Die letzten Nördlichen BreitmaulnashörnerNur Najin und Fatu leben noch
Um die fast ausgestorbene Unterart noch zu retten, kommt modernste Fortpflanzungsmedizin zum Einsatz. Mehrere Verfahren sind derzeit erfolgversprechend.
Nirgendwo sonst wird ein Tier mit so viel Aufwand rund um die Uhr überwacht wie die 34-jährige Najin und ihre elf Jahre jüngere Tochter Fatu am Fusse des Mount Kenya im Ol-Pejeta-Schutzgebiet am Äquator. Denn die zwei grauen Riesen sind weltweit die letzten Nördlichen Breitmaulnashörner überhaupt und sind somit zu Ikonen des Artenschutzes geworden. Das letzte Männchen, der Vater von Najin, der ebenfalls 2009 aus dem Safaripark Dvůr Králové in Tschechien nach Kenia geflogen wurde, starb 2018.
«Damit die beiden nicht gewildert werden, inspizieren Überwachungskameras regelmässig die Gegend, und eine Truppe aus rund vierzig Rangern mit Langfeuergewehren sowie auch Hundestaffeln passen auf sie auf», sagt Thomas Hildebrandt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Hinzu komme noch ein Team aus etwa zehn Pflegern, die sich um die beiden Nashörner rührend kümmerten. Am Tag seien die zwei Dickhäuter hinter Elektrozäunen in der weitläufigen Savanne am Grasen oder machten eine Siesta, und in der Nacht seien sie zur Sicherheit in einem grossen, geschützten Unterstand.
Um die fast vollständig verschwundene Unterart doch noch irgendwie vor dem Aussterben zu retten, scheut ein internationales Bio-Rescue-Konsortium unter Leitung von Hildebrandt keine Mühe. «Es ist ein Projekt des langen Atems, das vergleichbar mit der Mondlandung ein unbekanntes Terrain ist und somit ebenfalls eine enorme Vorbereitungszeit benötigt», erklärt der Reproduktionsmediziner für Grosssäugetiere. Noch niemand habe dies zuvor gewagt. Die Hoffnung sei nun, dass es in den nächsten drei Jahren die erste Geburt mithilfe einer Leihmutter aus der nahe verwandten Unterart des Südlichen Breitmaulnashorns gebe.
Eingefrorene Embryonen
Die Prozedur ist ein äusserst schwieriges Unterfangen und vor allem auch ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn beide verbliebenen Weibchen können nicht mehr trächtig werden. Najin hat Krebs am Eierstock und Fatu Zysten am Uterus. Seit einem Jahr kommt deshalb nur noch die Tochter als Eizellspenderin infrage. In einem Labor in Italien ist es inzwischen gelungen, mit den von Fatu entnommenen Eizellen und dem Sperma von zwei verstorbenen Bullen 24 Embryonen des Nördlichen Breitmaulnashorns zu erzeugen und aufzubewahren. Bei minus 196 Grad Celsius lagern diese nun in mit flüssigem Stickstoff gefüllten Tanks, bis demnächst der grosse Schritt des Embryonentransfers gemacht werden kann.
Weil sich mit dieser Methode aber aufgrund der zurzeit fehlenden genetischen Vielfalt keine gesunde Population mehr aufbauen lässt, setzen die Forschenden gleichzeitig noch auf andere Verfahren und Techniken aus der Stammzellforschung. Wie sie vor kurzem in der Fachzeitschrift «Science Advances» berichteten, konnten sie jetzt erstmals Zellen aus konserviertem Hautgewebe von Fatus verstorbener Tante Nabire zurückprogrammieren und daraus eine Vorstufe für Keimzellen herstellen.
Die Idee ist, dass sich aus solchen künstlichen Ur-Keimzellen dann dank spezieller Nährmedien mit Hormonen sowie Wachstumsfaktoren in Zukunft Spermien und vor allem auch Eizellen im Labor herstellen lassen. Wenn auch dies noch gelingt, könnten sie künftig für die künstliche Befruchtung eingesetzt werden, und es stünden unterm Strich somit ausreichend Kandidaten und Kandidatinnen für die Produktion von Nachkommen zur Verfügung. Mit dem erfolgreichen Einsatz der hier angewendeten Stammzelltechnologie könnte man dann Nachwuchs erzeugen, der auf genetischem Material von zwölf verschiedenen Nördlichen Breitmaulnashörnern basiert und die Grundlage für eine überlebensfähige Herde bildet.
Keine andere Nashornart ist so kurz vor dem Verschwinden auf unserem Planeten wie das Nördliche Breitmaulnashorn, das ursprünglich in Sumpfgebieten im Tschad, im Sudan, in der Zentralafrikanischen Republik, der Demokratischen Republik Kongo oder in Uganda beheimatet war. Dort wurden die Tiere jedoch zeitweise gejagt, gerieten zwischen Bürgerkriegsfronten oder wurden an ausländische Zoos verkauft. Dagegen ist das Südliche Breitmaulnashorn aus den südlichen Ländern Afrikas nur als potenziell gefährdet auf der Roten Liste eingestuft. Dennoch sank dessen Bestand allein in den vergangenen vier Jahren vor allem durch Wilderei um fast 12 Prozent und ging von geschätzten 18’067 Individuen auf 15’942 zurück.
Hildebrandt arbeitet auch mit dem Genetiker George Church von der Harvard University zusammen, der an der Vision forscht, eine bereits ausgestorbene Art wie etwa das Mammut wiederzubeleben. Der Amerikaner manipuliert das Elefantenerbgut Stück für Stück so lange, bis alle wichtigen Gene des Mammuts drin sind, damit es sich am Schluss wie ein Mammut verhält und auch so aussieht. Im Vergleich zum Elefanten sollte es danach andere Stosszähne, zotteliges Fell, kleinere Ohren und auch eine Zahnstruktur mit mehr Lamellen für die zähe Kost eines vorwiegend Gras fressenden Tieres haben. «Heute ist es zwar noch nicht möglich, mit dieser Forschung eine auf der Erde verschwundene Art plötzlich wieder zurückzuholen», betont Hildebrandt. Aber einige dieser neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse könnten vielleicht helfen, stark bedrohte Nashornarten vor dem Aussterben zu bewahren.
Doch wozu dies alles? Ist der Aufwand nicht übertrieben? «Keineswegs», antwortet Hildebrandt. Denn wenn eines der grössten Landsäugetiere wie das Nördliche Breitmaulnashorn ausgerottet sei, habe dies in den betroffenen Gebieten Konsequenzen für Hunderte von anderen Arten, darunter viele Insekten und Käfer, aber auch Vögel oder Kleinsäuger. Das dadurch entstandene Ungleichgewicht im Ökosystem trage mit dazu bei, dass sich gefährliche Krankheitserreger besser ausbreiten könnten. So hätten Ebola und HIV beide ihren Ursprung in der Region des Kongobeckens.
Eine halbe Million Franken pro Kalb
Obwohl das Schicksal von Najin und Fatu längst besiegelt ist, lassen die Forschenden nichts unversucht, um durch künstliche Befruchtung nun doch noch Nachkommen zu zeugen. Dabei hängt der Erfolg auch von den zwei ausgewählten Leihmüttern ab, die nach dem Embryotransfer 16 Monate trächtig wären. Die Zeit drängt mehr denn je, damit ein lebendes Kalb noch die Möglichkeit hätte, mit den Letzten seiner Art zusammenzuleben und ein artspezifisches Verhalten zu erlernen. Die Kosten für eine auf diese Weise erzeugte Herde würden pro Kalb rund eine halbe Million Franken betragen.
Nächsten Monat fliegt Hildebrandt zusammen mit seinem Team erneut nach Kenia, um Fatu Eizellen zu entnehmen. Das ist bei einer rund zwei Tonnen schweren Nashorn-Dame sehr schwierig. Zunächst erhält das Tier eine Vollnarkose. Dann fährt das veterinärmedizinische Team mit einem zwei Meter langen Spezialgerät durch den gereinigten Darm und durchsticht gezielt die Darmwand, wobei es keine wichtigen Nerven oder grösseren Blutgefässe verletzen darf. Auf diese Weise erreicht es schliesslich die Eierstöcke, um die herangereiften Eizellen abzusaugen. Danach müssen die entnommenen Eizellen möglichst schnell nach Italien gebracht werden. Unmittelbar nach der Ankunft reifen sie in einem Inkubator einige Tage heran, bis sie unter dem Mikroskop mit einem Spermium eines verstorbenen Artgenossen befruchtet werden.
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