Gipfeltreffen zum RahmenabkommenDie Sicht von aussen: Die Schweiz und die EU sind in einer Sackgasse gelandet
Die einen sind auf der Seite der Schweiz, die anderen verteidigen die Sicht der EU, doch einig sind sich die Zuschauer von aussen: Das Ende des Krimis um den Rahmenvertrag steht bevor.
Vorbei war es am Freitag mit der Ruhe in Brüssel, zumindest für eine kurze Weile. Über der Stadt liegt derzeit die bleierne Schwere der Covid-Massnahmen, die Strassen sind ungewohnt leer.
Eine kleine Ecke im EU-Quartier aber wurde am Freitagmorgen von Nervosität und Betriebsamkeit ergriffen: Die Schweizer EU-Korrespondenten warteten vor dem Gebäude der EU-Kommission gespannt auf den Beginn eines Minigipfels zwischen der Schweiz und der EU zum Rahmenabkommen – den vorläufigen Höhepunkt eines jahrelangen Verhandlungskrimis.
«Aus dem Brexit nichts gelernt»
Der Krimi bewegt vor allem Schweizer Gemüter, in der EU gibt er kaum zu reden. Doch einige beobachten sehr genau, was abläuft, etwa Bruno Waterfield, EU-Korrespondent der britischen «Times». Er lässt keinen Zweifel daran, dass sein Herz für die Anliegen der Schweiz schlägt. «Die EU-Kommission macht mit den Schweizern genau das, was sie mit den Briten gemacht hat: Sie droht mit ‹Alles oder nichts›.» Brüssel habe aus dem Brexit nichts gelernt, kritisiert Waterfield: Sie müsse viel flexibler werden, wenn sie wirklich einen Deal mit der Schweiz wolle. Sonst habe das Abkommen in einer Volksabstimmung keine Chance.
Der Brite kennt die EU bestens, seit fünfzehn Jahren berichtet er als kritischer Korrespondent aus Brüssel. Er sieht derzeit keine Anzeichen dafür, dass die EU zu weiteren Konzessionen bereit sei. Politisch hält er das für falsch. Anders als die Briten würden die Schweizer sehr grosse Sympathien geniessen bei Franzosen, Deutschen und Italienern. Waterfields These: Die Kommission habe Angst davor, dass die bequemen Bilateralen mit der Schweiz zu attraktiv werden könnten für Länder mit euroskeptischen Bewegungen, etwa die Niederlande. Nicht zuletzt darum sei die Kommission sehr dogmatisch unterwegs.
Harte Haltung wegen Desinteresse
Auch Pieter Cleppe hält die Haltung der EU für bemerkenswert hart. Der Chefredaktor des EU-kritischen Blogs BrusselsReport.eu erklärt das aber damit, dass die Schweiz eben zu wenig Interesse wecke. «Die Gleichgültigkeit der Mitgliedsstaaten gegenüber der Schweiz hat es der EU-Kommission erlaubt, sehr viel aggressiver zu verhandeln.»
Der Brexit habe viele in Europa emotional beschäftigt, sagt Cleppe, der als einer von wenigen Europäern die Schweizer Verhandlungen verfolgt. «Die Auseinandersetzungen mit der Schweiz hingegen interessieren niemanden – obwohl der Handel vor allem für die westeuropäischen Staaten von Bedeutung ist.» Er ist überzeugt, dass der Punkt der Entscheidung jetzt nahe ist. «Aber vermutlich muss die Situation sich noch ein bisschen zuspitzen, bevor sich die EU und die Schweiz bewegen.»
Der Ärger über die Schweiz
Wohin sie sich bewegen könnten, ist selbst intimen Kennern des Dossiers ein Rätsel. Etwa David O’Sullivan, der als EU-Diplomat die Grundzüge des Abkommen ausgehandelt hat und heute als Berater in Brüssel arbeitet. «Es schaut aus, als wären wir in einer Sackgasse. Jetzt müssen wir schauen, wie wir da wieder rauskommen», sagt O’Sullivan. Auch er zieht eine Analyse zum Brexit: «Die Schweizer wollen wie unsere britischen Freunde den Fünfer und das Weggli.» Anders als Waterfield und Cleppe verteidigt O’Sullivan aber den Standpunkt Brüssels. «Die EU ist der Schweiz weit entgegengekommen», sagt er, seine Nachfolger seien Konzessionen eingegangen, die er nicht habe machen dürfen. Die Schweiz realisiere nicht, dass die EU bereits an ihre Grenzen gegangen sei.
Der frühere Diplomat kritisiert den Bundesrat: «Die Schweiz hat viele Leute in Brüssel verärgert mit ihrer Verhandlungstaktik und der Art und Weise, wie der Bundesrat das Abkommen verkauft hat.» Das reiche selbst auf die höchste Ebene: «Ursula von der Leyen ist enttäuscht, dass die Schweiz so zögerlich ist.»
Der Ausgang des Krimis ist offen, in Brüssel ist wieder Ruhe eingekehrt. Vorerst.
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