Die unglaublichen Skandale der NRA
Geleakte Dokumente zeigen, wie die einst mächtige National Rifle Association zu einem Selbstbedienungsladen verkommen ist. US-Präsident Trump freut das so gar nicht.
Am 22. September 2015 muss Wayne LaPierre ein sehr dringendes Bedürfnis nach neuen Kleidern gehabt haben. Der mächtige Boss der noch mächtigeren US-Waffenlobby-Organisation National Rifle Association (NRA) geht für solche Momente gerne in das Herrenmodegeschäft Ermenegildo Zegna am Rodeo Drive in Beverley Hills, direkt neben dem Prada-Store. Der aktuell günstigste Anzug, Jackett und Hose, ist hier für 1400 Dollar zu haben. Das teuerste Modell kostet 5450 Dollar. An jenem Septembertag hat LaPierre 39'000 Dollar in dem Geschäft gelassen.
An sich ist es ja Privatsache reicher Amerikaner, wenn sie sich in sündhaft teuren Modeboutiquen für den Winter einkleiden lassen. Mit einem Jahreseinkommen von 1,4 Millionen Dollar sollte sich LaPierre solchen Luxus leisten können.
In dem Fall aber ist die Sache komplizierter. Und hat zusammen mit einer ganzen Reihe anderer Ungereimtheiten die NRA in ihre tiefste Krise der vergangenen Jahrzehnte gestürzt. Es geht, wie jüngste Recherchen der New York Times, des Wall Street Journal und diverser anderer Medien zeigen, um persönliche Bereicherung, um Steuervergehen, um ungerechtfertigte Geldflüsse – und natürlich um Macht und Einfluss. Die NRA, die nach eigener Aussage «älteste Bürgerrechtsbewegung der USA» ist auf einem Schlingerkurs mit ungewisser Zukunft.
Bleiben wir noch etwas bei LaPierre, dem starken Mann der NRA. Seit 1991 ist er der Boss. Er bestimmt, in welche Richtung die NRA geht, welche Politiker sie unterstützt, welche Politiker die NRA zu ihren Feinden erklärt. Er ist die menschgewordene Verteidigung des verfassungsmässigen Rechtes auf Waffenbesitz in den USA. Ohne seine Unterstützung wäre Donald Trump womöglich nicht Präsident geworden.
Offenbar aber ist mit LaPierre auch die Gier durchgegangen. Seine neue Garderobe hat er nicht etwa selbst bezahlt. Er hat die Ausgaben der Marketingagentur Ackermann McQueen in Rechnung gestellt, wie aus geleakten Dokumenten hervorgeht. Und das nicht nur einmal. Ende April hat der Finanzchef von Ackermann McQueen, William Winkler, dem NRA-Chef in einem Brief eine Auflistung sämtlicher Einkäufe der Jahre 2004 bis 2017 übersandt, die LaPierre erstattet bekommen hat. Die Gesamtsumme beläuft sich auf 274'695,03 Dollar. Den Brief hat Winkler geschrieben, weil nach Durchsicht der Bücher aufgefallen war, dass LaPierre leider keine Rechnungen beigefügt habe.
Inklusive Mietkosten der Praktikantin
Pikant ist: Ackermann McQueen arbeitet seit den 1980er Jahren für die NRA. Beobachter sagen, das Unternehmen hat mit dafür gesorgt, dass aus einem eher schnarchigen Waffenliebhaberverein, die mächtigste Waffenlobby der Vereinigten Staaten mit heute etwa fünf Millionen Mitgliedern werden konnte. Ackermann McQueen ist auch für den NRA-eigenen Online-Sender NRATV verantwortlich.
Gut 40 Millionen Dollar bekommt Ackermann McQueen für seine Dienste jährlich von der NRA überwiesen. Und ein bisschen was von dem vielen Geld schien LaPierre für sich sichern zu wollen.
LaPierre hat sich von Ackermann McQueen auch eine American Express-Kreditkarte aushändigen lassen. Mit der hat er etwa einen Abstecher auf die Bahamas bezahlt: 94'000 Dollar. Oder nach Nevada für 112'000 Dollar. Beides im Jahr 2013. LaPierre hat sogar die Mietkosten einer Praktikantin über die Karte abgerechnet. Drei Monate für 13'800 Dollar. So ist es einer weiteren Kostenaufstellung für LaPierre vom Ackermann McQueen-Finanzchef zu entnehmen. Diese Gesamtrechnung beläuft sich auf 267'000 Dollar.
William Brewer, ein Anwalt der NRA, verteidigt in der New York Times das Gebaren: Es gebe «keinen Hinweis, dass die Ausgaben von Herrn LaPierre in irgendeiner Form unangemessen gewesen wären». Garderobe und Reisen seien allein aus Geheimhaltungs- und Sicherheitsgründen nicht direkt über die NRA abgerechnet worden. Diese Praxis sei überdies inzwischen beendet worden, sagt Brewer.
Brewer steht mit seiner Anwaltskanzlei allerdings selbst in der Kritik: NRA-Ex-Präsident Oliver North, der sich mit LaPierre überworfen hat, beschwerte sich – damals noch im Amt – am 18. April per Brief über die aussergewöhnlich hohen Rechnungen von Brewer. In 13 Monaten seien 24 Millionen Dollar an die Kanzlei überwiesen worden, gut 100'000 Dollar pro Tag. «Das Geld fliesst in einer irrwitzigen Geschwindigkeit von der NRA ab», schreibt North. Ausgaben dieser Höhe stellten eine Bedrohung der finanziellen Stabilität der NRA dar, befand er. Ohne allerdings seine eigene fragwürdige Rolle im Zusammenhang mit Ackermann McQueen zu erwähnen. Aber dazu später.
Es gibt noch andere, die sich ihr ehrenamtliches Engagement für die NRA haben vergolden lassen. Eine NRA-eigene Auflistung zeigt, wie viel Geld an einige Vorstandsmitglieder für dubiose Leistungen ausgezahlt wurde. NRA-Vorstand Marion Hammer etwa hat von der NRA 270'000 Dollar für angebliche Beratungstätigkeiten erhalten. 100'000 Dollar gingen an NRA-Vorstand David Butt in seiner Eigenschaft als «unabhängiger Vertragspartner».
Damit nicht genug. Die NRA hat mehrere Jahre lang eine «World Shooting Championship» ausgerichtet. Und zwar immer am selben Ort, dem «Peacemaker National Trainings Center» in Glengary, West Virgina. 70'500 Dollar hat das Center für die Ausrichtung bekommen. Der Besitzer der Schiessanlage ist Cole McCulloch. Und der ist zufälligerweise Chef der NRA-Sportschützenabteilung.
Misslungener Putschversuch
Dies alles wirft bereits ein vernichtendes Licht auf die NRA. Und vieles davon hat zu dem Machtkampf geführt, der derzeit in der NRA tobt. Der damalige NRA-Präsident Oliver North, ein Ex-Marine und so etwas wie eine militärische Institution für die politische Rechte in den USA, hatte vor der NRA-Generalversammlung in Indianapolis Ende April versucht, LaPierre vom Thron zu stossen. Der Posten des NRA-Präsidenten ist nur ein repräsentatives Ehrenamt und ohne besondere Macht ausgestattet. LaPierre konnte genug Unterstützer im 76-köpfigen NRA-Vorstand hinter sich bringen, der Putschversuch misslang.
North tauchte auf der Versammlung nicht mehr auf. Und liess einen Brief verlesen, in dem er mitteilen liess, nach gut einem halben Jahr im Amt nicht wieder antreten zu wollen.
Er ist damit womöglich seinem erzwungenen Rücktritt zuvorgekommen. Denn auch North hat sich womöglich bereichert. Er hat mit Ackermann McQueen einen Vertrag geschlossen, der ihm nach Angaben von LaPierre «mehrere Millionen Dollar im Jahr» einbrachte. Als Gegenleistung sollte er in der NRATV-Sendung «Oliver North´s American Heros» als Gastgeber auftreten. Das hat er auch gemacht. Die Serie ist im November 2018 angelaufen. Bisher gibt es nur vier Folgen.
Zur Nachfolgerin von North wurde die LaPierre-Vertraute Carolyn Meadows gewählt. Die erklärte danach, es sei alles in bester Ordnung. Der Vorstand sei über die Situation jederzeit im Bilde gewesen.
Bereicherung in ungeahntem Ausmass
Was nicht alle so sehen. Vorstandsmitglied Allen West, ein früherer Kongressabgeordneter vom rechten Rand der Republikaner, erklärte Mitte Mai, die Aussage von Meadows sei eine «ungeheuerliche Lüge». Er und die meisten anderen Vorstandsmitglieder seien völlig im Dunkeln gelassen worden. Meadows habe sie mit ihrer Aussage «böswillig, rücksichtslos und vorsätzlich» in rechtliche Schwierigkeiten gebracht. Die NRA müsse jetzt dringend «ihr Haus in Ordnung bringen». West forderte dafür den sofortigen Rücktritt von LaPierre.
Und dann ist da noch Letitia James. Sie ist die neue Justizministerin des Staates New York. Seit Anfang des Jahres im Amt, hat sie sich vorgenommen, die Finanzstrukturen der NRA zu durchleuchten. Verbunden mit der existenzbedrohenden Frage, ob die NRA eigentlich noch als gemeinnützig gelten kann. Ein Status, der der NRA bisher erlaubt, Gewinne nicht zu versteuern.
Sollte James zu dem Ergebnis kommen, dass die NRA dieser Status aberkannt werden und sie demnächst Steuern zahlen muss, dann dürfte das die Organisation in erhebliche Schwierigkeiten bringen. Angesichts des Ausmasses an Selbstbereicherung innerhalb der NRA, würde es fast schon an ein Wunder grenzen, wenn die NRA weiterhin gemeinnützig bleiben kann.
Am 26. April hat das Büro von Letitia James der NRA eine Aufforderung geschickt, den Ermittlern gegenüber sämtliche Bücher offenzulegen. Überraschend ist die Aufforderung nicht gewesen. James ist direkt gewählte Justizministerin und hatte im Wahlkampfsommer 2018 bereits versprochen, die NRA in ihr ganz persönliches Visier zu nehmen. Sie setzte die NRA damals mit einer «terroristischen Organisation» gleich. Was die NRA zum einen als Kriegserklärung auffasste, ihre Führung aber zugleich in helle Panik versetzte. Ihre Drohung, gegen die NRA zu ermitteln, hat die NRA veranlasst, selbst ihre Finanzströme zu untersuchen. Was die internen Prüfer entdeckt haben, hat Schockwellen innerhalb NRA ausgelöst.
Die NRA steckte schon damals in finanziellen Schwierigkeiten: Seit der Wahl von Präsident Donald Trump schrumpfen die Mitgliedsbeiträge. Für 2017 meldete die NRA Beitragseinnahmen in Höhe von 128 Millionen Dollar. So wenig wie seit 2012 nicht mehr. Die NRA-eigene Versicherung für Waffenbesitzer könnte demnächst von Gerichten kaltgestellt werden. Diese Versicherung ist eine der wichtigsten Einnahmequellen der NRA neben den Mitgliedsbeiträgen. Ausserdem ist ein 25-Millionen-Dollar-Kredit, der mit dem NRA-Headquarter in Fairfax nahe Washington abgesichert wurde, so gut wie ausgeschöpft. Mit anderen Worten: Der NRA geht langsam das Bargeld aus.
Dazu kommt ein grundsätzliches Problem: Die NRA geniesst zwar den Status der Gemeinnützigkeit und darf Spenden annehmen. Weil die NRA aber eine politische Organisation ist können die Spenden steuerlich nicht abgesetzt werden. Anders verhält es sich mit der NRA-Stiftung. Diese gilt als ebenso gemeinnützige, nicht aber als politische Organisation. Jede Spende an die NRA-Stiftung kann in der Einkommensteuererklärung angegeben werden. Wer der NRA etwa Gutes will, gibt sein Geld also lieber der Stiftung.
«Mir scheint es, sie fahren die Organisation gerade vor die Wand»
Die NRA-Bosse haben sich einiges einfallen lassen, um an die Millionen ihrer Stiftung zu kommen. Anfangs hat die NRA der Stiftung noch Personal und Büroräume kostenlos zur Verfügung gestellt. Inzwischen lässt sich die NRA dies teuer bezahlen, mit sechs Millionen Dollar pro Jahr. Ausserdem lässt sich die NRA angebliche Wohltätigkeitsaktionen fast durchweg von ihrer Stiftung finanzieren. Die Kosten haben sich seit 2001 verfünffacht, schreibt die New York Times. Seit 2012 sind mehr als 100 Millionen Dollar von der Stiftung an die NRA geflossen. Ein Umstand, der die New Yorker Ermittler brennend interessieren dürfte.
David Nelson, Experte für steuerbefreite gemeinnützige Organisationen, sagte der New York Times, es sei ein klares Zeichen dafür, dass es «um die NRA finanziell nicht gut bestellt ist», wenn sie ihre Arbeit von der Stiftung quersubventionieren lassen muss. «Mir scheint es, sie fahren die Organisation gerade vor die Wand.»
Video: «Boom! Komm her! Boom!»
US-Präsident Donald Trump wirbt bei seinem Auftritt vor der US-Waffenlobby NRA 2018 für das Tragen von Waffen. (Video: AFP/Tamedia)
Die Streitereien eskalieren weiter. Ackermann McQueen hat sich etwa anfangs komplett verweigert, mit den internen Prüfern der NRA zusammenzuarbeiten. In Briefen schoben sie sich gegenseitig die Schuld für die Misere zu. Heraus kam aber auch, dass Ackermann McQueen offenbar völlig überbezahlt wird. Das derzeitige Kernprodukt, der Online-Sender NRATV.com, in dem jeden Monat Millionen Dollar versenkt werden, hatte etwa im Januar nur knapp 50'000 Nutzer. Kurz: Die Seite ist ein Flop.
Die NRA hat Ackermann McQueen inzwischen verklagt. Sie glaubt, dass aus dem Unternehmen heraus all die brisanten Informationen etwa über LaPierres Garderobe an Reporter durchgestochen wurden, um «das Ansehen der NRA und seiner führenden Personen zu beflecken und ihr öffentliches Ansehen zu zerstören». Ackermann McQueen hat seinerseits eine Gegenklage eingereicht, in der das Unternehmen 100 Millionen Dollar Schadenersatz wegen Verleumdung zugesprochen bekommen möchte. Ausserdem hat es die 38 Jahre währende Zusammenarbeit mit der NRA beendet.
US-Präsident Trump gefällt gar nicht, was da gerade mit der NRA passiert. Er braucht die Kampagnen-Kraft der NRA, um deren fünf Millionen Mitglieder 2020 zu seinen Gunsten an die Wahlurnen zu treiben. Ende April twitterte er, die NRA müsse sich zusammenraufen, ihre internen Kämpfe beenden und zu alter Grösse zurückfinden. «Schnell!» Seine Sorge ist berechtigt. Im November 2020 wird gewählt. Womöglich ist die NRA dann nicht mehr schlagkräftig genug, um entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Wahl zu haben.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Video: Trump an NRA-Versammlung 2019
Die USA steigen aus dem internationalen Waffenhandelsvertrag aus: Das hat Präsident Donald Trump an einer Veranstaltung der US-Waffenlobby im April 2019 verkündet. (Video: Reuters/Tamedia)
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch