch: «Frei leben oder sterben» – hatten Trump und CNN ausgewählt, weil er bekannt ist für eine besonders unberechenbare Wählerschaft, die mal nach rechts lehnt, mal nach links. Dort werden im kommenden Januar die ersten republikanischen Vorwahlen des Landes stattfinden, und wer New Hampshire gewinnt, holt in der Regel auch die Nominierung. Mit dem Town-Hall-Meeting vom Mittwoch hat Trump dem Bundesstaat in Neuengland bereits drei Besuche abgestattet, seit er offiziell ins Präsidentschaftsrennen 2024 gestiegen ist.

CNN erhofft sich neuen Schwung

Die Spannung dieses Rennens soll auch CNN neuen Schwung verleihen. Vorbei sind die glorreichen Zeiten des Flaggschiffs des amerikanischen Fernsehjournalismus, das von Trump mindestens ebenso profitierte wie Trump von dem Sender, den er aber bei jeder Gelegenheit als «Fake News» verunglimpfte. Inzwischen darbt das Netzwerk, erst gerade sackten die Quoten auf ein neues Allzeittief ab. Obwohl der neue Chef Chris Licht bereits seit einem Jahr an einer Neupositionierung arbeitet, mit einem «weniger parteiischen Ton», oder eben einem Rechteren, wie Kritiker sagen. Mit Trumps Auftritt am Mittwoch dürfte Lichts Sender ein Quotenrenner gelungen sein, auch Starjournalistin Kaitlan Collins vermochte ihr Können unter Beweis zu stellen.

Der wahre Sieger aber heisst Donald Trump, der nach dem Sturm auf das Capitol 2021 erledigt schien. Der als erster US-Präsident strafrechtlich angeklagt wurde. Der eben erst wegen sexueller Nötigung zu Schadenersatz verurteilt worden ist. Und der jetzt bei CNN nach sieben Jahren Funkpause wieder den besten Sendeplatz belegen kann.