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Dokfilm über Roger Stone
«Wenn du etwas davon verwendest, bringe ich dich um»

In einigen Szenen besticht der 71-Jährige durch nüchterne, messerscharfe Analysen, um kurz darauf in Hasstiraden auszubrechen: Roger Stone im Dokfilm «A Storm Foretold».
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Der dänische Filmer Christoffer Guldbrandsen hat mit der Kamera festgehalten, wie Donald Trumps langjähriger Weggefährte, Berater und Spin-Doctor Roger Stone an einer Zigarre zieht und den Rauch mit geniesserisch gespitztem Mund und verdrehten Augen hinausbläst. Wie er barfuss und mit hochgerutschtem T-Shirt auf einem Hotelbett liegt. Wie er vor Anhängerinnen und Anhängern Brandreden hält und nach Trumps Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen 2020 öffentlich behauptet, das alles sei ein gigantischer Wahlbetrug.

Mehr als drei Jahre seines Lebens hat Guldbrandsen damit verbracht, Roger Stone zu filmen, und einmal erlitt der Regisseur während der Dreharbeiten einen Herzinfarkt.

Arbeitet er für den dänischen Geheimdienst?

Was sagt Stone jetzt, wo das Ergebnis von Guldbrandsens Bemühungen unter dem Titel «A Storm Foretold» vorliegt? Stone behauptet, der Dokumentarfilmer habe mithilfe künstlicher Intelligenz eine Fake-Dokumentation fabriziert. Er droht mit einer 25-Millionen-Klage. Was man im Film sehe, habe gar nicht stattgefunden. Ausserdem arbeite der Filmemacher für den dänischen Geheimdienst. Als der 51-jährige Guldbrandsen während eines Videogesprächs davon erzählt, bricht ein ungläubiges Gelächter aus.

Roger Stone: Ein politisches Tier sondergleichen – und ein Geniesser dazu.

«Roger Stone ist ein politisches Tier, wie ich in meinem Leben kein anderes gesehen habe», sagt Guldbrandsen. Der amerikanische Politikberater gehörte zu den Wahlkampfteams von Richard Nixon, Ronald Reagan und Donald Trump. In einigen Szenen des Films besticht der 71-Jährige durch nüchterne, messerscharfe Analysen, um kurz darauf in Hasstiraden auszubrechen. Oder um im Grundton unerschütterlicher Überzeugung Dinge zu behaupten, von denen er wissen muss, wie erlogen sie sind – etwa, dass der Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 eine «false flag operation», ein Täuschungsmanöver, von Trumps politischen Gegnern war.

Stone erscheint als erschreckende, faszinierende Figur, die ihre Intelligenz, ihr Wissen, ihre ganze Gerissenheit zwei Zielen widmet: dem Triumph Donald Trumps. Und dem Erhalt der eigenen Machtposition. Dass die Mittel, die er dazu einsetzt, unmoralisch, unanständig, antidemokratisch sind – es ist Stone egal.

Stone ist so durch und durch Populist, dass es ins Bizarre kippt.

Populisten sind davon überzeugt, sie wüssten als Einzige, was das angeblich authentische Volk denkt, fühlt und will. Sie glauben, zwischen dem wahren Volk und einer angeblich korrupten Elite gebe es eine unüberwindliche Kluft. Weil sich das wahre Volk nicht irrt, können Populisten keine Wahlen verlieren – und falls doch, handelt es sich um Betrug. Dies ist in groben Strichen, was Politologinnen und Politologen als Essenz des Populismus beschreiben. Auf Roger Stone – so viel macht der Film des dänischen Regisseurs deutlich – treffen diese Eigenheiten in derart übersteigerter Form zu, dass es phasenweise ins Bizarre kippt.

Das vergessene Mikrofon

In einer Szene spricht Stone wenige Tage nach Trumps Abwahl am Telefon mit einem Mitarbeiter. Er fordert, in allen Gliedstaaten mit angeblichen Hinweisen auf Betrügereien Wahlleute aufzustellen, die bei der Ratifizierung das Ergebnis missachten und für Trump stimmen würden. Ein andermal vergisst er, dass er ein Mikrofon trägt, und erklärt einer unbekannten Person, wie man Donald Trump etwas in den Mund legt. Man müsse ihn loben, in einer Rede einen so brillanten Satz gesagt zu haben, dass das Publikum in Jubel ausgebrochen sei. Ob dies zutreffe oder nicht, sei völlig egal. Es komme darauf an, Trump von seiner Genialität zu überzeugen – so werde er den Satz in einer nächsten Rede tatsächlich verwenden.

Wie ist Guldbrandsen überhaupt an Stone rangekommen? Der erste Kontakt fand 2018 statt, zu einer Zeit, als die «Russia investigation» das Hauptthema in den Medien war und mehrere Trump-Vertraute verurteilt wurden – auch Roger Stone, unter anderem wegen Meineids. Die Tage, in denen er an den Treffen der Republikanischen Partei als umjubelter Gast auftrat, waren vorbei.

Es ist erstaunlich, wie Stone vor laufender Kamera kompromittierende Dinge sagt.

In dieser Phase, erzählt Guldbrandsen, sei es Stone «ein wenig langweilig» gewesen. Er freute sich über Kameras in seinem Haus, aber natürlich hatte der Stratege einen Hintergedanken: Sollte er tatsächlich im Gefängnis landen, würde wenigstens der Dokfilm seine Botschaft verbreiten. So weit kam es allerdings nicht: Trump begnadigte Stone und ersparte ihm eine 40-monatige Haftstrafe. Der Film zeigt, wie Stone und seine Assistentin die Mail mit der Begnadigung lesen und dabei vor Freude hüpfen.

«Es war extrem stressig»: Der dänische Filmemacher Christoffer Guldbrandsen über seinen Dokumentarfilm.

Es ist erstaunlich, wie nahe der mächtige Präsidentenberater den unbekannten dänischen Filmer an sich heranlässt, wie unbekümmert er vor laufender Kamera kompromittierende Dinge sagt und tut. Fand Guldbrandsen den Mann, den er so lange begleitet hat, persönlich sympathisch? «Ja», antwortet Guldbrandsen. Und schiebt Erklärungen nach: Der Eifer, mit dem Stone über Politik und Geschichte rede, habe ihn beeindruckt, auch wenn er fast immer anderer Meinung gewesen sei. «Es ist auch unmöglich, jemanden so lange zu begleiten, ohne eine gewisse Empathie zu empfinden», sagt Guldbrandsen.

Ist Stone schuld am Herzinfarkt des Regisseurs?

Alles andere als empathisch verhielt sich indessen Stone gegenüber Guldbrandsen, als er plötzlich mit einem anderen Filmteam zu arbeiten begann – einem, das ihn im Unterschied zum Dänen bezahlte. Irgendwann musste Guldbrandsen zurück nach Kopenhagen. Stone antwortete ihm nicht mehr, die staatlichen Fördergelder waren verbraucht, sein Projekt drohte zu scheitern. Das war der Moment, in dem der Regisseur einen Herzanfall erlitt, gefilmt von einer Überwachungskamera in einem Fitnessstudio. Im Dokumentarfilm ist auch diese Szene zu sehen.

Ist letztlich Stone daran schuld? «Es war alles extrem stressig, aber es war mein Projekt», sagt Guldbrandsen. Irgendwann erklärte sich Stone bereit weiterzumachen. Als sich die beiden nach der erzwungenen Drehpause in Stones Haus in Florida wiedersehen, ist es, als begrüsse der Amerikaner einen jahrelang verschollenen Freund.

Nach Abschluss der Dreharbeiten verlangte das FBI Einsicht in die Filmaufnahmen, was Guldbrandsen ablehnte. Ausgehändigt hat er sie stattdessen dem Sonderausschuss des Repräsentantenhauses, der den Sturm aufs Capitol untersuchte. Ein Team kam nach Kopenhagen, um das Filmmaterial zu sichten. Am Ende verwendete der Ausschuss Clips von rund 10 Minuten. Darin enthalten sind Aussagen von Stone, die er Monate vor den Präsidentschaftswahlen 2020 machte. Sie deuten darauf hin, dass er bereits damals beabsichtigte, im Falle von Trumps Niederlage das Wahlergebnis umzustossen.

Keine Bühne für Populisten

Der Dokumentarfilmer verzichtet darauf, Stones Handeln zu beurteilen. Guldbrandsen widerspricht seinem Protagonisten selbst dann nicht, wenn er sich in abstrusen Reden ergeht. Allein durch die Art der Montage solle das Publikum merken, was für einen Menschen er porträtiert habe und wie er zum Protagonisten seines Films stehe.

Fragt sich, inwiefern das Publikum die Subtilität dieser Kritik bemerkt. Jedenfalls haben verschiedene Festivals das Porträt abgelehnt, weil deren Verantwortliche, so erklärt es sich Guldbrandsen, im Klima der Cancel-Culture begonnen hätten, «Deplatforming» zu betreiben: Populisten wie Roger Stone sollen schlicht keine Bühne erhalten. Dazu sagt Guldbrandsen: «Wenn wir Autokraten bekämpfen wollen, müssen wir ihnen zuhören.» In den USA soll sein Film bald Premiere haben, in einer Woche ist «A Storm Foretold» am Zurich Film Festival zu sehen.

Mittlerweile ist der Kontakt zwischen Guldbrandsen und Stone abgebrochen, diesmal wohl endgültig. Juristen halten es zumindest für möglich, dass er wegen seiner Beteiligung beim Sturm auf das Capitol irgendwann doch noch ins Gefängnis muss.

In «A Storm Foretold» sind Roger Stone und Donald Trump nie zusammen zu sehen. Oftmals wissen wir nicht einmal, mit wem Stone gerade telefoniert, auch Guldbrandsen wusste es nicht. «Er war extrem vorsichtig, wann immer er über Trump sprach.»

Bis auf die letzte Szene: Stone sitzt telefonierend im Auto, kurz nachdem sich Trump geweigert hat, ihn ein zweites Mal zu begnadigen, gewissermassen präventiv gegen künftige mögliche Verurteilungen. Mit wem Stone spricht, bleibt unklar, aber plötzlich brüllt er: «Ich bin für das Impeachment, er muss weg, er muss ins Gefängnis, er hat sich mit Idioten umgeben, fuck these people!» – was den Politberater nicht daran hindert, Donald Trump heute wieder bei dessen Wahlkampfauftritten zu begleiten.

Als das Gespräch im Auto zu Ende ist, sagt Stone zu Guldbrandsen: «Wenn du etwas davon verwendest, bringe ich dich um.»

«A Storm Foretold» am Zurich Film Festival: 1. Oktober, 17.45 Uhr, Kino Corso 4, in Anwesenheit des Regisseurs. Weitere Vorführungen: zff.com