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Riesenskulptur in der Wüste
Dieses Kunstwerk wird kaum jemand zu sehen bekommen

«Ich bin ein Narr.» Künstler Michael Heizer vor seiner Skulptur in Garden Valley, Nevada.
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Google Maps weiss, dass da etwas entstanden ist, «Studio Heizer» heisst ein kleiner Punkt im grossen Nirgendwo. Ein Stück weiter nördlich verläuft der Highway 6. Ansonsten ist da genau das, was Michael Heizer suchte: nichts. Garden Valley liegt in der Wüste nördlich von Las Vegas, im Nirwana von Nevada, und was der amerikanische Land-Art-Künstler hier die letzten 50 Jahre gemacht hat, wird in diesen Tagen einem breiteren Publikum zugänglich.

Zweieinhalb Kilometer ist seine Riesenskulptur «City» lang, fast einen Kilometer breit. Heizer hat hier einen Grossteil seiner 77 Lebensjahre zugebracht, seit 1972 ist er immer wieder dahin zurückgekehrt, die letzten 30 Jahre hat er auf der nahe gelegenen Sleep Late Ranch gelebt.

Als Heizer anfing, war Nixon Präsident

Was er damals in den 70ern genau wollte, als er noch als weitgehend unbekannter Maler und Skulpteur mit dem Darlehen einer befreundeten Kunsthändlerin das billige Land in Garden Valley kaufte, daneben seinen Wohnwagen parkierte und die ersten Erdhaufen aufschaufelte, wusste niemand so recht. Richard Nixon war Präsident, die Menschen sprachen über Watergate und den Vietnamkrieg, Heizer war 27 Jahre alt.

50 Jahre und 40 Millionen Dollar später hat «City» eine Schirmherrschaft, die Triple Aught Foundation, und die bezeichnet das Kunstwerk jetzt als fertig. Heizer selbst sagte der «New York Times» noch im Frühjahr: «Ich bin ein Narr, allein und hilflos zusehend, wie sie darauf warten, dass ich sterbe, damit sie alles in einen Geschenkladen und ein Motel verwandeln können.»

Beton, Dreck und Stein – aber kein Gramm Metall: «City» soll gemäss Heizer «die Ewigkeit überdauern».

Solange er noch etwas zu sagen hat, hat Heizer ziemlich klare Vorstellungen, wie sein Hauptwerk zu erleben ist. Ab dem 2. September sind auf dem Gelände Besucher zugelassen, doch aus Angst, die Ruhe könnte gestört werden, dürfen pro Tag nur sechs Leute kommen. 150 Dollar Eintrittsgeld zahlen sie, es sei denn, sie stammen aus den umliegenden Ortschaften.

Besucher warten in Alamo, zweieinhalb Autostunden entfernt, dort werden sie abgeholt. Die Anfahrt durch die karge Landschaft dient als eine Art Dekompressionskammer für den Eintritt in eine Welt voller Wucht. Die brachialen, schroffen Bauten stehen einsam in der flachen Wüste, wahlweise erinnern sie an einen zu gross geratenen Skatepark oder an die amerikanische Vorstellung davon, was auf der sagenumwobenen, nicht unweit gelegenen Area 51 so vor sich gehen könnte.

Heizer stierte durch, dass es neben seiner Kunst absolut nichts geben darf. Keine Sitzbank, keine Toiletten, keine Beleuchtung. Am atemberaubendsten, so sagt es Heizer selbst, sei die «City» bei Sonnenuntergang. Nur bekommen die Besucher die Skulptur so nie zu Gesicht – sie sind zu der Zeit jeweils schon auf dem Rückweg.

Am schönsten ist «City» bei Sonnenuntergang und in der Nacht. Dumm nur, wird das nie ein Besucher erleben.

Kleine Gesten scheinen nicht die Art des Michael Heizer zu sein. Schon für sein erstes bedeutendes Kunstwerk «Double Negative» liess er in der Wüste 240’000 Tonnen Stein für einen 500 Meter langen Graben wegbaggern. Heizers Vater war Archäologe, mit ihm bereiste er Peru, Ägypten, Mexiko und kam schon früh in Kontakt mit den Bauwerken der dortigen Hochkultur. Der Sohn verarbeitete seine Eindrücke in Skulpturen, die mehr einem Bauprojekt ähneln, und wurde damit zum Wegbereiter der amerikanischen Land-Art-Bewegung.

In einer Zeit, in der der Turbokapitalismus in den USA so richtig Fahrt aufnahm, bildete sie dazu einen Gegenpol. Die Kunst kam aus der Stadt, aus der Galerie, sie wurde Teil der Landschaft, Land Art wurde daher auch oft als Earth Art bezeichnet. Robert Smithson errichtete eine riesige Spiral-Skulptur aus Schlamm, Salzkristallen und Stein am Salt Lake in Utah, James Turrell baute einen Vulkankrater in Arizona in ein Himmel-Observatorium um, das Kanye West später als Musikvideo-Szenerie benutzte und Turrell als den «grössten lebenden Künstler» pries.

Manchmal erinnert «City» von Michael Heizer an einen zu gross geratenen Skatepark. 

Land Art ist brachial, immer gross angelegt, im Kunstwerk von «City» etwa verbinden sich Elemente der Maya- und Inka-Stätten mit dem betongewordenen Bauwahn amerikanischer Autobahnen. Heizer verwendete für seine Riesenskulptur Sand, Stein und Beton, aber kein Gramm Metall. «Das ganze Zeug würde eingeschmolzen werden. Inkas, Olmeken, Azteken – ihre Kunstwerke wurden alle geplündert, zerstört, ihr Gold gestohlen», sagte er schon 2016. Sein Werk hingegen könne die Ewigkeit überdauern. «Wenn sie hierherkommen, um meine City zu zerstören, werden sie feststellen, dass es mehr Energie kostet, sie zu zerstören, als sie wert ist.»

Verteidigt gegen Eisenbahnen und Kraftwerke

Die Gegend um sein Kunstwerk musste Heizer über die Jahre immer wieder verteidigen. Die Nixon-Regierung plante Eisenbahnschienen, um Raketen zu Test-Stationen in der Nähe zu schaffen. Später gab es Pläne für ein Kraftwerk, und bis Heizer 2014 mit Harry Reid einen US-Senator ins Boot holen konnte, der Garden Valley zur schützenswerten Gegend erklärte, bangte Heizer immer wieder um seine «City».

Jetzt ist sie offen fürs Publikum. Erst mal nur zwei Monate, Anfang November ist die Besuchszeit schon wieder vorbei. Heizer schätzt wohl am meisten, was er vor 50 Jahren angetroffen hat: das unbelebte Nichts.

Der Künstler Michael Heizer hat 50 Jahre an seinem Werk «City» gearbeitet.