Nach der FrühjahrsoffensiveDie Ukraine ist bereit, mit Moskau über die Krim zu verhandeln
Eine Rückeroberung der Krim sei das Endziel der Ukraine, hiess es bisher aus Kiew. Nun deutet ein Berater von Präsident Selenski eine Kursänderung an. Was bezweckt er damit?
Die Erklärungen über die Zukunft der Ukraine, die derzeit aus den USA, China oder Frankreich verbreitet werden, gleichen rhetorischen Pirouetten. Vieles bleibt im Ungefähren, doch ein Ziel zeichnet sich ab: Nach der Frühjahrsoffensive, die Kiews Truppen im Osten des Landes noch nicht begonnen haben, soll die Ukraine mit Russland verhandeln.
Zuerst preschte US-Aussenminister Antony Blinken vor. Vor einem Parlamentsausschuss in Washington schloss er Ende März Verhandlungen der Ukraine über ihre Grenzen nicht aus. Die Entscheidung darüber liege aber bei den Ukrainern. Ausserdem müsse der Frieden dauerhaft und gerecht sein, schob Amerikas oberster Diplomat nach.
Kiews Ziel
Nun hat ein hochrangiger Berater von Präsident Wolodimir Selenski erstmals Gespräche über die Krim nicht ausgeschlossen. «Wenn wir auf dem Schlachtfeld unsere strategischen Ziele erreichen und an die Verwaltungsgrenzen der Krim gelangen, sind wir bereit, die diplomatische Seite zu öffnen und die Sache zu bereden», sagte der stellvertretende Chef des Präsidentenbüros in Kiew, Andri Sibiha, der «Financial Times». Bisher hatte es aus Kiew stets geheissen, eine Rückeroberung der Krim sei das Endziel der Ukraine.
Die Ukraine brach die Verhandlungen mit Russland ab, nachdem im Frühjahr 2022 in der Ortschaft Butscha unweit von Kiew über 400 Leichen von Ukrainern gefunden worden waren, mutmasslich von russischen Truppen erschossen oder erschlagen. Derzeit wird zwischen den beiden Seiten nur über Gefangenenaustausch verhandelt. Als Reaktion auf die russische Annexion ukrainischer Gebiete hatte Selenski im vergangenen Oktober ein Dekret gegen Verhandlungen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin erlassen.
Martialische Töne
Mit seinen Äusserungen versucht Selenskis Berater Andri Sibiha offenbar westliche Politiker und Militärs zu beruhigen, die vor einer unkontrollierbaren Eskalation warnen, falls die ukrainische Armee die von Russland 2014 besetze Halbinsel unter ihre Kontrolle stellen will. Am Wochenende hatte Olexi Danilow martialische Töne angeschlagen. In einem 12-Punkte-Plan schilderte der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats der Ukraine Pläne zur Rückeroberung der Krim, um die dort lebende Bevölkerung «zu entgiften» und Verräter zur Rechenschaft zu ziehen.
Die russischen Truppen auf der Krim bereiten sich laut «Washington Post» auf einen Angriff der Ukraine vor. Satellitenbilder, die von der US-Zeitung ausgewertet wurden, zeigen kilometerlange Gräben und Panzersperren, die in wenigen Tagen ausgebaut worden seien. Der Kreml hatte immer wieder betont, die Krim mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen zu wollen.
Baldige Verhandlungen forderten auch Chinas Staatschef Xi Jinping und sein französischer Amtskollege Emmanuel Macron. Ziel sei eine «Wiederaufnahme der Gespräche, so schnell wie möglich, für einen dauerhaften Frieden», sagte Macron nach einem bilateralen Treffen in Peking. «Es ist unser aller Krieg», so der französische Präsident. Deshalb müsse Xi Russland zur Besinnung bringen, damit alle an den Verhandlungstisch zurückkehren. «Ich weiss, dass ich auf Sie zählen kann.»
Chinas Herrscher liess nicht erkennen, dass er seinen Einfluss nutzen wird, um Druck auf Russland auszuüben. Xi und Macron waren sich einig in der Ablehnung eines Einsatzes atomarer Waffen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow lehnte eine Vermittlung durch Peking ab. Es gebe keine Aussichten auf eine politische Lösung. Die «Spezialoperation» müsse fortgesetzt werden. So bezeichnet die russische Propaganda den Krieg gegen die Ukraine.
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