Karin Keller-Sutter zur Burka-Initiative «Die Vollverschleierung ist zum Teil selbst in muslimischen Ländern umstritten»
Die Justizministerin bekämpft die Burka-Initiative – doch viele Wähler der FDP sind dafür. Was sie dazu sagt – und warum die Religionsfreiheit für sie nicht das richtige Argument ist, um die Initiative zu bodigen.
Lässt die FDP-Basis ihre Bundesrätin im Regen stehen? 72 Prozent der freisinnigen Wählerinnen und Wähler unterstützen laut einer Umfrage von Tamedia und «20 Minuten» die Burka-Initiative. Und dies, obwohl Justizministerin Karin Keller-Sutter das Anliegen bekämpft. Im Interview mit dieser Redaktion sagt Keller-Sutter dazu: «Wenn Sie gefragt werden, ob Frauen ihr Gesicht verhüllen sollen oder nicht, sagen die meisten Nein. Ich bin auch nicht dafür.»
Allerdings sei Extremismus mit präventiven oder polizeilichen Massnahmen und nicht mit einem Verbot der Verhüllung in der Bundesverfassung zu bekämpfen. Sie sei der Meinung, dass eine starke Gesellschaft ihre Werte verteidigen könne, ohne dass es dafür ein Verbot auf Verfassungsstufe brauche.
Der Bundesrat macht sich für einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative stark. Dieser verlangt, dass Personen gegenüber den Behörden ihr Gesicht zeigen müssen, wenn es für die Identifizierung notwendig ist – beispielsweise am Bahnschalter, im Zug oder am Zoll. «Der Bundesrat hat die Gelegenheit ergriffen, die wenigen Lücken im Bundesrecht zu schliessen», so Keller-Sutter. Das Parlament habe den Gegenvorschlag zudem angereichert mit dem Argument, es gehe um Gleichstellung, und habe Massnahmen zur Verbesserung der Situation von Frauen entschieden.
Träte der Gegenvorschlag in Kraft, könnte eine Person sanktioniert werden, die sich beim Kauf eines Bahnabos weigert, ihr Gesicht zeigen. Andere Bereiche, wie etwa Polizeikontrollen, sind vom Gegenvorschlag hingegen nicht erfasst. Hier entscheiden weiterhin die Kantone. Eine Unterscheidung, die laut der Justizministerin Sinn macht: «Das Polizeirecht gehört zu den Kernkompetenzen der Kantone, der Bund darf hier nicht legiferieren.»
«Ich persönlich tendiere zur Ansicht, dass der Nikab kein religiöses Gebot ist, sondern eine Option. »
Auch bei einer Annahme der Verhüllungsverbotsinitiative änderte sich an der kantonalen Zuständigkeit für das Polizeirecht nichts, betont die Justizministerin. Deshalb gäbe es kein einheitliches Bundesgesetz. Generell stellt sich der Bundesrat auf den Punkt: Wenn es ein Problem mit Gesichtsverhüllungen gebe oder die öffentliche Ordnung gestört werde, dann sei es Sache der betreffende Kantone, eine Lösung zu finden.
Doch macht es Sinn, Bekleidungsvorschriften kantonal zu regeln? Wenn der Schleier im Kanton Glarus erlaubt ist, aber auf der anderen Seite des Walensees verboten? Es gehe eben nicht um eine Bekleidungsvorschrift, sondern um die Nutzung des öffentlichen Raums, sagt Keller-Sutter. Und darüber hätten die Kantone zu entscheiden. «Einige haben ein Vermummungsverbot, andere nicht. Solche Diskrepanzen gibt es in vielen Bereichen.»
Auffällig ist, dass der Bundesrat in seiner Argumentation stark auf formelle juristische Probleme der Burka-Initiative hinweist, statt auf das Argument der Religions- und Meinungsäusserungsfreiheit zu setzen. Für Keller-Sutter ist das nur konsequent: «Das Argument der Religionsfreiheit ist umstritten. Ich persönlich tendiere zur Ansicht, dass der Nikab kein religiöses Gebot ist, sondern eine Option. Die Vollverschleierung ist zum Teil selbst in muslimischen Ländern umstritten», so die St. Gallerin. Sie verweist auf eine neue Studie der Universität Luzern, die zeige, dass es nur rund 20 bis 30 verschleierte Frauen in der Schweiz gebe. «Meistens sind es Konvertitinnen.»
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