Stromversorgung sichern«Dieser Eingriff wäre inakzeptabel»
Simonetta Sommaruga will die Wasserkraft ausbauen. Nun aber zeigen unveröffentlichte Dokumente: Just drei Schlüsselprojekte belasten die Umwelt am stärksten. Landschaftsschützer Raimund Rodewald übt scharfe Kritik.
Ob in Interviews, im Parlament oder im persönlichen Gespräch: Simonetta Sommaruga fordert dieser Tage von allen Akteuren unentwegt Kompromissbereitschaft. Anscheinend erfolgreich: Zum ersten Mal seit vielen Jahren haben sich Kantone, Wasserwirtschaft und Umweltorganisationen auf Projekte zum Ausbau der Wasserkraft verständigt, 15 an der Zahl, allesamt «sinnvoll», wie die Energieministerin findet.
Die Einigung vom letzten Dezember ist das Resultat eines runden Tischs, den Sommaruga initiiert hat. Erklärtes Ziel sind bis 2040 zwei Terawattstunden zusätzlich gespeicherte Wasserkraft, ein wichtiger Beitrag an die Stromversorgungssicherheit im Winter.
Auch wenn der runde Tisch Ausgleichsmassnahmen zum Schutz der Natur empfiehlt: Die Umweltschützer müssen Kompromisse eingehen. Wo mutmasslich am stärksten, zeigen nun erstmals Dokumente, welche diese Redaktion gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz von Sommarugas Departement Uvek verlangt hat. Eine Begleitgruppe, welche der runde Tisch eingesetzt hatte, untersuchte, wie stark die Projekte die Umwelt beeinträchtigen werden. Tangieren sie wertvolle Lebensräume wie Hochmoore, Auen oder Fischlaichgebiete? Liegen sie in kantonalen oder nationalen Schutzgebieten?
Stausee oberhalb von Zermatt
Der Befund: Den stärksten Eingriff gäbe es beim Projekt Gorner im Wallis. Die Berechnung ergab 3,4 Belastungspunkte, den mit Abstand höchsten Wert. Oberhalb von Zermatt soll ein Stausee entstehen, der schmelzende Gornergletscher hat eine Schlucht freigelegt, darin ist ein Staudamm geplant, 85 Meter hoch. Das Gebiet liegt im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung. Dahinter folgen das Projekt Grimsel, bei dem eine Erhöhung des gleichnamigen Sees um 23 Meter geplant ist, sowie der geplante Speichersee Trift, beide im Kanton Bern gelegen.
Für Raimund Rodewald bestätigt die Bewertung der Begleitgruppe den «drohenden Tabubruch». Beim Gornergletscher handle es sich um eine der letzten unberührten Gletscherlandschaften der Alpen, sagt der Geschäftsleiter der Stiftung für Landschaftsschutz (SL).
Der runde Tisch hat die Projekte jedoch unter anderem Blickwinkel beurteilt: Welche davon versprechen, gemessen am Eingriff in die Natur und Landschaft, am meisten Winterstrom-Speicherung? So gesehen, schneidet das Projekt Gorner, das ein Drittel der Speicherkapazität aller 15 Projekte bringen soll, am besten ab. Rodewalds Fazit bleibt gleichwohl dasselbe: «Ein neuer Speichersee wäre ein inakzeptabler Eingriff.» Das Bundesgericht stütze sich bei seiner Beurteilung von Eingriffen in Landschaften auf die Kriterien Ersteingriff und Einsehbarkeit. Der Stausee, so Rodewald, wäre ein Ersteingriff, der Stausee gut einsehbar, etwa vom Gornergrat oder der Monte-Rosa-Hütte aus.
Wegen des Gornerprojekts hat die Stiftung für Landschaftsschutz die gemeinsame Erklärung des runden Tischs nicht unterzeichnet, anders als die Umweltverbände WWF und Pro Natura, welche ebenfalls teilgenommen haben. Das Papier ist nicht rechtsverbindlich. Um die Realisierung der 15 Projekte zu sichern, möchte SVP-Nationalrat Albert Rösti diese nun im Gesetz verankern lassen. Zudem schlägt er vor, das öffentliche Interesse nach Versorgungssicherheit bei diesen Vorhaben höher zu gewichten als die Interessen des Umwelt- und Landschaftsschutzes.
Rekurse bleiben aber in jedem Fall möglich; daran ändert auch nichts, dass der Bundesrat die Bewilligungsverfahren bündeln und straffen will. Bereits bekämpft wird – durch die Greina-Stiftung – die Erhöhung der Grimsel-Staumauer, ebenso das Trift-Projekt durch Aqua Viva, und beim Gorner-Projekt hat die Stiftung für Landschaftsschutz Widerstand angekündigt. Damit sind just die drei grössten Projekte auf der Liste absturzgefährdet. Rodewald hofft auf Alternativen zum Gorner-Projekt. Er ist überzeugt, dass andere Vorhaben, die auf Liste figurieren, stärker als geplant und trotzdem vergleichsweise landschaftsschonend ausgebaut werden könnten, so etwa das Projekt Gougra im Wallis, wo unter anderem eine Erhöhung der Staumauer des Moirysees geplant ist.
Rodewald kritisiert, man habe das Gorner-Projekt «überhastet» auf die Liste genommen. «Es musste unbedingt ein Projekt her, damit man auf die geplanten 2 Terawattstunden kommt.» Das Uvek widerspricht: Das Projekt sei «in der Beurteilung ganz normal bewertet und plausibel in die Auswahl aufgenommen worden».
Unesco-Label gefährdet?
Ein zusätzlicher Konflikt droht im Aletschgebiet. Durch den Gletscherrückgang entsteht beim Oberaletschgletscher ein See, den der runde Tisch ebenfalls zur Stromproduktion nutzen will. Doch die Region gehört zum Unesco-Weltnaturerbe. Zwar sind damit keine rechtlichen Vorgaben verknüpft, die neue Kraftwerke untersagen würden. Ob das Unesco-Komitee einen solchen Bau mit dem universellen Wert eines Welterbegebiets für vereinbar hält, ist nicht sicher; schlimmstenfalls käme es zum Entzug des Labels. Die Begleitgruppe des runden Tischs hat deshalb entschieden, alle Projekte, die neue Staumauern im Unesco-Gebiet zur Folge hätten, aus der Projektliste zu kippen, wie aus den Dokumenten des Uvek hervorgeht.
Auf der Liste figuriert damit nur noch das redimensionierte Projekt Oberaletsch. Gemäss Analysen der ETH wird unter dem schmelzenden Oberaletschgletscher ein natürlicher See entstehen, den das Kraftwerk Oberaletsch nutzen kann. Laut Uvek ist daher der Bau einer Staumauer «nicht zwingend» nötig. Das Uvek hat die Unesco über das Projekt informiert. Ob die Unesco damit einverstanden ist, lässt sich heute noch nicht sagen. Stellung nehmen wird sie erst, wenn das Konzessionsgesuch samt Umweltverträglichkeitsprüfung vorliegt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.