Kommentar zum Corona-FazitDieser schönfärberische Bericht irritiert
Das im Auftrag des BAG erstellte Papier zur Pandemiebewältigung spielt das Versagen von Politik und Behörden herunter. Und es ignoriert die missglückte Impfkampagne vollständig.
Man ist es in Zeiten der Social-Media-Blasen ja gewohnt, dass die Sicht auf die Welt je nach Perspektive völlig unterschiedlich ausfallen kann. Dass nun aber ein vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) extern in Auftrag gegebener Bericht zur «Evaluation der Krisenbewältigung Covid-19» absolut zentrale Aspekte des hiesigen Pandemiemanagements schlicht ausblendet oder nur durch eine rosa Brille beleuchtet, irritiert doch gewaltig.
So kommt der Bericht zum Schluss, dass «Bund und Kantone meist angemessen und, von Ausnahmen abgesehen, zeitgerecht auf die Covid-19-Bedrohungslage reagiert haben». Mit Verlaub: Schon nur ein Blick auf die bestätigten Corona-Todesfälle in der Schweiz – Stand heute: rund 13’200 – zeigt, dass diese Aussage Augenwischerei ist. Denn andere, mit der Schweiz durchaus vergleichbare Länder wie Dänemark, Finnland oder Norwegen haben deutlich tiefere Todesfallzahlen. Diese Länder schützten ihre Bevölkerung «angemessener», als es noch keine Impfung gab.
Der vorliegende Bericht hingegen vergleicht das Handling in der Schweiz nur mit jenem von Österreich und Schweden – mit zwei Ländern also, die in der Pandemiebewältigung ebenfalls keine gute Falle machten.
Die tiefe Schweizer Impfquote ist nicht zuletzt auf die missglückten BAG-Kampagnen zurückzuführen.
Bei uns – man muss es so deutlich sagen – versagten Politik und Behörden vor allem im Herbst 2020, als sich die zweite Welle anbahnte. Trotz wiederholter Warnungen aus der Wissenschaft schoben sich Bund und Kantone – schön föderalistisch – gegenseitig die Verantwortung zu, mit der Folge, dass effiziente Massnahmen in den allermeisten Kantonen erst viel zu spät ergriffen wurden. Als Konsequenz starben allein in der zweiten Welle rund 8000 Menschen in der Schweiz an Corona, die Übersterblichkeit war im November und Dezember 2020 eine der höchsten weltweit. (Lesen Sie zum Thema: Lockdown eine Woche früher hätte 1200 Menschenleben gerettet.)
Man könnte nun erwarten, dass ein Evaluationsbericht genau dieses Versagen auch als solches benennt. Die Autoren tun es aber höchstens ansatzweise. So wird zwar erwähnt, dass man «nicht zeitgerecht auf die Bedrohung im Spätsommer 2020 reagiert» und dass dies zu einer hohen Übersterblichkeit geführt habe. Als «unangemessen» beurteilt der Bericht aber nicht etwa diese Verfehlung, sondern nur drei Nebenschauplätze: die Isolation von Menschen in Alters- und Pflegeheimen, die Schulschliessungen im ersten Lockdown sowie das Verbot von verschiebbaren Eingriffen in den Spitälern.
Bitter ist letztlich aber vor allem, dass einen die Schönfärberei gar nicht gross überrascht.
Der Bericht widmet sich ausführlich den «wirtschaftlichen Folgen von Massnahmen zum Schutz der Gesundheit» – was durchaus legitim ist. Er verpasst es aber, weitere zentrale Punkte des Pandemiemanagements anzusprechen. So wird mit keinem Wort erwähnt, dass es das oberste Ziel hätte sein müssen, die physische und psychische Gesundheit der Bevölkerung so gut wie möglich zu schützen – gerade auch wegen der Langzeitfolgen, Stichwort Long Covid. Doch die Evaluation ignoriert dieses Thema komplett – genau wie dies der Bund und das BAG seit bald zwei Jahren tun.
Ein weiteres Beispiel: Impfen. Dass die Schweiz eine der tiefsten Impfquoten in Westeuropa hat, ist nicht zuletzt auf die missglückten Impfkampagnen des BAG zurückzuführen. Auch dazu verliert der Bericht kein Wort.
Bitter ist letztlich aber vor allem, dass einen die Schönfärberei gar nicht gross überrascht: Im Steuerungsausschuss der Evaluation sassen ausschliesslich aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter des BAG.
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