Drohender PreisschubDiesel könnte an den Zapfsäulen schon bald teurer werden
Neue Sanktionen gegen Russland dürften Europa hart treffen. Auch die weltweit anziehende Nachfrage treibt die Preise in die Höhe. Die sechs wichtigsten Fragen und Antworten.
Autofahrerinnen und Autofahrer konnten zuletzt aufatmen. Die Preise für Benzin und Diesel sind nach dem Höhenflug vom Sommer wieder deutlich zurückgegangen.
Das könnte sich jedoch rasch wieder ändern. Vor allem Diesel dürfte bald teurer werden. Das trifft viele – denn knapp 28 Prozent aller Personenwagen in der Schweiz fahren nach Angaben des Bundesamts für Statistik mit Diesel. Doch auch für Lastwagen, auf Baustellen und in der Industrie ist der Kraftstoff fast unverzichtbar.
Was bedeuten die Sanktionen gegen Russland?
Der wichtigste Grund für die erwartete Preiserhöhung sind neue Sanktionen gegen Russland. Ab 5. Februar gilt ein Einfuhrverbot für Mineralölprodukte wie Diesel oder Flugbenzin aus Russland in die EU. Es ist die zweite Stufe der bereits vor einigen Monaten beschlossenen Sanktionsmassnahmen.
Seit 5. Dezember gelten für die EU bereits ein Importverbot von Rohöl auf dem Seeweg sowie eine Preisobergrenze. Das hat sich weder auf den weltweiten Ölpreis noch auf die Preise an den schweizerischen Zapfsäulen ausgewirkt.
Die neusten Sanktionen dürften diesmal auch an Europa nicht spurlos vorübergehen. Denn Diesel ist ohnedies knapp und Russland ein wichtiger Lieferant. Die Experten des Analysehauses Muzinich & Co. rechnen nun mit deutlicher spürbaren Folgen als nach der ersten Sanktionswelle im Dezember.
Die Internationale Energieagentur (IEA) hat deshalb bereits vor Engpässen gewarnt. «Die zu Beginn 2023 noch gute Versorgungslage könnte sich rasch ändern, wenn die westlichen Sanktionen die russischen Exporte beeinflussen. Besonders gefährdet sind Produkte wie Diesel», so die IEA in ihrem jüngsten monatlichen Bericht.
Die neuen Massnahmen gegen Russland führten bereits zu einem wohl unerwünschten Nebeneffekt: Bevor das Verbot in Kraft tritt, haben sich offenbar noch viele Länder mit russischem Diesel eingedeckt. Die russischen Dieselexporte erreichten im Dezember mit 1,2 Millionen Fass pro Tag einen Rekord. 60 Prozent davon seien für die EU bestimmt gewesen, so die IEA. Die Agentur wurde in den Siebzigerjahren als Reaktion auf die erste Ölkrise gegründet; die Schweiz ist eines der Gründungsmitglieder.
Warum ist Russland so wichtig?
Russland ist einer der wichtigsten Diesellieferanten für Europa, wo der Kraftstoff knapp ist. Die russischen Raffinerien haben ihre Kapazitäten zur Herstellung von Diesel im vergangenen Jahrzehnt laut IEA deutlich aufgestockt, um von der weltweit steigenden Nachfrage nach dem Treibstoff zu profitieren.
Nun produzieren die Raffinerien deutlich mehr Diesel, als im Land selbst verbraucht wird. Etwa die Hälfte der Produktion ist für den Export bestimmt – der Grossteil davon wiederum für Europa.
Mit den Sanktionen muss der Kontinent auf andere Dieselquellen ausweichen, etwa auf solche im Nahen Osten oder in China. Chinesischer Diesel komme bereits in Europa an, nachdem Peking vergangenes Jahr seine Exportquoten erhöht habe, so die IEA.
Welche Folgen hat das für die Schweiz?
Die Preise an den Zapfsäulen könnten demnächst wieder steigen, vor allem bei Diesel. Dieser war schon in den vergangenen Monaten im Vergleich mit Benzin vergleichsweise teuer.
Zwar importiert die Schweiz direkt aus Russland weder Rohöl noch andere Mineralölprodukte. Diese bezieht sie vor allem über ihre Nachbarländer. Doch wenn dort der Preis steigt, dürfte er auch in der Schweiz anziehen. Einen Teil des Schweizer Bedarfs deckt die Raffinerie in Cressier NE.
Geht uns demnächst der Diesel aus?
Das ist erst mal nicht zu befürchten. Laut dem Mineralölverband Avenergy, der viele Tankstellenbetreiber vertritt, gibt es keinen Versorgungsengpass. Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) sieht das ähnlich. «Zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir die Schweiz mit Dieselöl versorgt. Sollte sich dennoch ein Versorgungsengpass abzeichnen, könnte auf Pflichtlagerbestände zurückgegriffen werden», sagt Sprecher Thomas Grünwald.
Um die Versorgung mit Benzin und Diesel zu gewährleisten, wurden bereits im vergangenen Herbst die Pflichtlager für Benzin, Diesel, Heizöl und Flugpetrol freigegeben. Die Diesel-Pflichtlager würden im Moment aber gar nicht beansprucht, erklärt Avenergy. Nach Angaben des BWL sind die Mineralöl-Pflichtlager zurzeit zu 90 Prozent gefüllt. Allein mit den Pflichtlagern für Diesel könnte die ganze Schweiz für viereinhalb Monate versorgt werden.
Der offizielle Grund für die Freigabe der Pflichtlager waren laut dem BWL nicht die Sanktionen gegen Russland, sondern die begrenzten Schiffskapazitäten auf dem Rhein und logistische Schwierigkeiten bei ausländischen Bahntransporten. Die Schifffahrt über den Rhein und die Bahn sind wichtige Transportwege für Mineralölprodukte in die Schweiz – ebenso wie Pipelines und zu einem geringeren Teil die Strassen.
Welche Rolle spielt die weltweite Ölnachfrage?
Sie ist für die Preisentwicklung ebenfalls wichtig. Die Welt dürfte im angelaufenen Jahr so viel Öl verbrauchen wie nie zuvor. Die IEA rechnet mit einer Zunahme der Nachfrage um 1,9 Millionen Fass pro Tag auf einen neuen Rekordwert von 101,7 Millionen Fass.
Grund dafür ist vor allem die Öffnung Chinas nach der Aufhebung der strikten Corona-Massnahmen. Zudem steigt die Nachfrage nach Flugtreibstoff. Der Reisehunger ist nach der Pandemie bei vielen immer noch gross – entsprechend viel wird wieder geflogen.
Die schwächere Nachfrage wegen der flauen Wirtschaftslage in einigen westlichen Ländern und wegen der vergleichsweise milden Witterung im Winter fällt im Vergleich dazu nicht so stark ins Gewicht.
Wie wird sich der Ölpreis entwickeln?
Die starke weltweite Ölnachfrage könne zu einem Preisanstieg führen, so die Experten von Muzinich & Co. Im vergangenen Jahr war der Ölpreis zu Beginn des Ukraine-Kriegs in die Höhe geschnellt und hatte dann in den Monaten darauf wieder nachgegeben. Zuletzt kostete ein Fass der Sorte WTI rund 77 Dollar.
Wie sich der Ölpreis entwickelt, hängt auch vom Vorgehen der Ölförderländer der Opec+ ab. Zu dem Ölkartell, das etwa 50 Prozent der weltweiten Nachfrage bedient, gehört auch Russland. Wenn sie ihre Förderung drosseln, könnte der Preis anziehen. Zuletzt war das im Oktober der Fall.
Das nächste Treffen der Opec+ findet am Mittwoch statt – und ist in abgespeckter Form nur online geplant. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters dürften die Staaten ihre Fördermenge unverändert lassen.
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