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Meinung

Analyse zu Farc-Guerilla in Kolumbien
Diese Entschuldigung kommt zu spät

Die grüne Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt war mehr als sechs Jahre in der Gewalt der Guerilleros.
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Es vergingen vier lange Jahre, ehe die Entschuldigung für ein tausendfach begangenes Verbrechen kam. Diese Woche hat Rodrigo Londoño Echeverri alias Timoschenko einen offenen Brief publiziert. Darin bittet der ehemalige Anführer der kolumbianischen Farc-Guerilla um Verzeihung für die systematischen Entführungen, mit denen die linksextreme Rebellentruppe – neben dem Kokainhandel – ihren jahrzehntelangen Kampf gegen den Staat finanzierte.

Unterschrieben haben die Entschuldigung auch weitere Ex-Kommandanten der Guerilla, die sich 2016 nach dem Friedensvertrag mit der Regierung in eine politische Partei umgewandelt hat.

Wenn nach einem Bürgerkrieg, nach der Auflösung einer Guerillaarmee oder einer Terrororganisation ein Friedensvertrag geschlossen wird oder wenn nach einer Militärdiktatur wieder eine zivile Regierung die Macht übernimmt – dann profitieren die Täter nicht nur in Lateinamerika häufig von einer juristischen oder einer faktischen Amnestie. Oder sie erhalten zumindest eine Strafminderung.

Aus Sicht der Opfer ist dies unerträglich, aus realpolitischen und pragmatischen Gründen oft unvermeidlich. So war es auch in Kolumbien. Die Alternative zum Friedensvertrag zwischen Regierung und Farc wäre die Fortsetzung eines Krieges gewesen, der in den fünf Jahrzehnten zuvor einer Viertelmillion Menschen das Leben gekostet hatte.

Die damals 20-jährige Guerillera Juliana, kurz bevor die Farc ihre Waffen niederlegten und zu einer politischen Partei wurden.

Umso wichtiger ist es in solchen Fällen, dass die Täter bei der Aufklärung ihrer eigenen Verbrechen mithelfen, dass sie bereuen und sich bei den Opfern und deren Hinterbliebenen entschuldigen – und dies nicht aus politischem oder juristischem Kalkül, sondern aus tief empfundener Einsicht. Andernfalls ist es illusorisch, dass sich eine derart zerrissene Gesellschaft wie die kolumbianische versöhnen kann.

Nun schreiben zwar Timoschenko und seine Mitstreiter: «Die Entführungen haben eine Wunde in der Seele der Opfer hinterlassen und unsere Legitimation und Glaubwürdigkeit tödlich verletzt.» Sie erwähnen auch den 11-jährigen Andrés Felipe Pérez, der unheilbar an Krebs erkrankt war und die Guerilleros anflehte, seinen entführten Vater freizulassen. Er wolle ihn vor seinem Tod noch einmal sehen. Die Bitte war vergeblich. Später haben die marxistischen Rebellen den Polizisten bei einem Fluchtversuch erschossen.

Wundersame Fischzüge

Die Farc kidnappten Militärs, Polizisten und Politiker, um sie gegen im Gefängnis sitzende Kampfgefährten auszutauschen. Die international bekannteste dieser «politischen Geiseln» war die grüne Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, die mehr als sechs Jahre in der Gewalt der Guerilleros ausharren musste. Daneben entführten die Farc auch rund 20’000 Zivilisten, um von ihren Familien Lösegeld zu erpressen. Oft errichteten sie dazu Strassensperren, die sie «wundersame Fischzüge» nannten.

Ein Leben für die Guerilla: Der frühere Farc-Chef  Rodrigo Londoño alias Timoschenko im September 2019. 

Es gibt gute Gründe, an der Wahrhaftigkeit der Farc-Anführer zu zweifeln. Zunächst einmal kommt ihre Entschuldigung viel zu spät. Jahrelang haben sie die Entführungen bestritten oder als «retenciones» (Festhaltungen) verharmlost. Und noch in ihrem Entschuldigungsbrief behaupten sie, die Unterlegenheit gegenüber dem Staat habe sie zu diesen Verbrechen «gezwungen».

Hinzu kommt, dass Timoschenko und weitere hochrangige Vertreter der Farc bis vor kurzem auch andere Gräuel bestritten oder verharmlost haben, etwa die tausendfache Zwangsrekrutierung von Jugendlichen und sogar Kindern. Oder die Tatsache, dass schwangere Guerilleras systematisch zur Abtreibung gezwungen wurden, manchmal selbst wenige Wochen vor der Geburt.

«Ich bereue nichts»

Noch vor einem Jahr sagte Timoschenko in einem Interview mit der spanischen Zeitung «El País»: «Ich bereue nichts, mein Gewissen ist rein.»

Wirklich Frieden hat Kolumbien noch immer nicht gefunden. Dafür sind neben der Farc auch andere mitverantwortlich, nicht zuletzt die Regierung des rechtskonservativen Präsidenten Iván Duque.

Die Versöhnung nach dem mehr als fünfzigjährigen Konflikt wird aber nur gelingen, wenn die ehemaligen Rebellen bei der Aufarbeitung ihrer Verbrechen entschlossener mitwirken. Authentisch empfundene Einsicht und Reue lassen sich indessen nicht erzwingen.