Fünf Katastrophen wegen AmmoniumnitratDie verheerendsten Explosionen
Eine Ammoniumnitrat-Detonation dürfte die Katastrophe von Beirut ausgelöst haben. Die Chemikalie hat schon andere grosse Unglücke mitverursacht, so zum Beispiel 1921 in Deutschland oder 2015 in China.
Nach der gewaltigen Explosion in Beirut mit mehr als 100 Toten und über 4000 Verletzten suchen Experten nach der Ursache der Katastrophe vom Dienstagabend. Ammoniumnitrat gilt als möglicher Auslöser des schweren Unglücks, das den ohnehin kriselnden Libanon hart getroffen hat. Rund 2750 Tonnen des gefährlichen Ammoniumnitrats sollen jahrelang ohne Sicherheitsvorkehrungen im Hafen der libanesischen Hauptstadt gelagert gewesen sein.
Ammoniumnitrat wird zur Herstellung von Düngemitteln verwendet. Weil die Chemikalie explosionsfähig ist, sorgt sie immer wieder für schreckliche Unfälle mit Hunderten Toten und noch mehr Verletzten. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich weltweit mehrere Katastrophen ereignet, bei denen Ammoniumnitrat eine wesentliche Rolle spielte. Ein Rückblick auf fünf grosse Unglücksfälle mit vielen Opfern aus den Jahren 1916 in England, 1921 in Deutschland, 1947 in den USA, 2004 in Nordkorea und 2015 in China.
Tianjin (China) am 12. August 2015
Vor Beirut ereignete sich die letzte Katastrophe mit Ammoniumnitrat im chinesischen Tianjin. In der Hafenstadt brach am 12. August 2015 am Abend in einem Lagerhaus ein Feuer aus. Eine knappe Stunde lang kämpften Hunderte Feuerwehrleute gegen den Brand, doch vergeblich. Innerhalb von 30 Sekunden kam es zunächst zu einer kleineren und danach zu einer gewaltigen Explosion. 173 Menschen kamen ums Leben, knapp 800 wurden verletzt. Zehntausende Personen verloren ihre Wohnungen und Häuser.
Im Nachhinein stellte sich heraus, dass auf dem Gelände 800 Tonnen Ammoniumnitrat und dazu noch 500 Tonnen Kalium- und Natriumnitrat gelagert waren, allesamt hochexplosive Substanzen. Eine Untersuchung der Behörden von Tianjin kam zu dem Schluss, dass das Feuer durch das Austrocknen von Schiessbaumwolle verursacht wurde, weil nicht genug Feuchtigkeitsspender vorhanden war. Dem Brand folgten die Explosionen.
Ryongchon (Nordkorea) am 22. April 2004
Am 22. April 2004 ereignete sich im Bahnhof von Ryongchon ein folgenschwerer Rangierunfall. Daran beteiligt waren zwei Güterzüge, von denen einer mit Ammoniumnitrat beladen gewesen war. Gemäss den nordkoreanischen Behörden soll beim Zusammenstoss der beiden Züge eine Oberleitung herabgestürzt sein. Dies habe eine Ölladung zum Brennen und das Ammoniumnitrat in einem anderen Waggon zur Detonation gebracht. Die wuchtige Explosion tötete mindestens 161 Menschen, unter den Todesopfern sollen 76 Schulkinder gewesen sein. Über 1300 Personen erlitten Verletzungen. Tausende Häuser wurden zerstört.
Nach der Katastrophe von Ryongchon kursierten viele Gerüchte. So berichtete die BBC, dass es sich bei dem Unglück um ein versuchtes Attentat auf den nordkoreanischen Staatschef Kim Jong-il gehandelt habe. Auf seiner Rückreise von einem Staatsbesuch in China habe Kim Jong-il ein paar Stunden vor dem Unglück den Bahnhof von Ryongchon passiert. Für die BBC-Meldung gab es allerdings nie eine Bestätigung.
Texas City (USA) am 16. April 1947
Eine Rolle spielte Ammoniumnitrat auch bei einer Katastrophe am 16. April 1947 in Texas City, als im Abstand von 15 Stunden die beiden im Hafen liegenden Frachtschiffe Grandcamp und High Flyer explodierten. An Bord der Grandcamp befanden sich 2300 Tonnen Ammoniumnitrat. Das Schiff High Flyer war mit 900 Tonnen Ammoniumnitrat beladen, dazu waren noch 1800 Tonnen Schwefel auf dem US-Frachter. Bei dem Unglück kamen 581 Menschen ums Leben, mehr als 5000 Personen wurden verletzt.
Am Anfang der Explosionskatastrophe war ein Feuer, das an Bord der Grandcamp ausgebrochen war. Der Brand könnte durch eine weggeworfene Zigarette verursacht worden sein. Die Schiffsmannschaft versuchte, das Feuer mit Wasser zu löschen, hatte damit aber keinen Erfolg. Schliesslich explodierte die Grandcamp und wurde in die Luft geschleudert. Die Druckwelle zerstörte die Docks, naheliegende Industrieanlagen sowie Teile von Texas City. Die Wucht der Detonation liess Personen in Galveston, 16 Kilometer entfernt, auf die Knie fallen. Sogar im 60 Kilometer entfernten Houston sollen Fenster zerborsten sein.
Oppau (Deutschland) am 21. September 1921
Am 21. September 1921 explodierte in Ludwigshafen am Rhein ein Gebäude des Oppauer Stickstoffwerkes, das zur Badischen Anilin- und Sodafabrik (BASF) gehörte. Dabei sollte wie üblich eine festgewordene Ammoniumsulfat-Ammoniumnitrat-Mischung durch Dynamit aufgelockert werden. Aufgrund einer Änderung im Produktionsablauf kam es zu einer lokalen Anreicherung von Ammoniumnitrat im Produkt. Durch die zur Lockerung gedachten kleineren Dynamit-Explosionen kam es in kurzem Abstand zu zwei gewaltigen Ammoniumnitrat-Explosionen. Etwa 400 der dort gelagerten 4500 Tonnen Düngemittel explodierten.
Bei der Katastrophe von Oppau-Ludwigshafen kamen 559 Personen ums Leben, 1977 Menschen erlitten Verletzungen. Die Opferzahlen hätten deutlich höher ausfallen können, wenn die Explosion nach Beginn der regulären Tagschicht stattgefunden hätte, denn viele Arbeiter waren zum Zeitpunkt des Unglücks noch nicht im Werk. Gemessen an der Opferzahl, steht Oppau für das grösste Unglück in der Geschichte der deutschen chemischen Industrie und die grösste zivile Explosionskatastrophe in Deutschland. Noch in 75 Kilometer Entfernung zum Unglücksort beschädigten die Detonationen Gebäude. Hören konnte man die Explosionen noch in Hunderten Kilometer Entfernung, wahrnehmbar waren sie auch in Teilen der Deutschschweiz.
Faversham (England) am 2. April 1916
Faversham wird als die Wiege der Sprengstoffindustrie Grossbritanniens bezeichnet. Die Kleinstadt in der Grafschaft Kent steht aber auch für ein trauriges Kapitel der britischen Geschichte. Am 2. April 1916 kam es in einer Munitionsfabrik in Faversham zu einer folgenschweren Explosion, nachdem ein Lager in Brand geraten war. Darin gelagert waren 700 Tonnen Ammoniumnitrat sowie 25 Tonnen TNT. 115 Menschen kamen ums Leben, also alle Arbeiter, die sich zum Zeitpunkt des Unglücks in der Fabrik befunden hatten.
Sieben Tote wurden nie gefunden, die anderen 108 Opfer fanden in einem Massengrab ihre letzte Ruhe. Die Explosionen waren noch in der 244 Kilometer entfernten Stadt Norwich zu hören. Über die Zahl allfälliger Verletzten liegen keine Angaben vor. Weshalb in der Lagerhalle Feuer ausgebrochen war, wurde nie restlos geklärt. Die Faversham-Katastrophe gilt als schlimmstes Unglück der Sprengstoffindustrie Grossbritanniens.
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