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Reportage vom Frauenstreik
Eine laute lila Welle schwappt durch die Schweiz – doch nicht alle feiern mit

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Und dann laufen sie los. In Zürich, in Bern, in Basel, in Genf, in Lausanne, in Winterthur. Und in vielen weiteren Städten. Es ist ein kraftvoller Moment, als an diesem sonnigen Mittwochabend Zehntausende fast gleichzeitig losmarschieren. 

Die lila Masse schwenkt Schilder, Schleifen und Fahnen, trillert, rasselt, skandiert Parolen. «Gleicher Lohn für alle!» «Care-Arbeit entschädigen!» Und: «Dini Müetere sind hässig.» 

Monika Saxer aus Schwamendingen gehört zu diesen wütenden Frauen. «Femme en colère» steht auf ihrem T-Shirt in Rot. Die 70-Jährige war schon 1991 beim ersten Frauenstreik dabei und läuft in Zürich mit, «weil wir die Gleichstellung noch immer nicht erreicht haben.» Immerhin sei das «Fräulein» verschwunden.

«Weil wir die Gleichstellung noch immer nicht erreicht haben»: Monika Saxer aus Schwamendingen hat schon am ersten Frauenstreik 1991 teilgenommen.

Die Forderungen, die das Organisationskomitee vorgegeben hat, gehen viel weiter. Monatliche Mindestlöhne von 5000 Franken! Eine maximale Arbeitswoche von 35 Stunden! Kinderbetreuung als Service public!

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Im Vorfeld hatten diese weitreichenden Forderungen im Imperativ für Unmut gesorgt. Vor allem Frauen aus der FDP und der Mitte distanzierten sich von der Grossdemonstration.

Zu schrill, zu links, zu gehässig, sagten die Bürgerlichen in St. Gallen zur Ausgabe von 2023. Zu unliberal, sagten sie in Bern. Und in der Innerschweiz fragten sie: «Musste der Begriff Feminismus wirklich rein?» 

«Wir wollen inklusiver werden und alle unterdrückten Personen mit meinen.»

Organisationskomitee des feministischen Streiks

Doch das Organisationskomitee, geprägt von Gewerkschaften wie Unia und linken Aktivistinnen, hatte sich längst festgelegt. Es wollte sich für die dritte Ausgabe nicht auf den Kampf der Frauen beschränken; wollte «inklusiver werden» und «alle unterdrückten Personen mit meinen». Dabei geht es vor allem um «FLINTA»-Personen, also Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht binäre, trans oder agender Personen. Deshalb: «feministischer Streik», nicht «Frauenstreik».

Damit würde die Mitte der Gesellschaft verloren gehen, kritisierten bürgerliche Frauen und meinten damit vor allem eines: die Breite. 

Über eine halbe Million 2019

2019 erfasste der Frauenstreiktag Vertreterinnen bis weit in die bürgerliche Politik hinein. Aktiviert von gesellschaftspolitischen Debatten zu #MeToo und Rassismus, machten über eine halbe Million den damaligen Streiktag zum Erfolg. 

SP-Nationalrätin Jacqueline Badran weinte damals ergriffen, die Gewerkschaft Unia sprach euphorisch von einem Beben. Und der «Blick» schrieb: «Ein Tag, auf den Frauen und Männer in unserem Land stolz sein dürfen.»

Und heute, vier Jahre danach?

Mehr Lohn für Kita-Personal. Forderung beim Basler Umzug.

In Basel beginnt der Tag mit pinken Ballonen auf dem noch weitgehend leeren Theaterplatz und der Forderung der Juso nach kostenlosen Abtreibungen. 

In Zürich besetzen Aktivistinnen den Paradeplatz

Und in Bern grüsst frühmorgens eine riesige, lilafarbene Faust. Das aufblasbare Ding schwebt über dem Berner Bundesplatz und macht mit einem grossen aufgedruckten Logo klar, wer in Bern den Kulminationspunkt des Frauenstreiks in der Hand hat: die Unia. Die Luzerner Mitte-Ständerätin Andrea Gmür schreibt auf Twitter: «Schade, dass der Frauenstreik zu einer simplen Unia-Demo zu verkommen scheint.»

Feministische Landsgemeinde auf dem Berner Bundesplatz. Und über allem schwebt die Faust.

Es ist kurz vor Mittag: Yolanda Zirn (77) ist mit ihrer Tochter Daniela Hersche (58) aus der Romandie gekommen. Sie gehören zu den Ersten, die auf den Bundesplatz gekommen sind.

«Früher wurden wir noch ausgelacht.»

Yolanda Zirn, Teilnehmerin in Bern

Den Knatsch zwischen Bürgerlichen und Linken bezeichnen die beiden als unnötige Polemik. Die Umbenennung von Frauenstreik in feministischer Streik schätzen sie allerdings kritisch ein. «Feminismus ist auch heute noch in vielen Kreisen ein negativ belasteter Begriff», sagt Hersche. 

Die Laune lassen sich Mutter und Tochter aber nicht verderben. Der Tag ist wichtig, Präsenz markieren auch. Yolanda Zirn sagt: «Früher wurden wir noch ausgelacht.»

Heute aber, genau 32 Jahre nach dem ersten Frauenstreik, lacht niemand mehr über die Demonstrantinnen. 
In Basel lädt der feministische Kickboxverein Nima zum Probetraining ein. Gekommen sind knapp 40 Interessierte.

In Bern fordert nach dem Zmittag eine inszenierte Landsgemeinde 109 Milliarden Franken für die Kinderbetreuung jährlich. Also gleich viel wie für die Bankenrettung. Keine Gegenstimmen.
Danach kommt ein Kinderwagenumzug ins Rollen. Angeführt wird er von drei Mädchen. Auch sie sind «hässig». 

Ein Vater, der mit seinen beiden Kindern im hinteren Teil mitmarschiert, bleibt entspannt. Er habe glücklicherweise mittwochs immer frei, sagt er, und könne sich daher solidarisch zeigen. Aber es sei schon verrückt: «Auf den Spielplätzen ist das Verhältnis immer noch mindestens vier zu eins.» 

In Zürich ist mittlerweile der Paradeplatz freigeräumt. Die Polizei musste Pfefferspray einsetzen, ein Polizist und eine Demonstrantin sollen verletzt worden sein. 

Viel Rauch, viele Parolen beim Zürcher Umzug und 120’000 Teilnehmende – laut Veranstalterinnen. 

Auf dem Berner Bundesplatz mit seiner lila Faust bleibts hingegen friedlich. Eine Trommlertruppe bringt die Menge zum Tanzen. Es wird gejauchzt und gehüpft.

Um genau 15.24 Uhr sagt eine Rednerin der Gewerkschaft VPOD in Basel, dass die Frauen in der Schweiz ab jetzt gratis arbeiten würden. Rund 300 Personen hören zu. Viele haben sich aber schattige Plätzchen abseits der Teerbrache gesucht. 

Und wenig später blockiert in Zürich eine weitere unbewilligte Demo den Tramverkehr. Vor dem Kunsthaus übergiessen sich drei Aktivistinnen mit einer schwarzen Flüssigkeit, kleben sich fest.

Noch eine Stunde bis zum Höhepunkt, dem grossen Demonstrationsumzug. 

Bleibt es rund um die Demonstration friedlich?, fragt die «Basler Zeitung» derweil und berichtet, dass die Organisatorinnen des feministischen Streiktags sich angesichts drohender Krawalle besorgt zeigen. 

«Pussy Power»: Als lila Welle zog eine grosse Zahl von Demonstrierenden durch Zürich.

Kurz nach 18 Uhr. Die Umzüge sind nun alle in Bewegung, auffallend viele junge Frauen sind unter den Demonstrierenden. Eine laute, fröhliche lila Welle zieht durch die Städte. 

Nur in Zürich will es nicht richtig fliessen. Es brennt. In der Altstadt geht ein Dachstock in Flammen auf. Der Umzug muss zurück an den Start. Es kommt zu einer skurrilen Szene. Am Bürkliplatz trifft der Kopf des Umzuges auf den noch nicht losmarschierten Teil der Demonstration. 

Es wird das einzige grössere Missgeschick bleiben. Das Organisationskomitee spricht da bereits von einem Grosserfolg. 

In Lausanne zogen fast 20’000 Menschen durch die Stadt. In Basel knapp 9000 Personen, in Bern 20’000.

Und in Zürich sollen laut den Veranstalterinnen über 120’000 mitgelaufen sein.

Das sind weniger als vor vier Jahren. Aber dennoch: ein violettes Ausrufezeichen.