Neue Regierung in Berlin Die SPD wechselt abrupt die Seite
Überraschung in der Hauptstadt: Statt ein Linksbündnis anzuführen, ordnet sich die SPD lieber dem Wahlsieger CDU unter. Franziska Giffey opfert dafür sogar ihr Amt als Bürgermeisterin.
Die Wiederholungswahl in Berlin vor knapp drei Wochen liess an Klarheit eigentlich nichts zu wünschen übrig: Die regierenden Sozialdemokraten, Grünen und Linken verloren, die Christdemokraten gewannen spektakulär. Die SPD, die die Hauptstadt seit 2001 regiert, rettete immerhin Platz 2: Nach einigem Nachzählen lag sie in der 3,9-Millionen-Metropole winzige 53 Stimmen vor den Grünen.
So klar das Verdikt im Ganzen ausfiel, so schwer war festzustellen, wer Berlin denn künftig regieren sollte. Die meisten Menschen in der Hauptstadt erwarteten wohl, dass das Linksbündnis ungeachtet seiner Wahlniederlage einfach weitermachen würde – mit der Berliner SPD-Chefin Franziska Giffey als Bürgermeisterin. Schliesslich regierte Rot-Grün-Rot schon seit 2016 zusammen, seit 14 Monaten mit Giffey im Roten Rathaus.
Giffey stand der CDU immer näher als der Linkspartei
Doch dann bekam die SPD auf einmal Angst vor dem Sieg. Giffey sagte schon kurz nach der Wahl, die bei ihr persönlich als Schock ankam, nun stehe alles infrage – schon aus «Demut» gegenüber dem Urteil der Wählerinnen und Wähler. Insgeheim bereitete die 44-Jährige bereits den Seitenwechsel zur CDU vor, auch wenn dies hiess, dass sie dafür ihr Amt opfern müsste. Früher als andere hatte die Stimmungspolitikerin gemerkt, wohin der Wind in der Stadt wehte.
Giffey, eine konservative Genossin in einem sehr linken Landesverband, stand der CDU seit je politisch näher als der radikalen Linkspartei und holte für die SPD entsprechend vor allem Stimmen in der Mitte. Schon nach der Wahl 2021 hätte sie lieber in einer Ampel mit Grünen und FDP regiert als mit der Linken – und war erst auf Druck ihrer Partei links abgebogen.
Die Berliner Grünen machten Giffey den Seitenwechsel diesmal aber auch leicht: Statt auf die CDU zuzugehen, blieben sie ihrer linken Klientelpolitik treu und stiessen die SPD in den Sondierungsgesprächen mit immer neuen roten Linien vor den Kopf. Sie verrieten damit nicht nur die neue Bündnispolitik der Bundes-Grünen um Robert Habeck und Annalena Baerbock, sondern vergaben auch die Chance, mit einer weiteren schwarz-grünen Koalition Druck auf die Ampel-Partner SPD und FDP im Bund auszuüben.
Die SPD wiederum kam zur Einsicht, dass das Vertrauen zu Grünen und Linken fürs Erste aufgebraucht ist, wenigstens in Berlin. Die Grünen würden nur noch für sich selbst schauen, nicht für die Stadt, so der Vorwurf. Und die Linkspartei werde sich ja im Bund sowieso gleich spalten, wenn Sahra Wagenknecht endlich eine Partei für sich selbst gründe. Grüne und Linke ihrerseits reagierten entsetzt auf den Seitenwechsel der SPD und warfen ihr Verrat an «progressiven» Idealen vor.
Signalwirkung für ganz Deutschland
Giffey muss nun nur noch ihre Partei von dem schmerzhaften Schritt in die Grosse Koalition überzeugen. Im Landesvorstand erhielt sie am Mittwoch dafür eine komfortable 2:1-Mehrheit, die aufschreienden Jusos und anderen Linken in der Partei glaubt sie, mit einem Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag überstimmen zu können: Die Basis tickt auch in Berlin pragmatischer als die mittlere Funktionärsriege.
Neuer Regierender Bürgermeister dürfte also der 50-jährige Kai Wegner werden – 21 Jahre nachdem der letzte CDU-Stadtobere Eberhard Diepgen sein Amt abgab. Da Wegner jede Regierungserfahrung fehlt, wird die gewiefte Giffey im Senat aber auch ohne Bürgermeisterinnenwürde die starke Frau bleiben.
Die überraschende Rochade in Berlin sendet bereits politische Signale ins ganze Land. SPD und Grüne, einst «natürliche Partner», sehen sich immer häufiger als Rivalen um die Vorherrschaft im linken Lager und belauern sich, statt vertraulich zusammenzuarbeiten. Längst hat diese Entwicklung auch die Bundesregierung erfasst. Die Grünen tun sich weiterhin schwer, sobald sie betont ideologisch auftreten. Die CDU schliesslich erhält in Berlin endlich wieder einmal die Chance, zu beweisen, dass sie auch Grossstadt kann – zumindest, wenn die Linken dort zuvor gründlich abgewirtschaftet haben.
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