Die vertriebenen Geister von Alexander dem Grossen
Nicht nur Vegas bietet im Best-of-7 um den Stanley Cup eine grossartige Story. Auch Gegner Washington hat eine: Alex Owetschkins ersten NHL-Final.
Für Freunde des Eishockeys, die weder die Vegas Golden Knights noch die Washington Capitals unterstützen (und auch keine Miesepeter sind), fällt es im Playoff-Final der NHL (Spiel 1 in Las Vegas, Montagnacht, 2 Uhr Schweizer Zeit) so schwer wie selten, sich für eine Seite zu entscheiden.
Las Vegas, klar!
Es ist die vielleicht beste Story, die es im Teamsport je gab: eine neue Mannschaft, zusammengewürfelt aus Spielern der anderen Vereine, Spielern, die diese teilweise nicht mehr wollten, vereint in der Stadt, die fünf Tage vor Saisonbeginn von einem der schlimmsten Amokläufe der Geschichte der USA heimgesucht wurde – und nun fehlen nach acht grossartigen Monaten voller Erfolgserlebnisse nur noch vier Siege bis zum Meistertitel.
Doch Washington muss bloss zwei Worte in die Schale werfen, um die Sympathie-Waage dieses Finals wieder in eine ausbalancierte Position zu bringen: Alex Owetschkin.
Doch etwas fehlt
Er ist «Ovi the Great», oder «The Gr8», in Anspielung an die Rückennummer des Moskauers. Dreimal Weltmeister mit Russland, siebenmal bester Torschütze in der NHL, dreimal MVP, also wertvollster Spieler der besten Eishockeyliga – das ist grossartig, zweifellos.
Aber etwas fehlt Owetschkin, etwas, das ihn seit mittlerweile 13 Jahren immer wieder verzweifeln liess: der Meistertitel in der NHL, der Stanley-Cup. Doch nun, 2018, ist er als 32-Jähriger so nah wie noch nie, steht er mit den Capitals erstmals im Final.
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Ein bisschen Spass muss sein: Alex Owetschkin vor dem Playoff-Final gegen Vegas.
Als Owetschkin 2004 im NHL-Draft als erst zweiter Russe als Nummer 1 gewählt wurde, musste er sich noch gedulden. Die folgende Saison fiel wegen des Lockouts komplett aus, er spielte sie für seinen Stammclub Dynamo, wurde Russischer Meister, der Erfolgsweg schien vorgezeichnet.
Dann, als er 2005 gemeinsam mit Pittsburghs Sidney Crosby, seinem Nachfolger als Nummer-1-Draft, endlich auf die NHL losgelassen wurde, hinterliess Owetschkin sogleich einen bleibenden Eindruck: Er checkte im ersten Spiel, im allerersten Einsatz einen Gegenspieler so hart an die Bande , dass eine das Glas fixierende Eisenstange herausfiel – an den Check erinnere er sich heute noch, sagt Owetschkin, nicht mehr aber an den Gecheckten … (es war der spätere ZSC-Verteidiger Radoslav Suchy).
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Alex Owetschkin checkt Radoslav Suchy (im Video ab 0:32), die Bande ist danach ramponiert.
Und denkwürdig sind vor allem seine 52 Tore in der ersten Saison als 20-Jähriger – er und nicht Crosby wurde zum Neuling des Jahres gewählt. Es sollte für lange Zeit das einzige Mal bleiben, dass er seinen ewigen Rivalen übertrumpft.
Ein Vorwurf blieb stets – bis 2018
Seine Leidenschaft, seine Tore en masse und die noch grössere Anzahl harter Checks, diese so seltene Kombination, machen Owetschkin zu etwas Einzigartigem. Er schiesst seine Tore mit Vorliebe per Direktabnahme von der linken Seite. Beherrscht ein anderer Rechtsschütze den «One-Timer» besser als Owetschkin? Wahrscheinlich nicht. Die Wichtigkeit des physischen Spiels betont er dennoch genauso oft, Owetschkins Vorbild in der NHL war Owen Nolan, weil der gebürtige Nordire dieselben Attribute vereinte.
Doch wie viele Tore Owetschkin auch schoss, wie oft er die Gegner auch zu Boden beförderte. Wenn Jahr für Jahr für die Washington Capitals spätestens nach der zweiten Playoff-Runde Saisonende war, reiste Owetschkin stets mit denselben Vorwürfen zurück nach Russland: Er versage, wenn es wirklich darauf ankomme, es gehe ihm nur um die persönlichen Tore, nicht um den Erfolg der Mannschaft.
Das Duell mit Crosby um den inoffiziellen Titel des weltbesten Spielers war lange verloren, der Kanadier gewann nicht nur alle drei direkten Playoff-Duelle gegen den Russen, genauso oft stemmte er auch schon den Stanley-Cup in die Höhe und wurde zudem zweimal Olympiasieger – ein weiterer Lebenstraum, der für Owetschkin noch nie wahr wurde.
Das erste Wort: Cornflakes
Doch nun, 2018, scheinen sie vertrieben, die alten Geister. Owetschkin und Washington stehen im Final und, besonders süss, in Runde 2 wurden endlich, endlich Pittsburgh und Crosby aus dem Weg geräumt. Im Final wartet nun Vegas.
Diese Affiche beinhaltet eine weitere schöne Geschichte. General Manager des neuen NHL-Teams in der Wüste Nevadas ist George McPhee. Der Kanadier erlebte Washingtons letzte Finalteilnahme 1998 hautnah, er war 1997 bis 2014 der GM der Capitals.
Es war damit auch McPhee, der Owetschkin 2004 im NHL-Draft zum Capital machte. Er nahm den Teenager aus Moskau, der gekommen war, die USA zu erobern, aber kein Wort Englisch sprach, gleich nach seiner Ankunft in Washington zu sich nach Hause.
Beide denken heute noch mit einem Schmunzeln an den Sommer 2005 und den ersten gemeinsamen Tag im Hause McPhee zurück: «Ich hatte Angst gehabt, in die USA zu fliegen, weil ich die Sprache nicht konnte. Und beim Frühstück zu Hause bei George wollte ich nun Cornflakes essen, konnte es aber nur auf Russisch sagen», erzählt Owetschkin.
Und McPhee erinnert sich an Telefonate mit den besorgten Eltern ihres jungen Sascha: «Sie baten mich mehrmals inständig, gut auf ihn in den USA aufzupassen.»
Wenn Owetschkin nun also seinen Traum vom NHL-Titel verwirklichen sollte, würde er jenen seines alten Freundes – jenes Mannes, der ihm die allerersten Fetzen englischer Sprache beibrachte – zerstören: den Traum, mit Vegas im ersten Jahr Sportgeschichte zu schreiben.
Siegen für Vater, Mutter ...
Doch für «Ovi» steht da mehr auf dem Spiel. Der Stanley-Cup soll auch zum Symbol der Dankbarkeit gegenüber seiner Familie werden. Für seine Eltern, ehemalige Profisportler bei Dynamo, Vater Michail Fussballer, Mutter Tatjana Basketballerin und zweifache Olympiasiegerin: «Mutter war meine Motivation, Vater mein persönlicher Coach, ohne die beiden und ohne das Glück wäre ich heute nichts – oder bloss ein einfacher Junge, der Fan dieses Sports ist», sagt Owetschkin.
Und: «Sie war die Beste auf ihrer Position, ich wollte wie sie werden. Er schaute, dass ich nicht zu vielen negativen Einflüssen ausgesetzt war: Nach der Schule holte er mich jedes Mal ab, um mich sofort ins Training zu fahren.»
... und den Bruder, der von oben zuschaut
Und da gibt es noch Sergei, der wie seine jüngeren Brüder Alex und Mikhael im kleinen Kinderzimmer in einem Moskauer Sowjet-Plattenbau aufwuchs, als die Familie noch in bescheidenen Verhältnissen lebte, das Geld knapp war und der Vater darum zusätzlich Taxi fuhr.
Sergei verstarb nach einem Autounfall wegen eines Blutgerinnsels, als Alex erst 10 war. Jahrelang verschloss er sich diesem tragischen Ereignis, wollte darüber nicht sprechen.
Heute sagt Alex, dass der Tod seines älteren Bruders zur Motivation geworden sei: «Ich muss erfolgreich sein, da nun ich verantwortlich dafür bin, dass es meinen Eltern immer gut gehen wird.»
Und vor ein paar Jahren, als ihn ein Reporter fragte, wie stolz Sergei heute wohl auf den kleinen Sascha wäre, sagte er: «Ich bin sicher, dass er immer noch stolz ist. Er schaut nun einfach von oben zu.»
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