Dominic Strickers Reise am US OpenVor der grössten Kulisse seiner Karriere kommt das Ende
Auch gegen Taylor Fritz (ATP 9) hält der Schweizer im Achtelfinal des US Open gut mit, verliert aber 6:7, 4:6, 4:6. Der New Yorker Exploit dürfte seine Karriere befeuern.

Taylor Fritz stiess einen Urschrei aus, als Dominic Stricker die letzte Vorhand ins Netz gesetzt und er diesen jungen, aufstrebenden Schweizer geschlagen hatte. Die Weltnummer 9 hatte grossen Respekt gehabt vor Stricker, das war offensichtlich, und war sehr erleichtert, als die Aufgabe gelöst war. Nachdem Stricker nach dem 6:7 (2:7), 4:6, 4:6 den Court verlassen und in die Ränge gewinkt hatte, sagte Fritz im Platzinterview: «Es war ein extrem intensives Dreisatzmatch, in dem einige wenige Punkte hier und dort entschieden haben.»
In der Tat war Stricker auch gegen Fritz über weite Strecken ebenbürtig. Aber der Amerikaner war effizienter, spielte ein exzellentes Tiebreak im Startsatz, verwandelte insgesamt drei von vier Breakbällen und wehrte selber drei von vier mit guten Aufschlägen ab. «Es war ein guter Match. Ich kann mir fast nichts vorwerfen», resümierte Stricker. «Höchstens die beiden Breakbälle beim 5:5 im ersten Satz. Wenn ich einen verwerte, kann das der Partie eine ganz andere Richtung geben. Aber er hat da auch zweimal gut serviert. Das macht diese Topspieler aus: dass sie in diesen Momenten ihre ersten Aufschläge finden.»
Fritz solider als Tsitsipas
Es sei für ihn sehr wertvoll gewesen, am US Open gegen zwei Top-10-Spieler zu spielen, sagte Stricker. Beim Fünfsatzsieg über Stefanos Tsitsipas (7) hatte seine Linkshändervorhand gegen die einhändige Rückhand des Gegners noch mehr Wirkung gezeigt als nun gegen die zweihändige von Fritz. «Taylor war wirklich sehr solide», sagte Stricker. «Er macht allgemein wenig Blödsinn, zieht einfach sein Spiel durch. Sobald dein Ball kurz wird, geht er drauf. Und er hat mega gut serviert.» Allerdings schlug der 1,96-Meter-Mann nur vier Asse mehr (17:13) als Stricker.
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Dessen wunderbare Reise fand also im Achtelfinal ihr Ende. Als der 21-Jährige vor zwei Wochen in die Qualifikation gestartet war, hatte er nicht ahnen können, was ihn erwarten würde. Er spielte 7 Matches und 25 Sätze in 13 Tagen und weiss nun, dass er mit den Besten mithalten kann. Wie wertvoll dies für Stricker sei, sei kaum abzuschätzen, sagt Heinz Günthardt, der 1978 als Lucky Loser in Springfield als erster Schweizer ein ATP-Turnier gewann. Für den Zürcher war das der Startschuss in eine erfolgreiche Profikarriere. «Manchmal braucht es auch ein bisschen Glück, und dann kommt etwas ins Rollen», so Günthardt, der in New York stets im Austausch mit Strickers Team war.
«Nicht nur mir, sondern dem ganzen Team bringt das sehr viel. Es ist grossartig zu sehen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.»
Stricker wehrte in New York in der zweiten Qualifikationsrunde gegen den Spanier Pablo Llamas Ruiz einen Matchball ab und schien gegen Tsitsipas schon ausgeschieden, als der Grieche bei 5:3 im vierten Satz zum Sieg aufschlug. Doch der Berner blieb cool und setzte sich zweimal durch. «Nicht nur mir, sondern auch Didi (Kindlmann, dem Trainer) und dem ganzen Team bringt das sehr viel», sagte Stricker. «Es ist grossartig zu sehen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, dass ich konstanter spiele. Dass ich nicht am Morgen aufwache und nicht weiss, was jetzt kommt. Und dass mein Level immer besser wird, von Woche zu Woche.»

Gegen Fritz spielte Stricker im Louis-Armstrong-Stadium, dessen 14’000 Plätze fast alle besetzt waren, vor der grössten Kulisse in seiner Karriere. Und er kostete es aus. «Es war mega cool, vor so vielen Leuten zu spielen», sagte er. «Natürlich unterstützten mehr Taylor, was ja schon vorher klar war. Aber man merkte es auch heute wieder: Die Fans haben mich gerne bekommen. Ihnen macht mein Spiel Spass.» Das sei für ihn schön zu erfahren – und sporne ihn zusätzlich an.
Beim 2:1 im dritten Satz gegen Fritz nahm Stricker ein Verletzungs-Timeout und liess sich behandeln. «Es war nichts Schlimmes», beschwichtigte er. «Es zwickte mich einmal in der Hüfte. Aber danach ging es wieder weg.» Er sei stolz, wie gut er die körperlichen Strapazen dieser zwei Wochen weggesteckt habe. «Mega cool, dass ich mich nach dem ersten Fünfsätzer erholen und nochmals einen Fünfsätzer gewinnen konnte. Auch gegen Fritz hatte ich ein gutes Gefühl auf dem Platz. Ich fühlte mich von Anfang an fit.»
«Jetzt bin ich in einer guten Position. Mal schauen, was im Herbst noch drinliegt.»
Dank seines New Yorker Siegeszugs macht er rund 40 Ränge gut und landet um Platz 90, was ihm neue Perspektiven eröffnet. «Es ist mega toll, dass ich die Top 100 geschafft habe. Jetzt will ich natürlich mehr. Jetzt bin ich in einer guten Position. Ich werde nun auch ab und zu in die 250er-Turniere reinkommen. Und dann ist vieles möglich.» Er wolle bis Ende Jahr mindestens sein Ranking halten, um direkt am Australian Open dabei zu sein. «Mal schauen, was im Herbst noch drinliegt.» Er hat 2023 nicht mehr viele Punkte zu verteidigen.
Stricker fliegt am Montagabend zurück in die Schweiz und gönnt sich danach einige freie Tage, um sich zu erholen. Dann steht ab dem 12. September auch schon der Davis-Cup in Manchester an, mit Begegnungen gegen Frankreich, Grossbritannien und Australien. «Das wird sicher eine spassige Woche», blickt Stricker voraus. «Aber jetzt muss ich zuerst einmal realisieren, was alles passiert ist in den letzten zwei Wochen.» Die Nachrichten, die er in den letzten Tagen alle erhielt, hat er noch nicht gelesen. So konnte er dem ESPN-Reporter auch nicht sagen, ob Roger Federer ihm gratuliert habe.
Stricker vermied es in New York ohnehin, den Namen Federer in den Mund zu nehmen. Auch als er danach gefragt wurde, welcher Spieler seinen Stil am meisten geprägt habe. Er weiss: Vergleiche mit Federer nützen niemandem. Und er will seine eigene Geschichte schreiben. Das New Yorker Kapitel macht Lust auf mehr.
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