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Tenniscoach Dieter Kindlmann im Interview
«Bei den Männern kann man ehrlicher miteinander umgehen»

Zurück auf der grössten Tennisbühne mit einem Schweizer Spieler: Dieter Kindlmann.
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Sie sind erstmals mit Dominic Stricker in Wimbledon. Was löst dieses Turnier bei Ihnen aus?

Als Spieler schaffte ich es leider nie nach Wimbledon, damit zieht mich Dominic immer wieder auf. Einmal kam ich in die letzte Qualifikationsrunde, verlor da aber gegen einen Schweizer: Ivo Heuberger. Als Trainer war ich danach öfters hier. Das letzte Mal vor vier Jahren. Es ist immer etwas Besonderes, nach Wimbledon zu kommen, mit den Rasenplätzen, den Blumen, den ganzen Traditionen und Regeln wie den weissen Kleidern. Irgendwie ist das ja komisch, aber das hat so viel Stil, dass es schon wieder superschön ist.

Stricker qualifizierte sich souverän fürs Hauptfeld. Man hat das Gefühl, er ist auf Rasen in seinem Element. Wie erklären Sie sich das?

Im Tennis spielt sich so viel im Kopf ab. Du merkst einfach, er fühlt sich wohl auf Rasen, hat gute Erinnerungen an diese Unterlage. Und sie kommt seinem Spiel sehr entgegen. Viele haben Mühe mit der Umstellung auf Rasen, zumal die Rasensaison ja sehr kurz ist. Er liebt es, was natürlich ein grosser Vorteil ist.

Sie arbeiten nun seit drei Monaten fix mit Stricker. Was haben Sie in dieser Zeit über ihn erfahren?

Es war eine sehr interessante Reise, aber keine einfache, weil er mehrmals verletzt war. Als ich ihn im April übernahm, hatte er eine Fussverletzung. So war er in der Vorbereitung auf Sand gehemmt. Dass er in Prag dann gleich unser erstes gemeinsames Turnier gewann, war nicht zu erwarten gewesen. Es ging Schlag auf Schlag. Bald folgte auch schon das French Open, das sehr lehrreich war. Da konnte ich beobachten, wie sich Dominic an den ganz grossen Turnieren präsentiert. Ich konnte in dieser kurzen Zeit sehr viele Informationen sammeln.

Was hat Sie überrascht, im Positiven wie im Negativen?

Dass er ein sehr talentierter Spieler ist, wusste ich eigentlich schon. Das hat sich schnell bestätigt. Aber es gibt noch sehr viele Dinge, die er verbessern kann. Da geht es gar nicht nur ums Tennis, sondern auch darum, was alles dazugehört bei einem professionellen Athleten. Was die Ernährung betrifft, den Schlaf, die Vorbereitung und so weiter. Ich habe viel gesehen, wo ich noch an den Schrauben drehen kann. Das stimmt mich optimistisch, weil ich einfach extrem viel Potenzial sehe.

Stricker gilt als sehr talentierter Spieler, der aber physisch noch nicht top ist. Teilen Sie diese Einschätzung?

Absolut. Aber ich spüre, dass er bereit ist, mitzuziehen. Was die Professionalität und die Physis angeht, das geht nicht von heute auf morgen. Es ist sportlich gut gelaufen die letzten Monate, aber Dominic war auch zweimal verletzt. Wir stossen jetzt in einen Bereich vor, in dem er konstanter werden und sein Körper die Belastungen besser verdauen muss. Er braucht mehr körperliche Substanz, um gesund zu bleiben. Daran arbeiten wir.

Wie kann man sich das vorstellen? Muss er seine Lebensführung verändern?

Ein Beispiel: Wenn wir um 10 Uhr trainieren, treffen wir uns um 8.30 Uhr und fangen an mit der Vorbreitung. Wir besprechen, was wir alles machen, es gibt ein ordentliches Warm-up, wir checken durch, ob es irgendwelche Schwachstellen gibt beim Körper. Nach dem Training geht es ins Eisbad. Er muss sich auch genug Zeit nehmen für die Regeneration. Oder sich gesund ernähren beim Frühstück. Es gibt so viele Dinge, auf die zu achten ist. Ich bin seinem Vater Stephan dankbar, dass er uns zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stellt. Dass nun mit Philipp Purkert ein Physiotherapeut zehn bis zwölf Wochen mit uns reist. Mein Ziel ist, dass wir irgendwann so professionell aufgestellt sind und so arbeiten wie die Topleute.

Im Spagat zum Sieg: Dominic Stricker qualifizierte sich in Wimbledon souverän fürs Hauptfeld.

Stricker ist eine Frohnatur, er wirkt sehr verspielt. Müssen Sie aufpassen, dass Sie nicht zu hart mit ihm sind und ihm so den Spass rauben?

Das ist ein guter Punkt. Wenn ich mit dem Knüppel draufhaue, funktioniert das nicht. Dominic ist ein total lustiger, sympathischer Junge, der die Leichtigkeit nicht verlieren darf. Er braucht das spielerische Element. Ich glaube, ich habe eine gute Balance mit ihm gefunden. Ich muss schauen, dass der Spass nicht zu kurz kommt. Ich darf auch einmal der Clown sein. Aber wichtig ist, dass er lernt, wann Arbeit ist und wann Spass.

Sind Sie ein disziplinierter Mensch?

Ja. Ich war leider nicht so talentiert wie Dominic und musste mir alles hart erarbeiten. Ich glaube sehr daran, dass man mit Disziplin, harter Arbeit und Tugend sehr weit kommen kann im Leben. Und meine Erfahrung mit den Topleuten zeigte mir, wie wichtig es ist, eine gewisse Disziplin zu haben. Das gibt einem auch Sicherheit.

«Es ist nicht fair, die Jungen an Roger oder Stan zu messen. Sie müssen ihre eigene Geschichte schreiben.»

Apropos Disziplin: Sie trainierten im April mit Stricker bei Stan Wawrinka in Nyon. Ist er ein Vorbild?

Er ist eine Inspiration. Für mich ist es eindrücklich, zu sehen, wie jemand, der alles erreicht hat in seiner Karriere, immer noch so hart arbeitet wie Stan. Es war für uns eine Ehre, mit ihm trainieren zu dürfen. Ich hoffe sehr, dass wir in Zukunft diese Chance wieder bekommen. Die Jungen können zu ihm und zu Roger hochschauen. Das sind eindrückliche Persönlichkeiten.

Die Schweiz wartet auf den nächsten Federer oder Wawrinka im Tennis. Wie geht Stricker mit dieser Erwartungshaltung um?

Es ist nicht fair, die Jungen an Roger oder Stan zu messen. Sie müssen ihre eigene Geschichte schreiben. Die Sehnsucht nach den nächsten Schweizer Stars ist gross. Aber man muss auch sehen: Wie viele Talente die Schweiz als kleines Land im Tennis hervorbringt, ist schon bemerkenswert. Geben wir ihnen die Zeit, sich zu entwickeln.

Wie kamen Sie eigentlich dazu, Coach zu werden?

Ich beendete meine Karriere mit 29 nach drei Schulteroperationen und begann als Trainer beim bayerischen Tennisverband. Dann hatte ich das Glück, schon bald mit Maria Scharapowa arbeiten zu dürfen. Das war die beste Ausbildung, die ich mir erträumen konnte.

«Mit einem solch erfolgshungrigen Menschen zu arbeiten wie Maria Scharapowa, fand ich sehr eindrücklich.»

Wie kam das? Maria Scharapowa hat Sie angerufen und gefragt: Sind Sie frei?

(lacht) Nicht ganz. Mein ehemaliger Trainer Thomas Högstedt, der Scharapowa damals trainierte, fragte mich, ob ich für zwei Monate als Sparringspartner einspringen könne. Ihr Sparringspartner Wladimir Woltschkow hatte sich die Bänder gerissen. Aus zwei Monaten wurden drei Jahre, und mit der Zeit erhielt ich immer mehr Verantwortung. Im dritten Jahr reiste ich auch immer wieder allein mit ihr an Turniere. Scharapowa öffnete mir die Augen. Sie zeigte mir, wie professionell, wie detailliert man arbeiten kann. Ich hatte vorher gedacht, ich sei schon professionell unterwegs gewesen. Aber das war noch eine ganz andere Liga. Und das machte mir grosse Lust, als Coach zu arbeiten.

Scharapowa galt als getrieben. Nahmen Sie sie auch so wahr?

Das klingt für mich zu negativ. Sie hat für diesen Sport gelebt, gebrannt, das stimmt. Mit einem solch erfolgshungrigen Menschen zu arbeiten, der alles für den Sieg tut, fand ich sehr eindrücklich. Aber sie hat eine gute Balance gehabt zwischen harter Arbeit und Spass.

Haben Sie noch Kontakt zu ihr?

Ja, wir haben noch Kontakt. Sie ist nun Mutter, hat ein ganz anderes Leben. Sie wird in der Öffentlichkeit manchmal falsch wahrgenommen. Sie hat auch viel Wärme gegeben. Für mich war es eine wunderschöne Zeit mit ihr. Von ihren Tugenden kann ich nur schwärmen.

Drei Jahre arbeitete Dieter Kindlmann mit Maria Scharapowa. Diese Zeit hat ihn sehr geprägt.

Sie coachten danach mehrere Topspielerinnen wie Angelique Kerber, Madison Keys, Aryna Sabalenka oder Anastassija Pawljutschenkowa. Wie war das?

Ich hatte sehr interessante, sehr unterschiedliche Spielerinnen. Es hat mir viel Spass gemacht, aber ich war auch viel unterwegs. Da kam das Privatleben zu kurz. Deshalb heuerte ich vor zwei Jahren bei Swiss Tennis an. Aber mit der Zeit merkte ich, dass ich immer noch darauf brenne, auf der Tour zu sein und eins zu eins mit einem Spieler zu arbeiten. Das Projekt mit Dominic passte perfekt.

Sabalenka schlägt härter auf den Ball als viele Männer. Wie würde ein Spiel zwischen ihr und Stricker ausgehen? Hätte sie eine Chance?

Sabalenka hat ihren Plan A und setzt diesen perfekt um. Sie hat aktuell viel mehr Power als alle anderen Frauen. Der grösste Unterschied zu den Männern ist der Aufschlag. Auch auf der Challenger-Tour der Männer gibt es kaum mehr Spieler, die schlecht servieren. Zudem sind die emotionalen Schwankungen bei den Frauen viel grösser.

«Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sabalenka auch nur annähernd eine Chance hätte, Dominic zu schlagen.»

Wieso?

Frauen sind einfach emotionaler als Männer. Deshalb geht es in ihren Matches viel mehr hin und her, werden immer wieder grosse Vorsprünge verspielt.

Wie viele Games würde Sabalenka gegen Stricker holen?

Schwer zu sagen. Vor 25 Jahren spielte ja Carsten Braasch gegen Venus und Serena Williams und gewann klar. Vielleicht wäre es wieder einmal Zeit für ein Geschlechterduell. Was den Aufschlag und die Explosivität angeht, haben die Männer schon grosse Vorteile. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sabalenka auch nur annähernd eine Chance hätte, Dominic zu schlagen.

Sie wollten nach zehn Jahren weg vom Frauentennis. Wieso?

Weil da alles so schnelllebig geworden ist. Nach ein, zwei schlechten Turnieren wirst du als Trainer gleich infrage gestellt. Wenn du gewinnst, ist alles gut. Wenn du verlierst, bist du schnell unter Druck. Du bekommst nicht die Zeit, etwas aufzubauen. Und bei den Frauen muss man aufpassen, was man sagt. Man muss sehr diplomatisch sein. Ich habe das Gefühl, dass man bei den Männern ehrlicher miteinander umgehen kann. Deswegen war für mich klar: Wenn ich wieder auf die Tour gehe, dann lieber bei den Männern. Bei Dominic spüre ich das Vertrauen des ganzen Teams. Das ist für mich sehr wichtig. Es muss ein Miteinander sein.

Wann ist Stricker so weit, wie Sie ihn haben möchten?

Dominic ist noch jung, und er ist ein sehr sensibler Mensch. Er braucht Zeit, um alles zu verarbeiten. Wenn wir nächstes Jahr hier in Wimbledon zusammensitzen, ist er an einem ganz anderen Punkt. Davon bin ich überzeugt.

Ist für ihn ein Grand-Slam-Titel möglich?

Ich muss natürlich sagen Ja, denn das ist der Traum. Aber die Konkurrenz ist riesig. In Paris rutschte er als Lucky Loser ins Tableau, hier hat er sich erstmals aus eigener Kraft qualifiziert an einem Grand Slam. Jetzt muss er einmal eine Runde gewinnen. Wenn er es dereinst in die zweite Woche schafft, wäre das schon genial. Man muss hohe Ziele haben. Aber für uns geht es nun primär darum, was für ihn in nächster Zeit erreichbar ist. Wir nehmen Schritt für Schritt.