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Duell im Käfig
Der Sport, der wütend macht

Frust für den Gegner, Triumph für sich selbst: Dimitri Steinmann feiert einen Punkt.

Kaum ein Sport setzt derart heftige Gefühle frei wie Squash. Wer schon bei Gesellschaftsspielen zu Wutausbrüchen neigt, sollte den 9,75 Meter langen und 6,4 Meter breiten Squashcourt besser gar nicht betreten. «Die Emotionen im Griff zu behalten, ist unsere grösste Herausforderung. Man braucht ein heisses Herz und einen kühlen Kopf», sagt Dimitri Steinmann, dreifacher Schweizer Meister und Nummer 33 der Weltrangliste. Gerade hat sich der 26-Jährige am Grasshopper-Cup in Zürich für die 2. Runde qualifiziert. In einem «High-Intensity-Match», wie er sagt. Will heissen: viel Laufarbeit, immer wieder Körperkontakt und ab und zu ein Urschrei, um ein wenig Druck abzulassen.

Anders als vorletzte Woche am US Open in Philadelphia, wo er seinen Widersacher Timothy Brownell mit einem Bodycheck zu Fall brachte und disqualifiziert wurde, behielt Steinmann gegen den Engländer George Parker die Kontrolle über seine inneren Dämonen und siegte 11:5, 5:11, 11:6. Vielleicht auch, weil auf der Tribüne sein Coach Jonathan Power sass. «Jonathan war das Idol meiner Juniorenzeit, dass er für das Turnier nach Zürich gekommen ist, bedeutet mir unheimlich viel», sagt Steinmann, dessen muskulöse Beine davon zeugen, dass er im Training Squats mit über 200 Kilogramm Gewicht auf den Schultern absolviert.

Power, 14 Monate lang die Nummer 1 im Squash-Ranking, ist eine respekteinflössende Erscheinung. Und er arbeitet nur mit Spielern zusammen, denen er den Sprung nach ganz vorne zutraut. Zur Kooperation mit Steinmann erklärte er sich erst bereit, nachdem der Zürcher ein eigens anberaumtes Match gegen den walisischen Top-10-Spieler Joel Makin gewonnen hatte – und eine Partie gegen ihn selbst, bei der beide den Ball nur in die hintere Hälfte spielen durften.

Eine Prise Neandertaler darf es schon sein

Wie sehr es der Karriere schaden kann, wenn im Kopf die Sicherungen durchbrennen, weiss der Weltmeister von 1998 aus eigener Erfahrung. Immer wieder kämpfte er mehr mit sich selbst als mit dem Gegner. Als Coach aber versteht er es ausgezeichnet, Ruhe auszustrahlen und zu vermitteln. «Jonathan hilft mir sehr dabei, meine Emotionen und mit ihnen meine Energie in die richtigen Bahnen zu lenken», sagt Steinmann. «Denn genau das ist es, was die Spieler in den Top 10 besser können als jene in meiner Region der Weltrangliste. Eine Prise Neandertaler darf es schon sein, aber eben nicht mehr.»

Doch was triggert die Emotionen beim Squash eigentlich so sehr? Zum einen ist da die körperliche Nähe: Während man beim Tennis oder Badminton stets ein paar Meter vom Gegner entfernt steht, reiben sich die Squashspieler förmlich aneinander. Die Geschwindigkeit des Spiels – manche Bälle werden mit über 250 km/h geschlagen – und das Fehlen von nennenswerten Unterbrüchen zwischen den Ballwechseln tragen ebenfalls zur hitzigen Atmosphäre bei.

Der wohl wichtigste Faktor aber sind die sogenannten Let-Regeln. Als Let bezeichnet man die Wiederholung eines Ballwechsels, weil ein Spieler dem anderen im Weg stand. Wurde Spieler A von Spieler B gänzlich am Schlagen gehindert, kann ihm der Referee aber auch direkt einen Punkt zusprechen. Der Ermessensspielraum hierbei ist gross, die Aufgabe für die Schiedsrichter wegen des enormen Tempos des Spiels höchst undankbar. Einer der beiden Kontrahenten fühlt sich fast immer benachteiligt und zetert entsprechend.

Dank Olympia lockt der grosse Boom

So schwer sich die Referees mit dem Gerangel und den Diskussionen auf dem Court tun: Die Emotionen sind das Salz in der Suppe beim Squash. Seit der Sport offensiver, aggressiver und physischer geworden ist, fesselt er die Zuschauer auch viel mehr. Die Aufnahme ins Programm der Olympischen Sommerspiele 2028 in Los Angeles kommt deshalb genau zum richtigen Zeitpunkt. Squash hat nun alles, um ein breites Publikum zu begeistern. Zusammen mit dem Vorteil, dass man die gläsernen Courts praktisch überall aufstellen kann, könnte das einen gewaltigen Boom auslösen, viel grösser noch als jener in den 1980er-Jahren.

«Olympia ist für mich die grösste denkbare Motivation», sagt Dimitri Steinmann, der 2028 mit 31 Jahren im besten Squash-Alter sein wird. Von den Spielen habe er schon als Kind geträumt, zumal sowohl sein Vater als auch seine Mutter an Olympia teilnahmen: Peter Steinmann als Moderner Fünfkämpfer dreimal (1984, 1988 und 1992), Claudia Steinmann Peczinka als Synchronschwimmerin zweimal (1988, 1992).

Nun steht für Dimitri Steinmann aber erst einmal das zweite Spiel am Grasshopper-Cup auf dem Programm. Nach dem Auftakt in der Squash-Arena in Uster trifft er am Donnerstag in der ausverkauften Halle 622 in Zürich-Oerlikon auf seinen Landsmann Nicolas Müller, die Nummer 15 der Welt. Jonathan Power wird dann wieder auf der Tribüne sitzen und hoffen, dass sein Schützling das richtige Mass an Emotionalität findet. Steinmann selbst ist zuversichtlich: «Nach vier schwierigen Monaten läuft es bei mir endlich wieder. Es fühlt sich gut an, auf dem Platz zu stehen. Erst recht gegen Nici, der einer meiner engsten Freunde ist und einem auf dem Platz nie Anlass zum Ärger gibt.» Ein Squash-Match ganz ohne Wut? Wir werden sehen …